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Die türkische Opposition war sich zu siegessicher
Bei den Präsidentschaftswahlen in der Türkei kommt es zur Stichwahl
Es ist ein nur halber Erfolg der Opposition: Der amtierende türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan muss sich erstmals einer Stichwahl stellen. Die Hoffnung, Erdoğan nach 20 Jahren ablösen zu können, hat sich nicht bestätigt. Erst spät hat die Opposition zueinander und einen gemeinsamen Gegenkandidaten gefunden. Die Umfragen vor der Wahl sahen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu vorne, die Opposition wähnte sich schon als Sieger. Das war offenbar ein Trugschluss und zeigt, wie beliebt Erdoğan weiterhin bei vielen Türken ist, insbesondere im Ausland. Die Wahlmanipulationen allein erklären nicht seinen relativen Erfolg: Eine dezidiert progressive alternative Mehrheit gibt es in der Türkei nicht – auch ein Ergebnis von 20 Jahren Erdoğan-Herrschaft.
Er hat politische Gegner mundtot gemacht und zu Hunderten ins Gefängnis werfen lassen, will die Oppositionspartei HDP gerichtlich verbieten lassen und gerierte sich in den vergangenen zehn Jahren als eine Art Sultan, der allein wisse, was für sein Volk richtig sei. Erdoğans brachialer, maskuliner Politikstil des Machers gefällt nicht wenigen: Die Türkei hat Gewicht auf der Weltbühne und lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen. Dass die Regierung den Opfern des verheerenden Erdbebens erst mit großer Verspätung oder gar nicht zu Hilfe kam, scheint bei vielen Wählern schon wieder vergessen.
Spannend wird die Stichwahl in zwei Wochen: Wird es Kılıçdaroğlu gelingen, die Wähler des drittplatzierten Kandidaten auf seine Seite zu ziehen? Die Chancen dafür sind nicht allzu groß, steht dieser Erdoğan doch politisch näher. Und falls er doch gewinnen sollte: Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament würden es einem Präsidenten Kılıçdaroğlu sehr schwer machen, die Vorhaben umzusetzen, die sich das Oppositionsbündnis vorgenommen hat.
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