- Berlin
- Fußgänger
Kritik an Countdown-Ampeln für Fußgänger in Berlin
Senat will Ampeln mit Countdown schaffen – Experten halten andere Maßnahmen für sinnvoller
Die verkehrspolitischen Zielsetzungen im Sofortprogramm der schwarz-roten Landesregierung sind knapp. Da steht bereits viel Bekanntes. Neu ist lediglich diese Ankündigung: »Schrittweise sollen Ampeln mit Countdown-Anzeigen versehen und vermehrt temporäre Fußgängerüberwege in allen Bezirken geschaffen werden.«
So richtig neu ist das allerdings auch nicht. Wenn Fußgängerampeln unmittelbar von Grün zurück auf Rot schalten, verunsichert das Fußgänger, ob sie die Straße noch überqueren können, obwohl noch Zeit bleibt, bis die Ampel für Autofahrer grün wird. Wenn Fußgänger bei roter Ampel trotzdem noch die Straße überqueren, fühlen sich Autofahrer häufig bemüßigt, diese anzuhupen, zu drängeln oder bereits loszufahren. Dem könnte eine Countdown-Anzeige etwas entgegensetzen. In anderen Städten gibt es so etwas und auch am Fehrbelliner Platz hat man das in Berlin 2013 bereits ausprobiert.
Roland Stimpel vom Fachverband Fußverkehr sagt: »Es ist ein richtiger Schritt, er kuriert aber nur ein kleines Problem.« Wer wirklich die Sicherheit beim Überqueren verbessern wollte, müsste die Ampel an Kreuzungen für rechtsabbiegende Autofahrer auch auf Rot stellen, meint Stimpel. »Das will man aber nicht, weil die Autos dann länger warten müssten«, so Stimpel zu »nd«.
Laut statistischem Bundesamt hatten 2021 zwei Drittel aller an Ampeln verunglückten Fußgänger in Deutschland Grün. »Aus diesem Grund hat Rot-Grün-Rot auch ein Programm für getrennte Signalisierungen von rechtsabbiegendem KfZ-Verkehr zu Fuß- und Radverkehr vorangebracht. Davon ist im aktuellen Koalitionsvertrag leider keine Rede mehr«, kritisiert Kristian Ronneburg, Mobilitätsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Wir fordern daher von der schwarz-roten Koalition, dass sie ihre Prioritäten überdenkt und besser gemäß des Mobilitätsgesetzes von Rot-Grün-Rot Ampeln fußverkehrsfreundlich programmiert«, sagt er »nd«.
Ebenfalls kritisch blickt Martin Schlegel, Mobilitätsreferent beim Umweltverband BUND, auf die Ankündigung. »Countdown-Ampeln für Fußgänger*innen sind nutzlos und deshalb eine ärgerliche Geldverschwendung«, meint er. Die Gelder, die in die Umrüstung der Ampeln investiert werden müssten, wären beispielsweise besser in Zebrastreifen investiert. Auch erinnert Schlegel an die bereits von Vorgängerkoalitionen angekündigte Regelung, dass Fußgänger Straßen mit Mittelinseln in einem Zug überqueren können sollen. Umgesetzt wurde das nicht. Vielerorts wie an der Frankfurter Allee braucht es eine Pause auf der Mittelinsel – wenige Meter werden so zu einer Angelegenheit von Minuten.
Den Fußgängern Vorrang vor dem Autoverkehr einzuräumen, ist ein Aspekt. Der andere ist die Verkehrssicherheit. Der wichtigste Beitrag, um sie für Fußgänger zu erhöhen, bleibe aber Tempo 30, sagt Stimpel. »Die neue Koalition bekennt sich aber zu 50 Stundenkilometern auf Hauptstraßen und kündigt damit im Prinzip die Mitgliedschaft in der Allianz für lebenswerte Städte. Das ist ein Rückschritt für den Fußverkehr.«
Mehr Zuspruch erhält das Vorhaben, temporäre Zebrastreifen für Fußgänger auf Straßen einzurichten. »Temporäre Überwege für Fußgänger*innen können tatsächlich einen Beitrag für mehr Sicherheit im Verkehr leisten«, ist sich Schlegel sicher. Der Ausbau der Zebrastreifen ist mühselig. 2020 wurden 16 eingerichtet, 2021 waren es nur noch 10 und vergangenes Jahr lediglich neun. Deutlich mehr sind zwar angeordnet, aber noch nicht angebracht. Das scheitert auch an der Personalausstattung in den Bezirken, weshalb die Senatsverwaltung zuletzt teils Aufgaben für die Bezirke übernahm.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.