Schottland: Nicola Sturgeon im Abwärtsstrudel

Schottlands ehemalige Regierungschefin muss sich Fragen zu Parteifinanzen stellen

  • Dieter Reinisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie will weiterhin für ihre Unschuld kämpfen. Das betonte Nicole Sturgeon in einer Erklärung. Am Sonntagvormittag war die ehemalige Regierungschefin und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) verhaftet worden, nachdem sie zu einem zuvor vereinbarten Befragungstermin bei der Polizei erschien.

Nach etwas mehr als sieben Stunden, in denen sie über die Finanzen der Partei befragt wurde, war Sturgeon wieder ohne Anklage auf freiem Fuß. Die Ermittlungen gegen sie und andere ehemalige hohe SNP-Politiker, darunter Sturgeons Ehemann Peter Murrell, gehen weiter.

Der neue SNP-Chef Humza Yousaf, der im März Sturgeon nach ihrem überraschenden Rücktritt nachfolgte, muss nun als Krisenmanager auftreten. Eigentlich war er gewählt worden, um ihren Weg fortzuführen und die Partei für ein neues Unabhängigkeitsreferendum in Stellung zu bringen. Davon ist nicht mehr die Rede. Die Partei könnte sogar die nächsten Wahlen verlieren.

Von den Turbulenzen profitieren dürfte Labour. Denn auch die regierenden Konservativen sind in Schwierigkeiten. Nachdem der ehemalige Regierungschef Boris Johnson nach neuen Enthüllungen über Partys während des Corona-Lockdowns stolperte, traten auch seine engen Vertrauten Nadine Dorries und Nigel Adams am Wochenende zurück.

In London und Edinburgh werden die Rufe nach weiteren Austritten, Suspendierungen und sogar Neuwahlen lauter. Auf jeden Fall wird es nach den drei Rücktritten bei den Tories Nachwahlen geben.

Am Sonntagvormittag begab sich Sturgeon zu einem Termin bei der Polizei. Seit rund 21 Monaten ermitteln die schottischen Behörden wegen Veruntreuung von Parteifinanzen der SNP. Dabei geht es um 600 000 Pfund Sterling (780 000 Euro), die als Spenden für ein neues Unabhängigkeitsreferendum gesammelt wurden, zu dem es dann nicht kam.

Die Finanzaffäre fällt in die Zeit des Parteivorsitzes von Sturgeon. Sie war damals gemeinsam mit ihrem Mann, Peter Murrell, und Colin Beattie für die Parteifinanzen zeichnungsberechtigt. Murrell und Beattie wurden bereits Anfang April verhaftet. Damals wurden auch das Wohnhaus von Sturgeon und die SNP-Zentrale in Edinburgh durchsucht.

In einer auf Twitter veröffentlichten Erklärung schrieb Sturgeon Sonntagabend, dass sie sich »über jeden Zweifel erhaben« wisse: »Sich in dieser Situation wiederzufinden, obwohl ich sicher bin, dass ich keine Straftat begangen habe, ist ein Schock und tief beunruhigend.«

Die ehemalige Regierungschefin dankte ihrem »engen Kreis« aus Familie und Freunden, der ihr »die dringend benötigte Kraft« gebe, und fuhr fort: »Ich weiß, dass diese laufenden Ermittlungen für die Menschen schwierig sind, und ich bin dankbar, dass so viele weiterhin Vertrauen in mich zeigen.« Sie möchte nach »ein oder zwei Tagen« wieder im Parlament arbeiten.

In der eigenen Partei sehen das viele jedoch nicht mehr so: Der erste war der SNP-Abgeordnete Angus MacNeil, der sich auf BBC den Oppositionsparteien anschloss und forderte, Sturgeon zu suspendieren, denn »diese Seifenoper ist weit genug gegangen«.

Am Montag folgte dann Ash Regan, die im Februar als Nachfolgerin für die damals sehr populäre Regierungschefin kandidierte. In der Sendung »Good Morning Scotland« von BBC Scotland beschrieb Regan die Verhaftung als »eine sehr besorgniserregende Situation« und stimmte mit dem Tory-Vorsitzenden Craig Hoy darin überein, dass nun die schottische Regierung nicht mehr vollständig funktionsfähig sei.

Noch schweigt Yousaf zu den Vorgängen. In der einzigen offiziellen SNP-Stellungnahme hieß es lediglich, die Partei würde »laufende polizeiliche Ermittlungen nicht kommentieren«.

Wenn Yousaf sich nicht rasch glaubhaft von seiner Vorgängerin distanziert und die SNP aus dem Umfragetief führt, könnte es bald einen Sonderparteitag geben: Dort würde er dann wohl um sein politisches Überleben kämpfen müssen.

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