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Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus im türkischen Wahlkampf
Vor der Stichwahl in der Türkei schüren die Kandidaten Ängste
Die Stichwahl für das türkische Präsidentenamt wird zu einem Überbietungswettbewerb in Sachen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. Sowohl Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan als auch sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu werfen mit Schlagworten aus der Kiste rechtskonservativer Politik um sich. Wer seine Heimat liebe, schreibt Kılıçdaroğlu auf Twitter, solle an die Urnen gehen. Gemeinsamer Feind sind die syrischen und afghanischen Flüchtlinge, die in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden sollen.
Dabei versucht der Herausforderer, den Amtsinhaber noch rechts zu überholen: Die Geflüchteten könnten »zu einer Verbrechensmaschine werden«. Kılıçdaroğlu verspricht, alle Flüchtlinge gleich nach der Wahl zurückzubefördern, und appelliert an die rund acht Millionen Menschen, die im ersten Durchgang nicht gewählt haben: »Lasst diejenigen, die ihr Heimatland lieben, zur Wahlurne gehen, bevor die ankommenden Flüchtlinge das Leben unserer Mädchen völlig verdunkeln«, erklärte Kılıçdaroğlu am 22. Mai auf Twitter.
Erdoğan gibt sich staatsmännischer, will zunächst einen Zeitplan für die Rückkehr der Geflüchteten vorlegen. Laut türkischem Innenminister hat die Türkei mit dem Bau von Wohnungen in Syrien für die Kriegsflüchtlinge begonnen. Erdoğans Wahlstrategie besteht vor allem in der Diskreditierung des politischen Gegners: Der größten Oppositionspartei CHP hält er ein angebliches Bündnis mit der pro-kurdischen Partei HDP vor, die für Erdoğan nichts weiter ist als eine Art politischer Arm der kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Nationalismus sowie das Schüren von Ängsten vor Geflüchteten und vermeintlichen Terroristen sind die Themen bei der Stichwahl, kein Wunder also, dass der drittplatzierte Kandidat bei den türkischen Präsidentschaftswahlen, Ultranationalist Sinan Oğan, sich auf die Seite des Favoriten Erdoğan geschlagen und seine Wähler aufgefordert hat, am Sonntag für den amtierenden Präsidenten zu stimmen. Die beiden Männer eint viel. So sehen sowohl Oğan als auch Erdoğan die Türkei unter den großen Nationen der Welt, die Nation gilt ihnen fast alles.
Der 56-jährige Sinan Oğan gehörte einst der ultra-nationalistischen Partei MHP an, heute Teil der Koalition Erdoğans, und vertritt extrem nationalistische Positionen, unter anderem was die Homogenität der Bevölkerung und die Sprache angeht. Kompromisse mit der kurdischen Bevölkerung sind mit ihm nicht zu haben. Er ist aserbaidschanischer Abstammung und hält in der Türkei die brüderliche Verbundenheit aller turksprachigen Länder hoch.
»Der Nationalismus ist der steigende Trend in der Türkei«, sagt laut dpa Hürcan Asli Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS). Aus der Wahl sei das nationalistischste Parlament in der Geschichte der Türkei hervorgegangen, so Aksoy. Dabei hat das Regierungslager am 14. Mai eine Mehrheit von 323 Sitzen erobert – 21 Sitze weniger als zuvor, aber die Mehrheit im 600 Sitze umfassenden Parlament ist gesichert. Verfehlt hat das Regierungslager die für Verfassungsänderungen erforderliche Mehrheit von 360 Sitzen; das oppositionelle Bündnis der Nation hat 212 Sitze. Aber vielleicht gibt es noch Überraschungen: Bei einer Umfrage gaben 14 Prozent der 970 Befragten an, anders als im ersten Wahlgang abstimmen zu wollen.
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