Revolutionäres Geschirr

Als der preußische König Friedrich Wilhelm II. die französische Republik anerkennen musste

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Blick aus dem Marmorpalais im Neuen Garten von Potsdam geht hinaus auf den Heiligen See. Am Dienstagmorgen ist es frisch und der Himmel wolkenverhangen. Man muss sich das bei Sommerwetter vorstellen: Die Gäste des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. kommen bei drückender Hitze in Booten übers Wasser. Im angenehm kühlen Grottensaal ist für acht Personen eingedeckt. Es ist 1796. Anderthalb Jahre später stirbt der König im Marmorpalais, das sein Lieblingsort gewesen ist, wie Eva Wollschläger von der Stiftung preußische Schlösser und Gärten (SPSG) am Dienstag erläutert.

Auf den Thron gelangte Friedrich Wilhelm II. im Jahr 1786, als sein Onkel Friedrich der Große kinderlos starb. 1789 brach in Paris mit dem Sturm auf die Bastille die französische Revolution los. Eine Republik entstand, Frankreichs König Ludwig XVI. verlor seinen Kopf 1792 unter der Guillotine. Damit das nicht Schule machte, führten benachbarte Monarchien Krieg gegen die Republik, die sich aber mutig verteidigte. Die Revolutionsarmee hielt im September 1792 in der Kanonade von Valmy, einem Artillerieduell, den preußischen Truppen stand. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe kommentierte das am Abend mit seinem berühmten Satz: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.«

Im April 1795 musste Friedrich Wilhelm II. nach einer Reihe militärischer Niederlagen im Frieden von Basel notgedrungen die Republik diplomatisch anerkennen. Es wurde dazu ein Geschenk für den französischen Gesandten François Barthélemy benötigt. Weil sich dafür so schnell kein wertvolles Tafelservice anfertigen ließ, wurde eines aus dem Besitz von Friedrich Wilhelm verwendet und ein neues bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin nachbestellt. Die ersten Teile wurden noch im selben Jahr ins Berliner Stadtschloss geliefert. Dort würde das Service auch heutzutage hingehören. Aber das Stadtschloss gibt es nicht mehr. Es wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und 1950 gesprengt. Nur eine Art Abklatsch existiert mit dem Humboldt-Forum an der Stelle, an der in der DDR der Palast der Republik strahlte.

Im Sommer 2022 konnte die Schlösserstiftung 37 Teile dieses Geschirrs aus Privatbesitz erwerben – und weil es das Berliner Stadtschloss nicht mehr gibt, fanden Teller und andere Dinge ihren Weg ins Potsdamer Marmorpalais. Dort sind sie ab sofort bis zum 15. Oktober zu besichtigen. Die Stücke waren nachweislich bereits seit dem 19. Jahrhundert im Eigentum der Familie. Die Stiftung musste sich also keine Sorgen machen, es mit Rückübertragungsansprüchen zu tun zu bekommen. Das kommt vor, wenn die Faschisten jüdische Kunstsammler ausraubten und sich die Erben ausfindig machen lassen. Über den gezahlten Kaufpreis schweigt sich die SPSG aus. Wollschläger verrät aber zur Orientierung so viel: »Der Marktwert eines einzelnen Tellers liegt bei 1000 Euro und mehr.«

Auf dem Tisch stehen auch zwei originale Messerbänkchen, auf denen benutztes Besteck abgelegt wurde, um die Tischdecke nicht zu beschmutzen. Sie befanden sich schon früher in den Beständen der Stiftung und gehören zu dem kunsthistorisch bedeutsamen Service. Es markiere den Übergang vom friderizianischen Rokoko zum Frühklassizismus, erläutert Rahul Kulka. Er ist wissenschaftlicher Volontär der Stiftung und die Präsentation des angekauften Geschirrs ist seine Abschlussarbeit. Zum Vergleich wird in einer Vitrine am Eingang zum Grottensaal auch ein erhaltener Teller aus dem Tafelservice gezeigt, das 1795 dem französischen Gesandten Barthélemy geschenkt wurde. Die Unterschiede von Rokoko und Klassizismus sind an den Blumenmotiven auf dem Porzellan zu erkennen: Statt stilisierter Sträuße sind auf dem nachbestellten Service Blumen abgebildet, wie sie in der Natur auf der Wiese wachsen. Und die Teller sind nur noch am Rand bemalt. Die Mitte bleibt minimalistisch weiß.

»Das war damals revolutionär«, erklärt Kulka. Vorher sollten der König und seine Gäste nur das Beste und Schönste auf den Tisch bekommen. Das bedeutete früher, dass das Porzellan reich bemalt sein musste. Eine große weiße Fläche war noch undenkbar. Auch speisten Könige gewöhnlich von Geschirr aus Gold oder Silber. Nur den Nachtisch verputzten sie von Geschirr aus Porzellan, das fortan aber auch für andere Gänge des Menüs zum Einsatz kam. Das sei neu gewesen, so Kulka. Auch ganz grundsätzlich ist es etwas Besonderes, was die Besucher des Marmorpalais bis Oktober hier zu sehen bekommen. Üblicherweise schlummert das Porzellan im Depot.

Bis 15. Oktober, Di.-So. von 10-17.30 Uhr, Marmorpalais, Im Neuen Garten 10 in 14469 Potsdam, Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 6 Euro

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