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Fans feiern den HSV trotzt verlorener Relegation gegen Stuttgart
Mit erstaunlicher Euphorie geht der Hamburger SV ins sechste Zweitligajahr
Manchmal, das wissen Anhänger des Hamburger SV, glaubt man, dass sich im Rasen urplötzlich ein großes Loch auftut. Wenn es ganz schlimm kommt, hat sich zuvor der Lauf des Balls durch eine Papierkugel verändert, wie einst gegen Werder Bremen. Oder Aufstiegskonkurrent Heidenheim gelingen in 15 Minuten Nachspielzeit zwei Tore, während sich glückselige Hamburger Profis und Fans im Funkloch von Sandhausen bereits zurück in der ersten Liga wähnen.
Kein Problem stellte dazu im Vergleich die Rasenfläche im Volksparkstadion dar, die Ende Mai für zwei Konzerte der gigantischen Bühne von Metallica weichen musste. Der ersatzweise verlegte Rollrasen ist im ungewöhnlich warmen Hamburger Spätfrühling glücklicherweise schnell angewachsen. Er bot die Bühne für das Relegationsrückspiel, das der HSV am Montagabend gegen den VfB Stuttgart mit 1:3 (1:0) verloren hat.
Damit steht fest, was nach dem 3:0-Hinspielsieg der Schwaben am vergangenen Donnerstag fast alle ahnten: Der einstige Dino der Bundesliga wird ein sechstes Jahr im Unterhaus bleiben müssen. »Wir sind mittlerweile ein normaler Zweitligaklub – mit gigantisch vielen Fans«, lautet das Fazit von Tim Walter. Der Trainer des Hamburger Sportvereins hatte die Zuschauerstatistik genau gelesen. Nur in vier Stadien war zuletzt bundesweit mehr los als im Volkspark, wo durchschnittlich 53 529 Fans in der abgelaufenen Saison Eintritt gezahlt hatten.
Nachdem Walter nach der Niederlage in die Mikrofone gesprochen hatte, rieben sich objektive Beobachter die Augen. Hier stand ein über beide Backen strahlender Trainer, der das Saisonziel Aufstieg wie schon in der letztjährigen Relegation gegen Hertha BSC erneut verfehlt hatte, und warf Kusshände ins Publikum, das seinen Namen rief.
Ähnlich erging es Walters Mannschaft, die nach dem Abpfiff vor der Nordtribüne mit minutenlangen Gesängen gefeiert wurde und schließlich auch noch mit den Ultras abklatschte. Was jüngst in Dortmund beim Meisterschaftsfinale passiert war, geschah nun im Volkspark. Mit dem Unterschied, dass die Tränen im unterkühlteren Norden schneller trockneten. »Das ist extrem traurig«, sagte ein schnell wieder gefasster Sonny Kittel, der den HSV mit seinem sehenswerten Schuss nach sechs Minuten in Führung gebracht hatte. »Wir haben eine echt gute erste Halbzeit gespielt«, lobte der beste Hamburger Spieler des Abends völlig zurecht den couragierten Auftritt der Rothosen gegen kurzzeitig durchaus beeindruckt wirkende Gäste. Das Gegenpressing der Gastgeber funktionierte und auch die im Hinspiel völlig überforderte Abwehr stellte sich deutlich cleverer an.
Die in Blau gekleideten Anhänger lieferten dazu in der ersten Hälfte einen Soundtrack in Metallica-Lautstärke. »Es war sehr laut«, bestätigte der Stuttgarter Enzo Millot. Um 21.52 Uhr war es der Franzose, der dem Hamburger Heavy-Metal-Fußball den Stecker zog. Serhou Guirassy hatte den Ball mit der linken Außenseite dahin weitergeleitet, wo niemand den völlig freistehenden 20-Jährigen am 1:1 hindern konnte. 48 Minuten waren da gespielt – und es kam noch schlimmer für den HSV. Torwart Daniel Heuer-Fernandes verstolperte einen Ball, den der nachsetzende Millot nur noch ins verwaiste Hamburger Tor einzuschieben brauchte.
Dass der zweifache Torschütze seinen Treffer vor den HSV-Fans feierte, wurde von den Hamburger Profis als Provokation gewertet. Wegen Rudelbildung zeigte der souveräne Schiedsrichter Bastian Dankert gleich vier gelbe Karten. Borna Sosa, einer der Verwarnten, hatte aus der Stuttgarter Abwehr den weitesten Weg zum Tatort gehabt. Ihm sei, sagte er später, der dauernde Trash-Talk der Hamburger gehörig auf die Nerven gegangen. »Wir brauchen das nicht«, so der 25-jährige Kroate, »wir wollen Fußball spielen.« Das gelang dem VfB Stuttgart gegen weiter bemühte Hamburger immer besser, wovon letztlich auch das von Silas Katompa Mvumpa erzielte 1:3 in der Nachspielzeit zeugt.
Waren die Stuttgarter Spieler an der Hamburger Viererkette noch häufig vorbeigekommen, standen sie nach dem Abpfiff vor einer unüberwindbaren Mauer. Die Relegationssieger wurden durch eine behelmte Polizeikette von ihren 5000 Fans abgeschirmt. Statt des unwahrscheinlichen Platzsturms gab es eine längere Umarmung des vierten Stuttgarter Trainers in dieser Saison mit seinem Kollegen vom HSV. Walter gratulierte Sebastian Hoeneß deutlich inniger, als man es nach den hitzigen Gesten an der Seitenline gegenüber der Stuttgarter Bank von ihm für möglich gehalten hätte.
Vielleicht schwante dem Badener, dass er gute Chancen hat, seinen bis 2024 laufenden Kontrakt beim HSV erfüllen zu können. »Ich bin durch und durch Hamburger«, sagte der 47-Jährige, dessen permanent zur Schau gestelltes Selbstvertrauen nicht jedem an Alster und Elbe gefällt. Walter hatte sein Team für das Hinspiel arg naiv eingestellt, was im Verein noch für Diskussionen sorgen wird. Die positiven Signale der Fanszene dürften dem Trainer helfen. Auf der Nordtribüne nehmen sie Walter nach zwei Jahren Dienstzeit seine bisweilen arg sentimentalen Bekenntnisse zu Stadt und Raute ab. Noch wichtiger: Die Anhänger sehnen sich nach zuletzt unruhigen Jahren in der Vereinsführung nach Kontinuität auf und neben dem neuen Rollrasen.
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