- Berlin
- Wohnungsverkauf
Verdrängung: Geschäft mit dem Zuhause
Mieter*innen wehren sich gegen Kaufbesichtigungen der eigenen Wohnungen
»Wollen Sie auch die Wohnung kaufen? Dann heißen wir Sie hier herzlich nicht willkommen.« Mit diesen Worten wird am Dienstagabend vor dem Eingang der Lychener Straße 50 in Prenzlauer Berg ein älterer Mann angesprochen. Nach kurzem Zögern geht er zielstrebig durch die Haustür, begleitet von vielstimmigen Buhrufen. Vor dem Haus haben sich etwa 30 Menschen versammelt.
Einige halten ein Transparent mit der Aufschrift »Eigenbedarfskündigungen stoppen« in die Höhe. Auf einer Fahne wirbt die Mieter*innengewerkschaft für sich. Dabei handelt es sich um eine Selbstorganisation von Betroffenen, die kollektiv Mieter*innenrechte durchsetzen will. Mobilisiert wurden sie von einigen Nachbar*innen in der Lychener Straße, die beunruhigt sind, weil ihre Wohnungen verkauft werden sollen. Durch sie wurde auch bekannt, dass am Montagabend potenzielle Käufer*innen der Wohnung zur Besichtigung eingeladen werden.
Die Mieter*innen haben dabei keine Mitsprachemöglichkeit. Ihnen wird der Besichtigungstermin mitgeteilt, den sie innerhalb einer Frist zwar verschieben können. Fremden Kaufinteressierten den Zugang zur eigenen Wohnung komplett zu verweigern, ist aber nicht möglich und kann sogar als Kündigungsgrund dienen. Im Endeffekt müssen die Betroffenen also wildfremde Menschen durch ihr Schlafzimmer spazieren lassen.
Das ist nicht das einzige Problem, das viele Bewohner*innen mit den Verkäufen haben. Das wird schnell bei den lebhaften Gesprächen deutlich, die fast zwei Stunden lang vor der Haustür zur Lychener Straße 50 geführt werden. »Wenn Sie hier die Wohnung kaufen, verdrängen Sie die Menschen, die jetzt drin wohnen«, sagt eine Frau zu einer Familie, die ebenfalls an dem Wohnungskauf Interesse zeigt. Während das ältere Ehepaar zunächst zögert, geht der Sohn forsch zur Haustür und sagt nur: »Ihnen bin ich keine Rechenschaft schuldig.«
Abwehrend reagiert eine weitere Interessentin. »Wir kennen uns doch gar nicht. Was wissen Sie denn von mir?«, sagt sie kurz und geht sofort weiter. Die Antwort der protestierenden Nachbarin hörte sie schon nicht mehr. »Ich weiß nur, dass Sie diese Wohnung kaufen wollen und dass Sie damit Mieter*innen verdrängen.«
Mit dieser Angst ist sie in der Gegend nicht allein. Mehrere Bewohner*innen aus Nachbarhäusern bleiben stehen und fragen nach weiterem Informationsmaterial. »Ich will vorbereitet sein, wenn meine Wohnung auch verkauft werden soll«, sagt eine ältere Frau. Die Angst ist nicht unbegründet. Im Bezirk Pankow laufen die letzten Sozialbindungen für etwa 3600 sanierte Wohnungen aus. Schon jetzt ist die Zahl der Wohngeldanträge in der Gegend gestiegen. »Es droht die restlose Gentrifizierung von Pankow und Prenzlauer Berg. Doch die Mieter*innen wollen ihr Zuhause behalten und werden aktiv«, sagt einer der protestierenden Nachbarn gegenüber »nd«. »Der Protest steht somit auch nicht allein.«
»Wir kommen wieder«, werden potenzielle Käufer*innen der Wohnung daran erinnert, dass es auch in Prenzlauer Berg Mieter*innen gibt, die für ihre Rechte kämpfen. Jeden ersten Sonntag im Monat laden sie von 15 bis 17 Uhr zum sogenannten »W-/Mut-Austausch« ein. Diese Treffen sollen dabei helfen, dass sich die Nachbar*innen kennenlernen und organisieren. »Vielleicht fällt beim Austausch auch ein Stück Verdrängungskuchen, eine Eigenbedarfsschmalzschrippe oder eine Tasse Mietwahnsinnskaffee für Kiezbewohner*innen und Hausgemeinschaften ab«, heißt es auf Flyern, mit denen zu diesen Treffen eingeladen wird.
Viele der Mieter*innen beteiligen sich auch am monatlichen Pankower Kieztreffen, das jeden letzten Donnerstag im Monat um 18.30 Uhr im Platzhaus am Teutoburger Platz stattfindet. Mittlerweile wurde eine Broschüre unter dem Titel »Eigenbedarf und Wohnungskauf« erstellt, die im Internet runtergeladen werden kann. Die Mieter*innen bereiten sich auch auf drohende Eigenbedarfskündigungen vor. Solidarische Prozessbegleitungen werden vorbereitet. Potenzielle Käufer*innen sollen merken, dass es auch in Prenzlauer Berg noch Mietrebell*innen gibt und nicht nur in Kreuzberg und Neukölln.
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