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Einwanderung erwünscht!
Ein Materialienband gratuliert dem »NSK-Staat« zum 30. Geburtstag. Das Kunstprojekt ist längst zu einer eigenständigen politischen Ideenwerkstatt geworden
Dass (linke) Politik vom Pop lernen kann, ist bekannt. Seit den 80ern wurden in der Popmusik künstlerische Verfahren des Widerstands mit beachtlichem Erfolg eingesetzt, etwa von deutschen Bands wie Fehlfarben oder FSK. Sie brachen den bleiernen Konsensus des Kohl-Staates ironisch auf, indem sie Parolen sangen, die ein Einverständnis mit dem Gegebenen zu signalisieren schienen: »Die Deutschen sterben aus / Komm wir machen Liebe / Und schenken dem Kanzler ein Kind / Ein Kind für Helmut«, hieß es etwa bei FSK, was Punks wie Krawattenträger nachhaltig verstörte. Für diese ästhetische Strategie der Kritik fand man bald Begriffe wie »kritische Überidentifikation« oder »subversive Affirmation«. Sie ging im westdeutschen Kontext noch als vergleichsweise harmlose Ironie durch, die allenfalls Bierflaschenwürfe aus dem Punk-Publikum nach sich zog.
Indes war durchaus riskant, was vier junge Slowenen, die sich einer ähnlichen Affirmationsstrategie bedienten, kurz nach dem Tod von Tito wagten: Um ihr Debütkonzert im September 1980 anzukündigen, plakatierten sie überall in der Kleinstadt Trbovlje Poster mit einem schwarzen Kreuz im Stile von Malewitsch und dem deutschen Namen, den die Nazis der benachbarten Drau-Banat-Hauptstadt Ljubljana verpasst hatten: Laibach. Die Plakate riss man ab, das Konzert wurde untersagt und Laibach durften mehrere Jahre nicht unter ihrem Namen auftreten.
Also tourte man im Ausland, zog um nach London und wurde berühmt mit Coverversionen von Queens »One Vision« oder »Live is Life« von Opus, die den faschistoiden Subtext der Stadionhymnen hörbar machten. Als Slowenien sich Anfang der 90er Jahre für unabhängig erklärte, reagierte die Band gemeinsam mit ihren Mitstreitern im Kollektiv der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) auf diese politische Entwicklung. Angesichts ihres internationalen Erfolgs hatten NSK und insbesondere Laibach inzwischen einen repräsentativen Status als Vorzeigekünstler der frischgebackenen Zwei-Millionen-Nation gewonnen. Zu Zeiten ihrer Untergrundexistenz hatten sie sich selbstironisch als »Staatskünstler« geriert, und als sich diese Designation nun zunehmend bewahrheitete, drehte man die Stellschraube der Ironie einfach weiter. 1992 gründete NSK einen eigenen Staat: den NSK State in Time.
Was man damals vielleicht noch für einen Gag oder eine kurzlebige Kunstaktion hielt, erwies sich als überaus haltbar: Der NSK-Staat existiert unverändert, rund 15 000 Bürger und Bürgerinnen aller Herren Länder gehören ihm an. Daher scheint es mehr als angezeigt, dem Staatsgebilde, das sich längst zu einer eigenständigen Werkstatt politischer Ideen entwickelt hat, zum 30. Geburtstag zu gratulieren. Das tut der Kulturwissenschaftler und Publizist Alexander Nym nun mit der Herausgabe eines umfangreichen Bandes, der Materialien wie Reden und Berichte sowie interne Dokumente aus der Geschichte des Staates versammelt.
»Reden an die europäische Nation/Weapons of Mass Instruction« lautet der Titel der zweisprachigen Publikation, deren Herausgeber das wohl aktivste deutsche Mitglied des transnationalen NSK-Staates ist, der kein Territorium besitzt und daher grenzenlos allein in der Zeit existiert. Im Sinne der doppelbödigen Ironie aus spielerischer Imitation und künstlerischem Ernst annonciert der Band Alexander Nym als Angehörigen des »NSK State Diplomatic Corps, Department of Information & Propaganda«.
Doch der NSK-Staat besitzt freilich nicht nur ein diplomatisches Korps, sondern eigentlich alle anderen behördlichen Institutionen und politischen Insignien eines staatlichen Gebildes: eine Nationalhymne, die Laibach geschrieben haben, eine Währung, die die »NSK State Reserve New York« ausgibt, indem sie aus dem Zahlungsverkehr gezogene Banknoten durch Aufbringung von NSK-Motiven zweckentfremdet. Und natürlich gibt es auch amtliche Pässe, die einen als Staatsangehörigen ausweisen, wenn sich der NSK-Staat an temporären Botschaften manifestiert, wie etwa Ende 1993 bei einer zweitägigen »Besetzung« der Berliner Volksbühne.
Der im Oktober 2010 im Berliner Haus der Kulturen der Welt abgehaltene erste NSK-Bürgerkongress, gleichsam das Parlament des Staates, markierte den Punkt, an dem das NSK-Kollektiv den Staat vollständig in die Hände seiner Bürgerschaft legte. Den Bürgern und Bürgerinnen obliegt seitdem die Verantwortung, das quasi in die Unabhängigkeit entlassene Staatsgebilde mit Leben und Bedeutung zu füllen: »Nun war es an der Bevölkerung dieses utopisch-demokratischen Experiments an der Schnittstelle zwischen Politik und Kunst, selbst eine Zukunft zu schmieden«, so Nym. »Der NSK-Staat bietet allen eine metaphysische Heimat, die sich in ihren lokalen und/oder nationalen Identitätsangeboten nicht wiederfinden, indem er der Möglichkeit eines real existierenden utopischen Staats einen idealistischen Fluchtpunkt bietet, der sich positioniert gegen die beschränkten Denkmuster nationalen Eigensinns, die den Bedürfnissen einer aufgeklärten, planetaren Gesellschaft weder würdig sind, noch ihren heutigen Notwendigkeiten entsprechen.«
Damit ist genau benannt, worin der ungeheure politische Verdienst des NSK-Staates liegt: die aus dem Geiste subversiver Popmusik geborene, über den Umweg der Kunst gestiftete Idee eines politischen Gesamtkunstwerks, das sich von ironischer Parodie zu einem Ideenlaboratorium entwickelt hat, in dem eine andere Form der Staatlichkeit gedacht und praktisch erprobt wird. Ein Staat, dessen Bürgerschaft Erfindungsreichtum und Kreativität praktiziert, sowie die wichtige Fähigkeit, Widersprüche nicht nur auszuhalten, sondern zu einer intellektuell wie philosophisch fruchtbaren Synthese zu führen. Dadurch will der NSK-Staat nicht nur überlebensnotwendige Zukunftskompetenzen entwickeln, sondern zugleich eine Leuchtturmfunktion ausüben, die generell als Modell für emanzipatives Handeln dienen kann.
Welche Diskussionen innerhalb der Bürgerschaft verhandelt werden, die zu einem beträchtlichen Teil, aber keineswegs mehrheitlich aus Personen der Bereiche Kunst, Kultur und Universität besteht, dokumentieren die Reden, die unter anderem NSK-Philosoph Peter Mlakar, der Laibach-Experte Alexei Monroe oder der Autor Charles Lewis bei Veranstaltungen des NSK-Staates gehalten haben. Sie fordern beispielsweise dazu auf, durch nationalistische Deformation desavouierte Konzepte wie Heimat, Volk und eben Staat neu zu denken im Rahmen einer emanzipativen Praxis, deren politische Schlachtfelder die der Kunst, der Sprache und der Ideen sind. Das globale Kollektiv des NSK-Staates, so Nym einmal in einer Rede, repräsentiere »die Vision einer aufgeklärten, sich selbst organisierenden und regulierenden Gemeinschaft aus mündigen Individuen, die sich ihrer Fertigkeiten immer wieder mit künstlerischen Mitteln erinnert und bezüglich der Einwanderung für alle Menschen offensteht«. »Reden an die europäische Nation/Weapons of Mass Instruction« lässt sich daher auch als ein Angebot lesen, das man nicht ablehnen sollte.
Alexander Nym (Hg.): Reden an die Europäische Nation/Weapons Of Mass Instruction. Edition Outbird, 360 S., br., 17,90 €.
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