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Nachhilfe in Demokratie

Das Ergebnis der Bürgermeisterwahl in Falkensee fällt für die Grünen enttäuschend aus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

»Eure Bürgermeisterin für Falkensee« – mit diesem Slogan warb die Kandidatin Julia Concu (Grüne) um Stimmen. Doch die große Hoffnung ihrer Partei, endlich im Land Brandenburg ein Rathaus zu erobern, hat sich am Sonntag nicht erfüllt. Mit 15,4 Prozent der Stimmen verpasste Concu die Stichwahl, weil zwei andere Kandidaten deutlich besser abschnitten und den Sieg am 2. Juli unter sich ausmachen werden.

Bei der Kommunalwahl 2019 waren die Grünen mit 22 Prozent stärkste Kraft in der Stadt geworden, daher ihre Zuversicht für die Bürgermeisterwahl. Aber das hochgesteckte Ziel konnte nicht erreicht werden. Auch prominente Wahlkampfhilfe durch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (beide Grüne) nützte nichts, war im Fall von Baerbock vielleicht sogar kontraproduktiv, weil ihre Person polarisiert.

Dabei hat Concu die Situation keineswegs völlig verkannt. Sie rechnete sich zwar wenige Tage vor der Abstimmung immer noch gute Chancen aus. Aber ansonsten lag sie mit vielen Vorhersagen richtig. So benannte sie den parteilosen Einzelbewerber Heiko Richter und Jan Pollmann von der CDU als ihre vermutlich größten Konkurrenten. Einzelbewerber Richter heimste 37,4 Prozent der Stimmen ein, CDU-Kandidat Pollmann landete mit 28 Prozent auf Rang zwei. SPD-Bewerberin Cornelia Nietsch-Hach landete mit 9,8 Prozent abgeschlagen auf Rang vier. Zwar stellte die SPD mit dem nicht wieder angetretenen Heiko Müller viele Jahre den Bürgermeister von Falkensee. Doch Concu registrierte eine Wechselstimmung und sah das schwache Abschneiden von Nietsch-Hach voraus.

Viel Rummel machte Heike Stumpenhusen von der Querdenker-Partei »Die Basis«. Sie protestierte gegen Baerbocks Auftritt in der Stadthalle Falkensee und erhielt dabei Zulauf von Rechtsextremen. Stumpenhusen konnte aber dennoch nicht davon profitieren, dass die AfD keinen Kandidaten aufstellte. Sie erzielte am Sonntag nur 1,9 Prozent.

Mit 1,4 Prozent nicht weit entfernt landete Ulknudel Lars Krause von der Spaßpartei PDS, was hier Partei der Sorben bedeutet und nicht Partei des demokratischen Sozialismus. Die Linke unterstützte den Kandidaten Rainer Ganser (Freie Wähler), der 6,1 Prozent erhielt. Anderswo schneiden die Freien Wähler oft viel besser ab. Aber in Falkensee sind sie vergleichsweise schwach und auch die Linkspartei hat hier erfahrungsgemäß keinen leichten Stand.

Die Kommunalpolitik abgestraft

In einer am Montag im Internet veröffentlichten Erklärung beklagte sich die gemessen an der Erwartungshaltung kläglich gescheiterte Grünen-Kandidatin bitter. »Die Kommunalpolitik wurde gestern abgestraft«, analysierte sie. »Anscheinend vertrauen viele nicht mal mehr den Menschen, die sich in ihrer Freizeit abends in Ausschüsse setzen und über die Dinge diskutieren, die die Stadt bewegen«, registrierte Concu eine um sich greifende Politik- oder besser Parteienverdrossenheit. Dabei engagierten sich Stadtverordnete wie sie »für einen Appel und ein Ei und nicht für horrende Gehälter« und dann müssten sie sich anhören, dass sie »keine von uns« seien, bedauerte sie. »Leute, wo wollt ihr denn hin, wenn ihr euch aber selbst nicht engagiert? Wieso sind in unserem Stadtparlament so wenige Menschen mit Ostbiografie?«

Umbruch in der Bevölkerungsstruktur

Die Frage lässt sich relativ leicht beantworten. Falkensee erlebte ab 1990 einen enormen Zuzug insbesondere aus dem benachbarten Westberliner Stadtbezirk Spandau, wo die in Niedersachsen geborene Concu vor 32 Jahren Abitur machte. Von derzeit 45 000 Einwohnern lebten nur 7000 bereits vor der Wende in Falkensee. Angesichts dieser Verschiebung in der Bevölkerungsstruktur dürften enttäuschte Ostdeutsche keine Erklärung für Concus mäßiges Abschneiden sein, zumal der besser platzierte CDU-Kandidat Pollmann aus dem westfälischen Minden stammt und erst 2017 von Düsseldorf nach Falkensee zog, als er eine Stelle im Bundesverteidigungsministerium erhielt.

Der vorläufige Wahlsieger Heiko Richter ist ebenfalls kein Alteingesessener, auch wenn er bereits 1982 im Alter von zehn Jahren zugezogen ist. Ostdeutscher ist er allerdings, denn er ist 1972 in Dresden zur Welt gekommen.

In ihrer Erklärung erteilte Concu den Lesern verbittert Nachhilfe in den Grundsätzen der Parteiendemokratie, worauf Ostdeutsche in der Regel allergisch reagieren. Sie erklärte, man könne doch froh sein, dass es jetzt mehrere Parteien gebe und man wählen könne.

Sollte sie damit auf die DDR angespielt haben, erliegt sie einem im Westen weit verbreiteten Irrtum. Denn in der DDR gab es fünf Parteien und nicht etwa bloß die SED. Allerdings war bereits vor Wahlen abgemacht, wer wie viele Mandate erhielt. Vielleicht wollte Concu mit der Bemerkung aber auch weiter zurück bis in die Nazizeit schauen. Schließlich ging sie nach eigenen Angaben vor sechs Jahren auch deswegen in die Politik, weil sie sich dem erstarkenden rechten Spektrum entgegenstellen wollte. Den Grünen habe sie sich angeschlossen, weil der Ortsverband Falkensee sehr offen eingestellt sei. »Bei verbohrten Ökos, die mir den ganzen Tag erklären, wie ich leben soll, wäre ich schnell wieder geflüchtet«, bekannte Concu.

Einzelbewerber Richter betonte, er sei nie Mitglied einer Partei gewesen und das werde so bleiben. Er sieht das als Vorteil: »Ich bin nicht an die Interessen einer Partei gebunden und kann Entscheidungen frei von parteipolitischen Zwängen treffen.« 20 Jahre lang betrieb Richter die Kneipe »Schrääg ’rüber«. 2017 habe er schließen müssen, weil ihm der Mietvertrag nicht verlängert worden sei, berichtete er. Danach habe er zwei Jahre als Kraftfahrer bei einer Spedition gearbeitet.

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