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Schwarz-Rot in Berlin: Maß und Mitte
Seit vier Wochen hat Berlin einen neuen Senat. In einigen Bereichen legen die Koalitionäre ein überraschend rabiates Tempo vor
Martin Pätzold ist zufrieden, außerordentlich zufrieden. »Der Start der neuen Koalition ist doch höchst erfolgreich, wenn jetzt bereits spürbar ist, dass eine neue Politik in der Stadt Einzug hält«, sagt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die neue Politik – das sei »das, was zählt und was die Berlinerinnen und Berliner interessiert«.
Sein Fraktionskollege Danny Freymark sieht das genauso. »Das Besondere an der Koalition wird sein, dass wir die Dinge lösen, die in den vergangenen Jahren liegengeblieben sind und die dazu geführt haben, dass sich so viele Wählerinnen und Wähler von Rot-Grün-Rot abgewandt haben«, sagt der Umweltexperte der CDU-Fraktion.
Freymark und Pätzold kommen aus Lichtenberg, genauer: aus Hohenschönhausen. In der Wahrnehmung vieler altgedienter Westberliner CDU-Mitglieder also aus dem allertiefsten Osten, fast schon Sibirien, faktisch uninteressant. Bis zur Abgeordnetenhauswahl 2021, als Freymark und Pätzold die benachbarten Wahlkreise Lichtenberg 1 und Lichtenberg 2 direkt gewannen.
Bei der Wiederholungswahl im Februar konnten beide ihre Mandate dann sogar geradezu sensationell verteidigen. Freymark steigerte sein Erstimmenergebnis von rund 25 auf fast 41 Prozent, Pätzold von 21 auf gut 40 Prozent. Das Selbstbewusstsein der in Hohenschönhausen aufgewachsenen, verhältnismäßig jungen CDU-Politiker – Pätzold ist 38 Jahre alt, Freymark vor kurzem 40 geworden – kommt nicht von ungefähr.
Und tatsächlich muss man Martin Pätzold mit Blick auf die »neue Politik« in gewisser Weise recht geben: In atemberaubendem Tempo versucht der gerade mal seit vier Wochen amtierende schwarz-rote Senat unter CDU-Landeschef Kai Wegner als Regierendem Bürgermeister, eine neue politische Linie durchzuziehen.
So erklärte SPD-Bausenator Christian Gaebler kurz nach der Ach-und-Krach-Wahl Wegners im Abgeordnetenhaus, dass der Mietenstopp bei den rund 350 000 landeseigenen Wohnungen nicht über das Jahresende hinaus verlängert wird. So ließ SPD-Innensenatorin Iris Spranger vor gut einer Woche in der Wuhlheide ein Protestcamp gegen den geplanten Bau einer Schnellstraße nach nur wenigen Tagen polizeilich abräumen. So kündigte CDU-Verkehrs- und Umweltsenatorin Manja Schreiner jetzt an, dass über den zur Fußgängerzone umgewidmeten Abschnitt der Friedrichstraße ab Juli wieder Autos langbrettern sollen. Die Beispiele ließen sich fortführen.
»Wir erleben jetzt schon eine Basta-Politik. Das lässt nichts Gutes erahnen für die kommenden Jahre«, sagt Berlins neuer Linke-Co-Landeschef Maximilian Schirmer. Ähnlich Philmon Ghirmai, der Co-Vorsitzende der Berliner Grünen: »Ich erwarte von Schwarz-Rot nichts, was der Stadt dabei hilft, zentrale soziale und ökologische Probleme ernsthaft zu beheben«, sagt Ghirmai. Mehr noch: Im schlimmsten Fall treibe die Regierung »mit wichtigen sozialen und gesellschaftspolitischen Projekten der Stadt- und Zivilgesellschaft Schindluder«.
Alles Quatsch, sagen Martin Pätzold und Danny Freymark im Gespräch mit »nd«. Bei der Wuhlheide zeige sich doch nur, »dass Recht in Berlin wieder durchgesetzt wird«, sagt Pätzold. »Die Räumung basierte auf einer Rechtsgrundlage. Und das ist auch ein neuer Wind, nämlich dass wir Recht durchsetzen. Etwas, was vorher nicht passiert ist und viele Berlinerinnen und Berliner geärgert hat, im Kleinen wie im Großen.« Law-and-Order-Sätze, von Pätzold jedoch sehr ruhig mit sanfter Stimme vorgetragen.
Danny Freymark, der als einer der wenigen in der Berliner CDU immer wieder deutlich macht, dass es ihm ernst ist mit dem Umweltschutz, hält sich in der Bewertung der Räumung zurück. Er sagt, er sei da »nicht nah genug dran gewesen« und verlasse sich darauf, was die Innensenatorin in Absprache mit der Umweltsenatorin vereinbart habe. »Und offensichtlich war das das Ergebnis.«
Umso klarer ist Freymark bei der Wiederfreigabe der Friedrichstraße für den Autoverkehr: »Wir haben es ja im Wahlkampf gesehen, dass es diese Fokussierung auf die Friedrichstraße gab, auch bei den Wählerinnen und Wählern, und die haben ganz klar dafür abgestimmt, dass diese Hauruck-Verkehrspolitik ersetzt wird mit Maß und Mitte und das wird jetzt durchgesetzt.«
Neue Politik, neuer Wind, Maß und Mitte: Drei Anläufe hatte Kai Wegner Ende April im Abgeordnetenhaus gebraucht, um seine Mehrheit zusammenzubekommen, sich zum neuen Senatschef vereidigen zu lassen und dann allein und mit verdrießlicher Miene auf der Regierungsbank Platz zu nehmen.
Grünen-Politiker Philmon Ghirmai betrachtet die drei Wahlgänge als den sinnbildlichen Auftakt einer »Streitkoalition«, einer »Koalition des Misstrauens und Gegeneinanders«. Auch für Linke-Chef Maximilian Schirmer zeigt die fast vergeigte Wahl Wegners, »dass die Koalition von Anfang an auf wackligen Beinen steht«. Und nicht nur der Start der Koalition sei chaotisch gewesen: »Es geht ja auch so weiter.«
Schirmer und Ghirmai verweisen in dem Zusammenhang auf die Anfang dieser Woche hochgekochte Diskussion um die im Koalitionsvertrag zaghaft und ganz eventuell für die Zeit ab Mitte 2025 in Aussicht gestellte Ausbildungsplatzumlage. So folgte auf einen Beitrag von SPD-Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe im »Tagesspiegel«, in dem sie sich für die Umlage stark gemacht hatte, umgehend Widerspruch aus der CDU-Fraktion, in dem Fall vom zuständigen Fachsprecher Martin Pätzold. »Verabredungen, die getroffen werden, haben offenbar eine Halbwertzeit von wenigen Wochen«, bilanziert Ghirmai.
Das Thema könne man jetzt hochhängen, man kann es aber auch sein lassen, gibt Pätzold zurück: »Ich habe hier nur den Koalitionsvertrag wiedergegeben. Wir tun erst einmal alles dafür, dass unsere Ausbildungsoffensive erfolgreich ist, dann brauchen wir keine Arbeitsplatzabgabe oder -umlage. Und daran arbeiten wir.« Mehr gebe es dazu nicht zu sagen. Auch Fraktionskollege Danny Freymark winkt ab. Jeder in der Koalition dürfe »seine eigenen Punkte setzen« und das »in maximalem Wohlwollen«. Nur so ließe sich »Politik in der Stadt und für die Stadt gestalten«, sagt Freymark in feinster Politprosa.
Nicht zuletzt für ihre Wahlkreise in Hohenschönhausen hätten sich nun ganz neue Perspektiven ergeben, versichern die beiden CDU-Politiker. Noch nie habe es »so viel Hohenschönhausen« in einem Koalitionsvertrag gegeben wie jetzt unter Schwarz-Rot. Ganz oben steht dabei aus Sicht von Freymark und Pätzold die Absichtserklärung, die S-Bahnlinie S75 »schnellstmöglich« wieder bis zum Westkreuz und mindestens im 20-Minuten-Takt über die Stadtbahn zu führen.
Über viele Jahre führte die S75 von Wartenberg bis in den Westen der Stadt. 2017 war damit Schluss. Seither endet die S75 am S-Bahnhof Warschauer Straße. Seither hat Danny Freymark in der Sache zahlreiche parlamentarische Anfragen an den Senat gestellt. Seither, sagt er, habe sich nichts getan.
Die Verwaltung der ehemaligen Grünen-Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch habe sich dafür einfach nicht interessiert. Freymark sagt: »Wir haben immer wieder Gespräche geführt, mit Frau Jarasch und ihrer Vorgängerin Regine Günther, und immer wieder deutlich gemacht: Vergessen Sie die Region Hohenschönhausen nicht. Denn das ist nun mal ein Riesenthema für uns, vor allem aber für die Hohenschönhausener, dass die S75 wieder auf die Stadtbahn geführt wird.« Deswegen werde man das Projekt jetzt auch mit aller Kraft vorantreiben.
Das Argument, dass der Umstieg an der Warschauer Straße doch im Grunde verkraftbar ist, lassen Pätzold und Freymark nicht gelten. »Was machen Sie, wenn sie geheingeschränkt sind?«, fragt Pätzold. »Die Leute verlieren ihren Sitzplatz. Sie müssen auf die nächste Bahn warten, in der Regel ist die dann voll oder voller, das nervt«, ergänzt Freymark. Vor allem müsse man aber sehen: »Wenn man wie bei der S75 den Status quo einbüßt, obwohl man zeitgleich verlautbaren lässt, der ÖPNV hätte Priorität, das Auto müsse zurückgedrängt werden, das lässt sich doch nicht glaubhaft als Paket verkaufen.«
Das Engagement für die S75 wie überhaupt für den öffentlichen Personennahverkehr sei schön und gut und natürlich ein wichtiges Anliegen, sagt Maximilian Schirmer von der Linken. Aber nicht nur vermisse er »wirklich konkrete Konzepte für den Ausbau« des ÖPNV. »Auch bei der Frage des bezahlbaren Wohnraums, der maroden Schulen und Krankenhäuser bleibt es bei schönen Überschriften. Dabei sind das die Probleme, die keinen Aufschub dulden und die endlich angepackt werden müssen.«
Nimmt man allein die Regierungserklärung von Kai Wegner an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus zum Maßstab, ist Schirmers Kritik nicht von der Hand zu weisen. »Wir machen Politik für alle Menschen in der Stadt«, »Wir wollen die Stadt wieder zusammenführen«, »Wir wollen keine Zeit verlieren«: Über weite Strecken glichen Wegners Ausführungen zu den Richtlinien der künftigen Regierungspolitik einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung von Floskeln.
Martin Pätzold und Danny Freymark freuen sich auf die kommenden Jahre. Pätzold sagt: »Wir beide bekennen uns klar zu unseren Heimatwahlkreisen. Wir bekennen uns klar dazu, dass wir ansprechbar sind, dass wir uns vor Ort kümmern.« Zur Wahrheit gehört, dass man den beiden CDU-Politikern das abnimmt.
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