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- EVG vor der nächsten Verhandlungsrunde
EVG-Vize Cosima Ingenschay: »Die Wut ist groß«
Wie Eisenbahner unter den Verspätungen leiden und was kleine Brauereien zum Klimaschutz beitragen können – EVG-Vize Cosima Ingenschay im nd-Gespräch
In dieser Tarifrunde sind viele überrascht von der großen Streikbereitschaft der EVG. Sie galt lange als etwas zahme Hausgewerkschaft der Bahn. Was hat sich verändert?
Die EVG ist mit rund 185 000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft des Eisenbahn- und Transportwesens in Deutschland. Sie vertritt das Personal der Eisenbahnen in allen Sparten und konkurriert mit der kleineren Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die ca. 40 000 Mitglieder hat, darunter auch einige Tausend anderer Berufsgruppen.Seit Februar verhandelt die EVG mit der Deutschen Bahn AG sowie Dutzenden weiteren Eisenbahnunternehmen über höhere Entgelte für insgesamt rund 230 000 Beschäftigte. Die Gewerkschaft fordert mindestens 650 Euro mehr Lohn pro Monat oder zwölf Prozent für die oberen Einkommen, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Bahn hat neben einer Inflationsausgleichsprämie ab März 2024 bis zu zehn Prozent Lohnsteigerung angeboten sowie eine Laufzeit von 27 Monaten.Am 27. März fand bundesweit ein ganztägiger Warnstreik gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi statt. Die Deutsche Bahn stellte den gesamten Fernverkehr an dem Streiktag ein.Am 20. April gab es einen achtstündigen Warnstreik der EVG bei der Deutschen Bahn und weiteren Unternehmen.Ab 14. Mai waren die Mitglieder der EVG zu einem 50-stündigen Streik aufgerufen. Gegen diesen Streik reichte die Deutsche Bahn einen Eilantrag vor dem Amtsgericht Frankfurt ein. Nach einem gerichtlichen Vergleich am 13. Mai wurde der Warnstreik kurzfristig abgeblasen.Derzeit wird verhandelt. Die nächste Verhandlungsrunde mit der Deutschen Bahn findet vom 23. bis 25. Mai statt.
Die Geduld der Leute ist einfach am Ende, sowohl beim Entgelt als auch bei den Arbeitsbedingungen, was ja auch zusammenhängt. Der Personalmangel ist riesig und wirkt sich auch auf die Arbeitsbedingungen derjenigen aus, die da sind. Die Kampfbereitschaft ist in der Tat sehr hoch: Unsere Mitglieder wollten noch länger streiken.
Doch dann haben Sie sich vor einer Woche vor Gericht mit den Arbeitgebern geeinigt und den angekündigten 50-Stunden-Streik kurzfristig abgeblasen. Angst vor der eigenen Courage bekommen?
Nein, gar nicht. Der Streik sollte dazu führen, überhaupt erst mal Verhandlungsfähigkeit herzustellen. Das war bei den ersten beiden Verhandlungsterminen nämlich nicht gelungen. Mit dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht zum Mindestlohn haben wir das geschafft. Jetzt gibt es für uns eine Verhandlungsbasis.
Was meinen Sie mit Verhandlungsfähigkeit?
Dass wir uns über den Verhandlungsgegenstand einig werden, über den wir reden. Uns ging es dabei um drei Punkte. Der Arbeitgeber sollte sich tatsächlich auf unseren Forderungskatalog beziehen. Die Bahn hatte uns zunächst den Abschluss im öffentlichen Dienst angeboten, der mit unseren Forderungen aber gar nichts zu tun hatte. Der zweite Punkt betraf die Bahnbusse, die der Arbeitgeber außen vor lassen wollte. Bei beiden Themen waren wir auf einem guten Weg. Und dann gab es das Thema Mindestlohn. Bei dem kamen wir bis zu unserer Streikandrohung gar nicht überein.
Warum war die Mindestlohnfrage so wichtig? Sie fordern doch zugleich eine Mindesterhöhung um 650 Euro. Das ist doch auf jeden Fall mehr.
Bei uns gibt es Kolleginnen und Kollegen, die nach der Tabelle nur 10,50 Euro die Stunde verdienen und die gesetzlich vorgeschriebenen 12 Euro nur über Zulagen erreichen. Der DB-Konzern wollte anfangs jede Lohnerhöhung nur auf die 10,50 Euro draufschlagen. Mit dem von uns geforderten Mindestbetrag würde also folgendes passieren: Die Zulage selbst beträgt etwa 300 Euro im Monat. Wenn wir jetzt 650 Euro mehr rausholen würden, wollte die Bahn die 300 Euro erst mal abziehen, sodass diese Beschäftigten tatsächlich nur 350 Euro mehr kriegen, während alle anderen 650 Euro mehr hätten. Das ist das Perfide daran.
Danach war die Bahn aber bereit, sich auf die 12 Euro als Ausgangspunkt einzulassen …
... wollte dann aber von oben drücken und die Erhöhung beim branchenüblichen Mindestlohn deckeln. Für Gebäudereiniger wären das aktuell 13 Euro. Diese Kolleginnen und Kollegen hätten also nicht vollumfänglich von dem profitiert, was wir aushandeln. Das war der Grund, warum wir gesagt haben, dann müssen wir eben noch mal massiv streiken.
Nach der Forderung der EVG würden Reinigungskräfte bei der Bahn mehr verdienen als anderswo. Aus Sicht der hoch verschuldeten Bahn ein Wettbewerbsnachteil wegen der höheren Kosten. Kein Problem für Sie?
Die Bahn muss ja aber auch nicht an der Lohnuntergrenze stehenbleiben. Sie ist ein Bundesunternehmen, und daraus ergibt sich für mich die Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass Menschen, die solche Arbeit machen, einen gerechtfertigten Lohn bekommen und dadurch eher den Markt mit nach oben ziehen. Das Thema haben wir übrigens nicht bei den anderen Bahnen.
Dennoch betrifft die Mindestlohneinigung nur etwa 2000 von 200 000 Bahn-Beschäftigten, die Sie in dieser Runde vertreten. Warum hat die EVG diesen Punkt so sehr nach vorne gestellt?
Gerade diese Kolleginnen und Kollegen brauchen unsere Solidarität. Das wollten wir zu Beginn geklärt haben. Jetzt haben wir gemeinsam sichergestellt, dass alle gleichermaßen profitieren.
Die Deutsche Bahn fand den angekündigten Streik unverhältnismäßig und ist vor Gericht gezogen. In manchen Berichten heißt es, auch die Richterin habe Zweifel an der Verhältnismäßigkeit eines zweitägigen Streiks erkennen lassen. Hatten Sie Sorge, sie würde den Streik ganz untersagen und haben sich deshalb lieber mit der Bahn geeinigt?
Streik ist immer das letzte Mittel. Und er bedeutet für unsere Kolleginnen und Kollegen auch immer Gehaltsverzicht. Wenn nötig, streiken die Kolleginnen und Kollegen auch 50 Stunden, wenn man den Druck braucht, damit sich die Arbeitgeber ernsthaft bewegen. Die Richterin hat sehr schnell darauf abgestellt: Wird die Forderung der EVG in der Mindestlohnfrage erfüllt? Sie hat die Arbeitgeberseite aufgefordert, im Gerichtssaal deutlich zu erklären, dass die 12 Euro in die Tabelle kommen und dass die Kolleginnen und Kollegen von der nächsten Lohnerhöhung in voller Höhe profitieren. Das wurde zu Protokoll genommen, und es wurde zu Protokoll genommen, dass wir dem Arbeitgeber weiterhin misstrauen. Aber: Nachdem erfüllt ist, was wir haben wollen, werden wir jetzt erst mal verhandeln.
Der DB-Personalvorstand Martin Seiler hat erklärt, der Gang der Deutschen Bahn vors Arbeitsgericht habe sich für alle gelohnt. Finden Sie das auch?
Das ist schon eine heftige Ansage mit Blick auf die Sozialpartnerschaft. Für uns lohnt sich das niemals, im Gegenteil. Gerichte sind eigentlich nicht zuständig für Tarifauseinandersetzungen. Es muss klar sein, dass wir als Arbeitnehmer nicht betteln gehen, sondern dass, um Forderungen durchzusetzen, auch Streiks nötig sind.
Zu dem Vergleich vor Gericht gehört die Verabredung, »nun zügig und konstruktiv zu verhandeln, mit dem Ziel eines baldigen Abschlusses«. Klingt, als ob Sie sich bald einigen.
Den richtig großen Brocken haben wir jetzt erst vor uns: in den Verhandlungen erfolgreich zu sein.
Sind Sie in dieser Woche vorangekommen?
Mit dem Vergleich am vergangenen Samstag vorm Arbeitsgericht haben wir den Anfang gemacht. Ich hoffe, dass wir mit den Verhandlungen am 23. bis 25. Mai jetzt weiterkommen.
Die Bahn bietet bis zu zehn Prozent mehr Lohn und einen Inflationsausgleich von knapp 3000 Euro. Das sei ihr historisch höchstes Angebot.
Schauen wir uns das doch mal genau an: Wir fordern zwölf Monate Laufzeit und in diesen zwölf Monaten bieten sie uns überhaupt keine Steigerung in der Tabelle an. Da ist nur die Einmalzahlung. Diese Inflationsausgleichsprämie kriegen die Leute einmal und dann ist sie wieder weg. Angesichts der Preissteigerungen bei Lebensmitteln, bei Energie, bei Benzin in den vergangenen Monaten haben die Leute die 3000 Euro ja schon längst ausgegeben!
Ab März 2024 soll es prozentuale Steigerungen geben.
Von entweder acht Prozent in den mittleren Einkommen oder zehn Prozent in den unteren, in zwei Stufen, aber auf 27 Monate. Das wird die Inflation lange nicht ausgleichen können! Und wirkt auch weniger als der Mindestbetrag von 650 Euro, den wir als soziale Komponente fordern. Prozentuale Steigerungen haben immer den Nachteil, dass sie in den oberen Gehaltsklassen viel mehr bedeuten als in den unteren. Deshalb ist dieses Angebot weit davon entfernt, dass die Eisenbahner und Eisenbahnerinnen bei uns die Tür einrennen und fordern: Schließen wir jetzt mal zügig ab. Wenn sich da nicht wirklich etwas bewegt, wird es für uns überhaupt kein Problem, weitere Warnstreiks durchzuführen.
Auf die Barrikaden, runter von den Barrikaden – werden sich die Leute noch mal so leicht mobilisieren lassen?
Da bin ich mir ganz, ganz sicher. Die Wut ist wirklich groß. Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Da sagt man: Die Leute haben echt den Kaffee auf. Es gibt kein Verständnis dafür, wie der Arbeitgeber gerade agiert. Denn die Leute sehen: Was da gerade angeboten wird, bedeutet deutliche Reallohnverluste. Das ist keine Antwort auf das größte Problem: dass die Leute weglaufen, weil sie woanders viel mehr verdienen, ob in der Metallbranche oder bei der Bundeswehr. Das tun die tatsächlich. Nicht, weil sie nicht gerne bei der Bahn arbeiten, sondern weil sie inzwischen existenzielle Nöte haben.
Manche denken, so schlecht verdient man doch gar nicht bei der Bahn. Nennen Sie mal ein paar Eckzahlen.
Bei der Bahn gibt es sehr viele Berufe und eben sehr unterschiedliche Verdienste. Der durchschnittliche Facharbeiter, wozu für uns der Lokführer oder die Leute in Werkstätten zählen, verdient bei der Bahn im Schnitt 39 700 Euro im Jahr. Und damit ein Viertel unter dem in anderen Branchen, Kfz-Mechaniker etwa oder in der Metallindustrie. Dort ist der Unterschied am deutlichsten: Hier verdient man mehrere 100 Euro mehr, im Schnitt 61 000 Euro pro Jahr.
Sind die Störungen, die Bahnreisende kennen, allesamt dem Personalmangel geschuldet? »Verzögerungen im Betriebsablauf« scheinen die Regel, ständig ist das Bordrestaurant geschlossen oder fallen Züge ganz aus.
Die Zahl der Fahrplaneinschränkungen aufgrund von Personalmangel im letzten Jahr war enorm. Es kann immer mal sein, dass ein Lokführer oder Zugbegleiter kurzfristig ausfällt. Aber jetzt ist es schon schwierig, die normalen Schichten voll zu besetzen. Da müssen wir über Vertretung gar nicht reden. Zugbegleiter zum Beispiel müssen einmal in der Woche 40 Stunden hintereinander Ruhe haben. Inzwischen werden die Dienstpläne aber so gestrickt: Wenn Dienstende um 3:47 an der Einsatzstelle ist, fangen ab dann die 40 Stunden an zu ticken. Aber wann ist man realistisch zu Hause und kann sich tatsächlich ausruhen? In der übernächsten Nacht geht es dann wieder los. Hinzu kommt der Personalmangel in allen Bereichen der Bahn. Das macht die Leute kaputt. Durch die hohe Belastung sind die Krankheitsfälle drastisch gestiegen. Und dadurch haben die Bahnen noch weniger Personal.
Und die Unzufriedenheit der Kunden steigt.
Was wir als Zugreisende erleben, erleben die Zugbegleiter genauso. Die leiden genauso unter Verspätungen. Sie kommen ja auch nicht nach Hause, sondern müssen dann Überstunden machen. Zugleich kriegen sie den Ärger der Kunden ab. Die Übergriffe auf Zugbegleiter, aber auch auf Leute, die in den Bahnhöfen bei Station und Service arbeiten, nehmen zu. Die haben mit dem 9-Euro-Ticket harte Monate hinter sich.
Sie verhandeln nicht nur mit der Deutschen Bahn, sondern zeitgleich mit 50 Verkehrsunternehmen. Das macht die Verhandlungen noch komplexer und wahrscheinlich auch anstrengender. Warum tun Sie sich das an?
Wir tun uns das an, weil wir das Niveau der gesamten Branche im Blick haben müssen. Es hilft nichts, wenn nur in einzelnen Unternehmen die Gehälter hochgehen. Das führt zur gegenseitigen Kannibalisierung, aber die ökologische Verkehrswende, die Stärkung der Schiene, wie es im Koalitionsvertrag steht, wird man auf diesem Wege nicht hinbekommen. Doppelt so viele Fahrgäste bis 2030 und ein Schienengüterverkehr mit einem Anteil von 25 Prozent: Dafür muss man ja mehr Verkehr leisten können. Es ist keine Lösung, wenn man sich gegenseitig das Personal abluchst.
Ist das Lohnniveau bei kleineren Privatbahnen immer schlechter?
Es gibt durchaus Unternehmen, die zahlen besser als die DB AG. Das Lohnniveau ist sehr unterschiedlich, was auch bei Ausschreibungen ins Gewicht fällt. Noch immer sind die Gehälter oft der Punkt im Wettbewerb, die am Ende über den Zuschlag entscheiden. Wir wollen aber natürlich nicht, dass der Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten geht. Und verhandeln daher jetzt zeitgleich in 50 Unternehmen. Die Arbeitgeber hätten uns den Job allerdings sehr viel leichter machen können.
Inwiefern?
Sie könnten sich in einem Arbeitgeberverband zusammenschließen oder einen Branchentarifvertrag abschließen. Der würde dann für alle gelten. Da das nicht geklappt hat, haben wir den Job für die Arbeitgeber übernommen und die Laufzeiten der Tarifverträge so aufeinander abgestimmt, dass wir den Großteil der Branche im Personennahverkehr mit unterhaken. Dadurch gewinnen wir auch noch mal an Streikmacht hinzu.
Diese Tarifrunde hat also zwei, drei Jahre Vorlauf?
Eigentlich hatten wir das schon für die letzte Runde geplant. Wegen der Coronakrise haben wir dann aber eher Zurückhaltung geübt, damit die Arbeitsplätze gesichert sind. Jetzt haben sich die Tarifkommissionen in allen 50 Unternehmen auf gemeinsame Kernforderungen geeinigt. Dazu kommen unternehmensspezifische Forderungen wie zum Beispiel bei der Deutschen Bahn AG das Thema Mindestlohn oder bei anderen das Wahlarbeitszeitmodell. Das gibt es noch nicht bei allen.
Kommen Sie bei den anderen Bahnen besser voran?
Bei einigen ja, aber natürlich nicht bei allen. In einigen Unternehmen sind wir ganz gut unterwegs, da haben wir kürzere Laufzeiten angeboten bekommen als von der DB AG, da verhandeln wir schon über den Mindestbetrag. Und wenn uns jetzt eine Privatbahn ein wirklich tolles Angebot macht, dann werden wir auch abschließen. Das wäre dann der Maßstab für die anderen.
Schwächt das Ihre Streikmacht nicht wieder, wenn nach und nach Bahnen rausfallen?
Ich würde sagen, man könnte damit ein gutes Beispiel werden.
Worauf richten Sie sich ein: Wie lange wird diese Tarifrunde noch dauern?
Das kann ich wirklich nicht sagen. Das liegt ja nicht an uns. Für uns ist klar: Wir wollen mit einem guten Ergebnis für die Kolleginnen und Kollegen rauskommen.
Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft Claus Weselsky geht schon jetzt davon aus, dass seine Gewerkschaft mit der Bahn bessere Tarifbedingungen aushandeln wird. Geraten Sie durch die Konkurrenz in Rechtfertigungsdruck?
Die EVG hat eine ganz andere DNA als die GDL. Das sieht man auch bei dem Mindestlohn-Thema. Als Einheitsgewerkschaft vertreten wir alle Berufsgruppen, alle Geschäftsbereiche im Unternehmen und setzen auf gegenseitige Solidarität. Wenn beispielsweise nur die Kolleginnen und Kollegen in der Zugreinigung streiken, interessiert das zwar auf Dauer schon, aber nicht so massiv. Wir haken die unter und nehmen die mit. Das ist unsere Politik. Statt Rosinenpickerei zu betreiben, nur zu schauen, wie ich für eine streikmächtige Berufsgruppe das Beste rausholen kann.
Der Preis ist, dass Lokführer sich lieber bei der GDL organisieren.
Es gibt durchaus auch Lokführer in der EVG, fast 10 000, die sich gerne für die Solidargemeinschaft, für die gesamte Eisenbahnerfamilie einsetzen.
Die EVG hat Anfang März zusammen mit Verdi einen Tag lang gestreikt. Das hat viel Eindruck gemacht. Warum passiert sowas nicht öfter?
Die Situation war ziemlich einzigartig. Wir standen gleichzeitig in der Tarifauseinandersetzung und dann auch noch beide für Beschäftigte in der Mobilitätsbranche. Da liegt es natürlich nahe, auch mal einen Tag lang der Öffentlichkeit zu zeigen, was die Menschen in der Mobilitätsbranche jeden Tag so schaffen und wie schrecklich es ist, wenn die ihren Job nicht machen.
Könnten Sie das nicht genauso gezielt eintakten wie die Synchronisierung der Tariflaufzeiten von 50 Bahnunternehmen?
Ob man wirklich Tarifverträge und Laufzeiten schafft, aufeinander abzustimmen – das ist schon für eine Gewerkschaft alleine schwer. Die tarifliche Vielfalt bei Verdi ist ja noch viel breiter als bei uns. Wichtig ist: Wir sind in einem guten Kontakt. Wir haben gegenseitig einen strategischen Blick in Richtung der Branchen, in denen wir beide unterwegs sind. Und wir sind immer bereit, Synergieeffekte zu nutzen.
Verdi sieht Synergieeffekte auch mit der Klimabewegung und arbeitet in der Tarifrunde Nahverkehr mit Fridays for Future zusammen. Ist das auch eine Perspektive für die EVG?
Wir arbeiten auch mit Fridays for Future zusammen und haben uns etwa beim Klimastreik beteiligt. Bei unserer Demo zum Thema Güterverkehr im Oktober letzten Jahres hatten wir den Verband der Chemieindustrie da, Fridays for Future und die Eisenbahner. Eine witzige Kombi, die es so noch nicht gab. Anlass dafür waren Pläne der EU-Kommission, die die staatliche Unterstützung für die Gütersparte der Bahn DB Cargo infrage stellt. Klimapolitisch ist es total sinnvoll, dass die kleine Privatbrauerei ihr Bier mit einem einzelnen Güterwagen zum Großhändler schaffen kann. Der Einzelwagenverkehr erbringt 18 Prozent des gesamten Schienengüterverkehrs und ersetzt bis zu 40 000 Lkw-Fahrten täglich. Aber diese einzelnen Waggons zu ganzen Zügen zusammenzukoppeln und wieder aufzuteilen ist teuer. Dagegen Unternehmen, die ganze Güterzüge voll Waren produzieren – das kann man wirtschaftlich betreiben. Mir ist unverständlich, warum ein Tesla-Werk überhaupt ohne Bahnanschluss genehmigt wird.
In der Öffentlichkeit nimmt man eher Verdi als die gewerkschaftliche Vorreiterin in der Klimafrage wahr.
Wir sind kleiner als Verdi. In der EVG sind es vor allem die Jugend und die ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen, die solche Netzwerke pflegen. Das politische Feld bestellen wir auch. Aber ganz konkret ist für uns erst mal die Kärrnerarbeit im Betrieb wichtig.
Um die Probleme im Schienenverkehr zu lösen, befürwortet die Monopolkommission, die die Bundesregierung berät, die Trennung von Netz und Betrieb. Auch die GDL ist dafür. Befürworter dieser Aufspaltung sehen als Hauptgrund der Probleme die Monopolstellung der Deutschen Bahn AG. Warum ist die EVG dagegen?
Schlicht und einfach, weil die Schiene ein kompliziertes System ist, bei dem man immer den anderen mitdenken muss. Wenn das System an der einen Stelle gestört ist, funktioniert es auch an einer anderen nicht.
Die Aufspaltung könnte es ja übersichtlicher machen.
Je mehr Trennung man hat, desto schwieriger wird es, glaube ich. Mit einem Gegeneinander oder mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen kommt man in einem System nicht weiter. Der andere Grund für uns sind die Arbeitsbedingungen. Im Konzern haben wir bestimmte Vorteile wie einen integrierten Arbeitsmarkt. Der Lokführer, der aufgrund eines Personenunfalls traumatisiert ist, kann umschulen und beispielsweise bei Station und Service am Bahnhof arbeiten oder sich weiterbilden zum Fahrdienstleiter. Und ich denke auch an unsere Dienstleister – Zugreinigung, Leute, die den Fahrweg befahrbar halten, Baumschnitt machen, die Gleise in Schuss halten – da können wir dafür sorgen, dass die gute Arbeitsbedingungen haben. Bei Trennung von Netz und Betrieb müsste die Bahn diese Dienstleistungen vielleicht europaweit ausschreiben. Und es geht auch um Qualität. Wie zuverlässig kommt ein Unternehmen, das mit dem Konzern nichts zu tun hat, am Ende wirklich? Weiß ich, ob die Sicherheitsfirma, die die Bahnhöfe bewacht, beim nächsten Fußballspiel vielleicht lieber einen anderen Auftrag hat?
Das Gegenargument ist, die Monopolstellung macht die Bahn fett und bequem, führt jedenfalls auch nicht zu höchster Qualität.
Ich weiß nicht, ob dieser Mechanismus wirklich so wirkt. Das ist ja kein Wettbewerb wie im Supermarkt, wo ich die Butter aus dem Regal nehme, die mir besser schmeckt. Am Bahnsteig nehme ich den Zug, der kommt. Der Wettbewerb läuft vielmehr zwischen den Verkehrsträgern. Die Deutsche Bahn muss überlegen, was sie als Eisenbahnverkehrsunternehmen anbietet, damit die Leute nicht mit dem Auto fahren.
Drei Ideen?
Die Fahrt mit der Bahn muss attraktiv, zuverlässig und bezahlbar sein, dann gelingt die Verkehrswende. Nur so entdecken noch mehr Menschen den Zug als eine tolle Alternative zum Auto oder Flugzeug.
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