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Gießkanne für die Vorstände
Aktienrückkäufe waren einst heftig umstritten, heute sind sie Alltagsgeschäft
Der wichtigste deutsche Aktienindex DAX ist auf Rekordkurs. Manfred Knof von der Commerzbank, Christian Klein von SAP und andere Vorstandsvorsitzende der Deutschland AG müssten sich daher vom »bedingungsloses Grundeinkommen« eigentlich nicht angesprochen fühlen. »Vorsicht Selbstbetrug«, warnt jedoch der Infodienst »The Pioneer Briefing«, der für seine zugespitzte Wirtschaftsberichterstattung bekannt ist. »Obwohl die CEOs hart arbeiten – und die Sorgenfalten sich mit den Jahren in ihre Gesichter eingraben – helfen sie mit, zumindest den Lohn der Aktionäre und auch den ihrer Vorstandskollegen von der Leistung zu entkoppeln.« Das Zauberwort heißt Aktienrückkaufprogramm.
Beispiel Commerzbank: Die Großbank, die in der Finanzkrise 2007/2008 vom Staat gerettet wurde, wähnt sich nach schwierigen Jahren über dem Berg. »Damit haben wir wieder die Stärke, Kapital an unsere Aktionärinnen und Aktionäre auszuschütten«, freut sich Finanzvorständin Bettina Orlopp. »Dafür haben wir uns bewusst für eine Kombination aus Dividendenzahlung und Aktienrückkaufprogramm entschieden.« Vorstand und Aufsichtsrat haben ein Aktienrückkaufprogramm im Volumen von 122 Millionen Euro beschlossen. Die Finanzagentur des Bundes, sie verwaltet die Staatsbeteiligung von 15,6 Prozent, muss noch zustimmen. Auf der Hauptversammlung am Mittwoch könnte der Aktienrückkauf dann dingfest gemacht werden.
Noch eine Schippe drauf legt die wirtschaftlich weit potentere Munich Re, weltgrößter Rückversicherer aus München. Bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung im April 2024 sollen eigene Aktien im Wert von bis zu einer Milliarde Euro erworben werden. Die zeitliche Streckung erfolgt, um die Auswirkungen auf den Börsenkurs möglichst gering zu halten, ein angekündigter Milliarden-Deal könnte zu Börsenturbulenzen führen. Eine besonders große Gießkanne schüttet Deutschlands größter Börsenkonzern SAP aus: Der weltweit erfolgreiche Softwarekonzern aus dem baden-württembergischen Walldorf will Aktien im Wert von von Milliarden Euro zurückkaufen.
Doch was treibt Vorstände und Aufsichtsräte, eigene Aktien massenhaft zurückzukaufen? Den Bossen geht es um »passives Einkommen«, wettert der Infodienst »The Pioneer Briefing«. Durch das, was man an der Wall Street »Financial Engineering« nennt, werden die Aktienkurse geschönt: Aktienrückkäufe verringern die Anzahl der handelbaren Anteile, bei entsprechender Nachfrage steigt deswegen ihr Börsenkurs. Da Einkommen und Pensionszahlungen von Managern üblicherweise an diesen gekoppelt sind, treibt der Aktienrückkauf auch die Boni der Bosse in die Höhe.
Weitere Aspekte machen Aktienrückkäufe so attraktiv, dass entsprechende Programme in den meisten großen Aktiengesellschaften in Deutschland laufen oder geplant sind. Auf einen weiteren Vorteil, der sich für Investoren wie Blackrock ergibt, weist der Fachinformationsdienst »Finanzen« hin: Nach dem Einzug von eigenen Aktien steigt die Dividendenrendite für die verbliebenen Anteilseigner, da die gesamte Dividende (üblicherweise 30 bis 60 Prozent des Nettogewinns eines Unternehmens) auf weniger Aktien verteilt wird. »Wer sich hingegen im Zuge eines Aktienrückkaufprogramms von seinen Anteilen trennt, kann auf eine Prämie hoffen, die das Unternehmen auf den aktuellen Aktienkurs zahlt«, so »Finanzen« weiter. Und wer nicht gleich Kasse machen will, kann später womöglich einen höheren Verkaufspreis an der Börse erzielen.
Wie die in diesem Frühjahr veröffentlichten Bilanzen zeigen, wurde 2022 weltweit zum Rekordjahr: Die 1200 Top-Unternehmen der Welt kauften für ein Rekordvolumen von 1,23 Billionen Euro eigene Aktien zurück. Was der Summe entspricht, welche dieselben Unternehmen an Dividende ausschütten. Das waren 22 Prozent mehr als 2021, dem bisherigen Rekordjahr, wie aus einer Studie der Investmentgesellschaft Janus Henderson hervorgeht.
Kritische Aktionäre, aber auch herkömmliche Aktionärsvereinigungen wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz bleiben allerdings skeptisch. Aktienrückkauf bedeute, dass das Management offenbar keine zukunftsweisenden Ideen für sein Unternehmen habe. So könnte »überschüssiges« Kapital besser in Forschung und Entwicklung investiert, für zukunftsorientierte Zukäufe genutzt oder als Sicherheit für Krisenzeiten zurückgelegt werden.
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