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Sommerbad Wuhlheide: Kirschkugeln im Haar
Das Sommerbad Wuhlheide gibt es schon fast 100 Jahre. Während die Bademeister unter einem Schirm chillen, planschen Groß und Klein auch heute noch.
Die Drossel, die einen Nachtigall-Triller lang auf der obersten Treppenstufe geplanscht hat, schüttelt sich und hebt ab. Ihr Bauch leuchtet hell auf, als sie über dem blau gekachelten Schwimmbecken einen Halbkreis fliegt und in den Büschen verschwindet. Ich stelle meinen Rucksack auf die Steinfliesen und steige in das leere Becken. Die Wasseroberfläche ist glatt wie ein Spiegel. Ich lasse mich sinken, habe das Bad für mich allein!
Elf Uhr vormittags, 1. Juni 2023. Die Sonne scheint, die Luft ist kühl, das Wasser eisig. Gerade hat sich eine Schulklasse, die den Internationalen Kindertag mit einem Freibad-Besuch startet, auf die Wiese verzogen. Eine Handvoll der etwa Zehnjährigen war im 25-Meter-Becken vom Rand gesprungen, bis die Lippen blau wurden. Jetzt höre ich ihr Lachen von den Spielgeräten im hinteren Teil des Sommerbades Wuhlheide.
Vom S-Bahnhof Karlshorst führt ein 1,3 Kilometer-Fußweg an einer Hüpfburg und der Trabrennbahn Karlshorst vorbei die Treskowallee entlang. Dann beginnt der Wald. Anfang letzten Jahrhunderts errichtete die expandierende Großstadt Berlin in diesem alten Jagd- und Forstwald ein Wasserwerk und plante einen Park zur Erholung für die Bewohner der neuen Stadtviertel. Nach dem Ersten Weltkrieg plante Gartendirektor Ernst Harrich den Park, die Stadt setzte bis 1932 mit Hilfe von Arbeitslosen die Gestaltung um. Es entstanden eine riesige Sportwiese, ein Licht- und Luftbad mit Schwimmbecken, ein stadiongroßes Sportfeld und eine Waldwiese in Form eines Hippodroms. Außerdem Spielplätze, Rodelbahn und Riesenrutsche.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der dezimierte Park wieder aufgeforstet. Während wesentliche Flächen des westlichen Parkteils (wo das Freibad liegt) als Militärlager und später Kasernengelände der sowjetischen Stadtkommandantur genutzt wurden, erlebte der östliche Teil der Wuhlheide eine Wiedergeburt als Kulturpark nach sowjetischem Vorbild. Der Pionierpark Ernst Thälmann lockte den DDR-Nachwuchs mit eigenem Pionierpalast (heute ist das FEZ-Berlin Europas größtes gemeinnütziges Zentrum für Kinder, Jugendliche und Familien), Parkeisenbahn, Badesee und Freilichtbühne.
Nach einem Tennisplatz schlängelt sich ein Pfad in den uralten Wald. Nur dieser westliche Teil des Volksparks ist noch vom Wechsel zwischen Waldbereichen und offenen Flächen geprägt. Das Sommerbad Wuhlheide, früher Lichti genannt, wurde Ende der 1990er Jahre aufwendig saniert, im Stil der Zwanziger Jahre. Am Eingang gibt es einen geräumigen Fahrräderparkplatz, Natursteinplatten bilden Wege zwischen blühenden Gehölzen und einer Bogenbrücke. In den blitzblanken Umkleiden sind die Spinde nur mit Vorhängeschloss abschließbar (wenn man eins dabei hat) und die Duschen geschlossen. Neben dem 25-Meter-Becken gibt es ein großes Nichtschwimmerbecken und eine Plansche mit Rutsche, dahinter Liegewiesen.
Als ich meine Bahnen beendet habe, gesellen sich einzelne Schwimmerinnen dazu, die Bademeister chillen unter einem Schirm. Unter dem Föhn (5-Cent-Stücke) wird mir endlich warm. Mit einem Kaffee in der Hand trete ich aus dem Imbiss in die Sonne, ein Schwarm Kinder flitzt zur Eis-Box. Bestimmt geht’s gleich zur großen Party am FEZ. Plötzlich steht ein Mädchen vor mir, der Mund Vanille-Eis verschmiert, in einer Hand die tropfende Waffelschale, in der anderen eine bunte Postkarte mit der Aufschrift Pionierpalast Ernst Thälmann. Sie lacht. Abstehende Zöpfe mit Kirschkugel-Zopfhaltern – das bin ich. Zehn Jahre alt und glücklich.
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