- Politik
- Unruhen im Senegal
Senegals Demokratie driftet ab
Tote bei Protesten nach Urteil gegen Oppositionsführer Ousmane Sonko
Es war ein Urteil mit absehbar gewaltiger Sprengkraft: Ousmane Sonko, der populärste Vertreter der Opposition im Senegal, soll für zwei Jahre ins Gefängnis wegen »Verführung einer Jugendlichen«. Sonko muss die Haftstrafe ab sofort antreten. Er mobilisierte seit Jahren die unzufriedene Jugend gegen die Staatsmacht. Mit der Haft kann der gefährlichste Rivale von Präsident Macky Sall laut Wahlgesetz nicht zur Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr antreten. Eine dritte Amtszeit von Präsident Sall, der sich weiterhin zu einer möglichen Kandidatur ausschweigt, wird somit immer wahrscheinlicher. Ein großer Teil der Jugend, die im Senegal mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, will ihn nicht mehr haben, das Establishment schon.
»Wir haben mit Bedauern die Gewalt zur Kenntnis genommen, die zur Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum und leider zu neun Todesfällen in Dakar und Ziguinchor geführt hat«, sagte Innenminister Antoine Diome in einer Presseerklärung am Donnerstag. Auf Videos und Fotos sah man das Ausmaß der Unruhen. Teile der staatlichen Universität und eines Bahnhofs in Dakar brannten. Bestimmte Messengerdienste wurden vorübergehend eingestellt. Inzwischen ist die Zahl der Toten auf 15 angestiegen.
Das als stabil und sicher geltende westafrikanische Land erlebt binnen weniger Monaten die nächsten heftigen Unruhen und Ausschreitungen. Ursächlich für die jüngsten Exzesse ist ein mutmaßlich politisch motiviertes Urteil. »Seine Anwälte werden das Urteil sicher anfechten«, sagte Abdou Diagne von Sonkos Pastef-Partei gegenüber »nd«. Auch der senegalesische Journalist Coumba Ndoffène zeigte sich gegenüber dieser Zeitung »zutiefst überrascht von dem Urteil«. Schließlich war der 48 Jahre alte Sonko, zugleich Bürgermeister der südsenegalesischen Großstadt Zigunchor, von den beiden Hauptanklagepunkten Vergewaltigung und Morddrohung freigesprochen worden. »Wenn die Grundlage der Anklage vom Gericht nachweislich abgelehnt wird, ist es doch verwunderlich, dass er dennoch verurteilt wird.« Die Klägerin Adji Sarr sei disqualifiziert worden vom Gericht. Sie stehe als Lügnerin da. Juristisch hätte Sonko daher rehabilitiert werden müssen. Stattdessen wurde Sonko zwar vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen, muss aber dem Opfer, der heute 23 Jahre alten Masseurin Adji Sarr, die Sonko vor mehr als zwei Jahren in dem Schönheitssalon »Sweet Beauté« verführt haben soll, rund 30 000 Euro zahlen müssen.
»Es ist kein guter Tag für den Senegal. Sall will Sonko weghaben, das hat er vorerst geschafft«, sagt Sonkos Parteifreund Diagne. Auch Ndoffène ist enttäuscht von dem Urteil. »Sonkos Verurteilung gibt kein gutes Bild ab für unser Land.« Der Prozess zog sich lange hin, denn Sonko wurde bereits im Februar 2021 von Sarr angezeigt. Zusammen mit den jüngsten Verfassungsänderungen in Salls Sinne sowie mutmaßlichen Bestrebungen Salls, erneut Präsident des 17-Millionen-Einwohner-Landes zu werden, gibt der Senegal derzeit kein gutes Bild einer Demokratie ab. »Reporter ohne Grenzen« attestierte Senegal kürzlich überdies Verschlechterungen in der Presse- und Meinungsfreiheit.
Dass Ousmane Sonkos Prozess politisch motiviert ist, weil er mundtot gemacht werden soll, ist seinen Anhängern zufolge offensichtlich. Sonko wurde bei seinen Wahlkampfauftritten schikaniert, seine mit Autokonvois deklarierte »Freiheitskarawane« durch das Land wurde behindert, seine Anhänger und er selbst wurden immer wieder kurzfristig festgenommen. So wurde Sonko vor einer Woche erneut unter Hausarrest gesetzt. 2021 wurde er wegen Anstiftung zum Aufruhr festgenommen, als er einer polizeilichen Vorladung nicht nachkam, was schwere Unruhen mit 14 Toten nach sich zog.
Im Mai musste er sich zudem wegen Beleidigung und Verleumdung gegen den Tourismusminister vor Gericht verantworten. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Am Donnerstag blieb er seinem Prozess ganz fern. Er saß derweil in seinem Haus in der Stadt Keur Gorgui fest. Sonko gibt aber nicht auf. Er fordert immer wieder Senegalesen auf, »gegen die Diktatur von Macky Sall aufzustehen« und »Widerstand« zu leisten, »um unsere Demokratie zurückzuholen«. Nach Ansicht von Diagne hat die Demokratie stark gelitten. »Der Senegal ist nicht mehr das, was er einmal war.«
In einer Pressemitteilung Sonkos, die der Redaktion vorliegt, greift Sonko Macky Sall weiter an. Er unterhalte ein System der Korruption, der Straffreiheit bei Handlungen schlechter Regierungsführung, der Veruntreuung öffentlicher Gelder und des Missbrauchs durch seine engsten Mitarbeiter. Mehr noch: »Er unterhält Schläger und private Milizen, die völlig ungestraft neben den Verteidigungs- und Sicherheitskräften operieren.«
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