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Chemnitz: Familie Son droht Abschiebung
Ausländerbehörde Chemnitz zweifelt an »Familieneinheit« eines ehemaligen Vertragsarbeiters
Die Familie Son in Chemnitz findet nicht zur Ruhe. In der vergangenen Woche hat die Ausländerbehörde Chemnitz die Angehörigen des ehemaligen DDR-Vertragsarbeiters Pham Phi Son zur Ausreise nach Vietnam aufgefordert. Die Duldung seiner Frau Hoa Nguyen und der gemeinsamen Tochter Emilia (6) seien nicht verlängert worden. Stattdessen hätten sie Kontakte einer Ausreiseberatungsstelle ausgehändigt bekommen, erzählt Pham Phi Son im Gespräch mit »nd.derTag«. Sollten sie nicht freiwillig ausreisen, hieß es, könnten sie jederzeit abgeschoben werden. Ein Sprecher der Stadt Chemnitz war wegen des Feiertages am Donnerstag nicht erreichbar.
Die Duldung von Pham Phi Son selbst, der seit 1987 in Sachsen lebt, wurde dagegen verlängert. Eine Duldung ist allerdings kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich die Aussetzung der Abschiebung. Son sagt »nd«, die Behörde wolle damit seine lange Aufenthaltszeit in Deutschland würdigen. Hinzu kommt aber, dass sie ihn, anders als Frau und Kind, gar nicht abschieben kann, weil die vietnamesische Botschaft seinen Reisepass nicht verlängert. Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat bestätigte die Angaben gegenüber »nd«.
Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter in die Stadt, die damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Er arbeitete sein halbes Leben in der Gastronomie, zeitweise war er arbeitslos. Er hatte eine Wohnung, eine Niederlassungserlaubnis und zahlte Steuern. Bis 2017. Damals entzog ihm die Ausländerbehörde Chemnitz seinen Aufenthaltsstatus. Der Grund dafür war, dass er aufgrund einer medizinischen Behandlung ein Jahr zuvor länger als sechs Monate in Vietnam gewesen war. Nach sechs Monaten Aufenthalt außerhalb Deutschlands kann ein Aufenthaltstitel erlöschen. Das Amtsgericht Chemnitz beurteilte seine Wiedereinreise im März als zulässig. Seinen Aufenthaltstitel bekam Son jedoch nicht zurück, eine frühere Klage der Familie vor dem Verwaltungsgericht scheiterte, ebenso wie ihre Anträge an die Sächsische Härtefallkommission.
Nun droht der Familie, auseinandergerissen zu werden. Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat spricht von der Absicht einer »grundgesetzwidrigen Familientrennung«. Die Chemnitzer Ausländerbehörde argumentiere außerdem mit einem überholten Familienbild, so Schmidtke. Son und seine Frau haben in Vietnam nach traditionellem Ritual die Ehe geschlossen, nicht standesamtlich. Beide lebten aber zusammen und sorgen für die gemeinsame Tochter. »Die Ausländerbehörde spricht der Familie die Familieneigenschaft ab«, kritisiert Schmidtke. Auch Pham Phi Son akzeptiert das nicht. »In Deutschland gibt es doch so viele Familien ohne Eheurkunde. Sind die denn alle keine Familien?«, fragt er. Die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel spricht sich gegenüber »nd« ebenfalls gegen die Abschiebung aus.
Schmidtke kritisiert darüber hinaus, dass die Ausländerbehörde die eigens eingeforderten Integrationsnachweise nicht würdige: Beide Elternteile hätten inzwischen deutsche Sprachprüfungen abgelegt, wenn auch auf niedrigem Niveau. Hoa Nguyen besuche einen weiteren Deutschkurs. Beide haben inzwischen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in einem Gastronomiebetrieb, der für Seniorenheime kocht. Dort werden sie dringend gebraucht. Sachsens Gastronomie leidet unter Arbeitskräftemangel und wirbt Personal aus dem Ausland an, auch aus Vietnam.
Die Familie versuche die Verweigerung der Duldung mit Hilfe ihrer Anwältin rechtlich anzufechten, sagt der Flüchtlingsratssprecher, »aber Frau und Tochter können jede Nacht von der Bundespolizei abgeholt werden. Und sie leiden psychisch sehr«.
Einziges Kapital der Familie ist der öffentliche Druck, der nach wie vor anhält. 104 000 Menschen haben eine Petition an die Sächsische Landesregierung mit der Forderung nach einem Bleiberecht unterschrieben. Politiker*innen von SPD, Linke, FDP und Grünen sowie die katholische Kirche, deren Mitglieder die Familienangehörigen sind, haben öffentlich ein Bleiberecht gefordert.
Der Flüchtlingsrat schließt einen öffentlichen Protest in Chemnitz nicht aus, sollte der rechtliche Weg keinen Erfolg bringen. »Es gibt zahlreiche empörte Zuschriften aus dem gesamten Bundesgebiet«, sagt Sprecher Dave Schmidtke.
Die Ausländerbehörde Chemnitz hatte der Familie im März geraten, sich wegen eines Bleiberechtes erneut an die Sächsische Härtefallkommission zu wenden. Deren Vorsitzender, der CDU-Hardliner Geert Mackenroth, hatte allerdings gegenüber der in Chemnitz erscheinenden »Freien Presse« angedeutet, dass es dort gar nicht zu einer erneuten Befassung des Falles kommen könnte. Die Familie hatte sich schon dreimal an die Härtefallkommission gewandt. Zweimal war der Antrag abgelehnt worden, einmal hatte der Vorsitzende die Befassung abgelehnt, weil er keine neuen Fakten sah.
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