Razzien in Berlin: Generalverdacht gegen vietnamesische Community

Betroffene kritisieren Razzien im Rahmen von Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel-Vorwürfen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Dienstag gab es in einem Asiamarkt in der Marzahner Straße in Hohenschönhausen sowie in einer Privatwohnung eines Vietnamesen in Lichtenberg eine große Polizeirazzia. Es ging um den Verdacht des Menschenhandels mit dem Schwerpunkt der Arbeitsausbeutung. Rund 100 Einsatzkräfte des Berliner Landeskriminalamtes und des Zolls waren morgens im Einsatz. Dem waren nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft monatelange intensive Ermittlungen vorausgegangen. Allerdings wurde niemand wegen Menschenhandels festgenommen. Ein Mann kam kurzzeitig wegen eines anderen Tatvorwurfes in Haft, wurde nach Zahlung der fälligen Geldstrafe aber freigelassen.

Ein Vietnamese im Alter von 28 Jahren steht unter dem Tatvorwurf des Menschenhandels, sagt die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft Karen Sommer zu »nd«. Weiterhin werden fünf Männer und Frauen im Alter zwischen 17 und 40 Jahren der Unterschlagung, Urkundenfälschung und Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz beschuldigt. 14 Vietnames*innen wurden angetroffen, die laut Staatsanwaltschaft von Menschenhandel betroffen sein könnten. Die Polizei nahm zahlreiche Beweismittel wie Computer und Datenträger zur Auswertung mit und stellte eine mittlere fünfstellige Geldsumme sicher, die in der Wohnung des Beschuldigten gefunden wurde.

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Die Razzia gehört zu einer Reihe von Ermittlungen gegen Menschenhandel von Vietnam nach Deutschland in den vergangenen Jahren. Innerhalb der vietnamesischen Community sind diese Ermittlungen umstritten, Vertreter der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg gehen etwa davon aus, dass die Neuankömmlinge nicht unter Zwang, sondern absolut freiwillig nach Deutschland kommen. Sie kritisieren außerdem, dass die mit den Ermittlungen verbundene Öffentlichkeitsarbeit der Bundespolizei die gesamte Community kriminalisiert. Weil es für Neuankömmlinge aus Vietnam kaum legale Einreisewege nach Europa gibt, müssen sie sich der Hilfe von Schleppern bedienen, die sie jedoch sehr selten als Ausbeuter ansehen.

Die Neuankömmlinge kommen aus dem von Armut und dem globalen Klimawandel geprägten Zentralvietnam. Dort sehen junge Leute seit einer Generation den Ausweg aus ihrer Situation in der Migration nach Europa. Da viele Landsleute, die bereits in Europa leben, große Geldsummen zur Unterstützung ihrer Familien nach Vietnam schicken, haben sie keinen Zweifel daran, dass auch sie hier eine gute Zukunft erwartet. Und wie Aussagen von Vietnamesinnen vor dem Berliner Landgericht zeigen, nehmen es einige zwar nicht freudig, aber als notwendigen Zwischenschritt in Kauf, sich ein oder zwei Jahre in Berlin zu prostituieren, um die Schulden für die Flucht nach Deutschland abzuzahlen. Sie sehen sich selbst nicht als Opfer von Menschenhandel, sondern als Menschen auf dem Weg in eine gute Zukunft.

Es war in den zurückliegenden Jahren vor allem die Bundespolizei, die solche Ermittlungen führte. Doch was da aufwendig mit monatelanger Telefonüberwachung und einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit ermittelt wurde, fiel vor Gericht oft in sich zusammen. So wurden etliche wegen Menschenhandels Angeklagte schließlich nur wegen informeller Arbeit verurteilt. In anderen Fällen kam es gar nicht erst zur Anklage. Da diesmal allerdings die Berliner Landespolizei ermittelt, die in den letzten Jahren mit mehr Augenmaß vorging, bleibt abzuwarten, ob die Tatvorwürfe sich diesmal erhärten.

Laut Staatsanwaltschaft liegt eine Ausbeutung der Arbeitskraft dann vor, wenn jemand eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die beispielsweise mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, durch eine Beschäftigung ausbeutet. Zum Konzept der Ermittlungsgruppe gehöre es, mit NGOs im Hinblick auf den Opferschutz zusammenzuarbeiten. Auch wurde bei der Staatsanwaltschaft 2021 die Stelle einer Ansprechpartnerin für Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung geschaffen.

Doan Cai vom Betreibermanagement des betroffenen Asiamarktes kritisiert, dass die Polizei mehrere stabile und teure Stahltüren zerstörte, um in das Gebäude zu kommen. Er selbst und etliche Mieter hatten zu dieser Zeit arbeitsfrei. Er sagt: »Ich finde das unmöglich. Sie hätten anrufen können und wir hätten die Türen geöffnet.« Ob Polizei oder Versicherung für den Schaden aufkommen, sei unklar.

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