Prozess gegen Reichsbürger: Mit Gewalt zurück ins Kaiserreich

In Koblenz hat der Terrorprozess gegen eine Gruppe militanter Rechter begonnen

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Frau, die die Chefideologin der »Vereinten Patrioten« gewesen sein soll, betritt den Gerichtssaal auf Socken und Zehenspitzen. Elisabeth R., 75 Jahre alt und habilitierte Theologin, wird von der Bundesanwaltschaft beschuldigt, das weltanschauliche Rüstzeug für einen von der Gruppe geplanten Umsturz geliefert zu haben. Am Mittwoch begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) im rheinland-pfälzischen Koblenz der Prozess gegen sie und vier Männer wegen geplanter Terrorakte. Das Quintett soll laut Anklage unter anderem Anschläge und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant haben.

Elisabeth R. soll immer wieder darauf gedrungen haben, endlich loszuschlagen. Als sie am Mittwoch von zwei Wachtmeisterinnen in den größten Sitzungssaal des OLG geführt wird, bemüht sie sich indes um ein Bild größtmöglicher Zerbrechlichkeit. Die Verhandlung hat kaum begonnen, da legt sie ihren Kopf auf die Arme und blickt nicht mehr auf. Nur eines muss sie dann doch noch loswerden: »Ich betone: Wir haben hier nur die juristische Person Dr. R.«, unterbricht sie die Begrüßung durch die Senatsvorsitzende Anne Kerber. Und fügt hinzu: »Ich spreche gerne mit Ihnen als Mensch, nicht als juristische Person.« Was wohl heißen soll, dass R. sich nicht als Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland betrachtet – eines Staats, den sie für illegitim hält, wie sie in umfänglichen rechts-esoterischen Schriften und offenen Briefen kundgetan hat, die sich im Internet finden.

Es ist eine illustre Runde, die sich neben R., die zuletzt im sächsischen Flöha lebte, vor dem Staatsschutzsenat verantworten muss. Da sind die einstigen NVA-Soldaten Sven B. (55) aus Falkensee bei Berlin, der seinen Geburtsort schnarrend mit »Neuruppin, Preußen« angibt, und Thomas O. (56) aus Neustadt an der Weinstraße, der sich einen Namen als radikaler Gegner der Corona-Politik gemacht hat. Zusammen mit Thomas K. (51), einem Oberleitungsmonteur der Deutschen Bahn aus Niederbayern, sollen sie den »operativen militärischen Zweig« der Gruppe geleitet haben.

Den »administrativen Arm« habe Elisabeth R. zusammen mit einem noch nicht angeklagten mutmaßlichen Finanzier sowie mit Michael H. (44) gebildet – einem Alleinunterhalter aus Bad Zwischenahn, dem bei den Umsturzplänen eine besondere Rolle zugekommen sei: Er habe eine »False-Flag-Aktion« inszenieren sollen, bei der ein Schauspieler als falscher Olaf Scholz oder Frank-Walter Steinmeier die Abdankung der Bundesregierung und das Wiederinkraftsetzen der Reichsverfassung von 1871 habe bekannt geben sollen.

Nach Darstellung der Bundesanwaltschaft sollte das der letzte Schritt eines dreistufigen Aktionsplans sein: Zunächst wollten die »Vereinten Patrioten« laut Anklage durch Sprengstoffanschläge auf Strommasten und Umspannwerke einen längeren bundesweiten Stromausfall herbeiführen wollen, um Bundesregierung und Medien außer Gefecht zu setzen. Dann hätten sie in der »Operation Klabautermann« Karl Lauterbach entführen wollen – vor laufenden Kameras aus einer Talkshow. Das Ziel: bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen und schließlich eine »konstituierende Versammlung« in Berlin einberufen. Unterstützung wollten sie sich bei Russlands Präsident Wladimir Putin holen.

Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten deshalb unter anderem die Gründung einer terroristischen Vereinigung, Hochverrat, die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie Verstöße gegen das Waffengesetz vor. Denn so sehr sich das Quintett, das über Telegram-Gruppen von Reichsbürgern und Querdenkern erst virtuell und dann auch im realen Leben zueinanderfand, selbst überschätzt haben mag, so lächerlich ihre Verschrobenheit anmutet: Sie hatten bereits einige Waffen, wollten in großem Stil weitere einkaufen – und waren nach Meinung der Bundesanwaltschaft bereit, sie auch einzusetzen.

Beim Prozessauftakt kündigen fast alle Angeklagten über ihre Anwälte an, sich zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Der Brandenburger Buchhalter Sven B., der wie der Eisenbahner Thomas K. bereits im Ermittlungsverfahren ein weitgehendes Geständnis abgelegt hat, ergreift bereits an diesem ersten Prozesstag einmal kurz das Wort: Er fordert die Medien auf, sein Gesicht unverpixelt zu zeigen und seinen vollen Namen zu nennen. »Er steht zu dem, was er getan hat«, erklärt sein Verteidiger Philipp Grassl im Anschluss auf dem Flur. »Aus Sicht unseres Mandanten wollte er die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht beseitigen, sondern wiederherstellen.«

Weil mit Reue also nicht zu rechnen ist, setzen die Anwälte auf eine andere Verteidigungsstrategie: Sie monieren, dass verdeckte Ermittler der Polizei in der Gruppe aktiv waren, und sehen darin eine »rechtsstaatswidrige Tatprovokation«. Oder zumindest einen Grund für milde Strafen.

Der Prozess geht am kommenden Mittwoch weiter. Insgesamt sind mehr als 40 Verhandlungstage bis Januar 2024 angesetzt.

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