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Neue Raketen für Deutschland
Die kürzlich vorgestellte Nationale Sicherheitsstrategie lässt Vermutungen zu
Der Kernauftrag der Bundeswehr sei »die Landes- und Bündnisverteidigung, alle Aufgaben ordnen sich diesem Auftrag unter. Die hierfür notwendigen militärischen Fähigkeiten wird die Bundesregierung vorhalten und Fähigkeitslücken zügig schließen«, heißt es in der vergangene Woche vorgestellten ersten Nationalen Sicherheitsstrategie. Die 180 000 Männer und Frauen starke Truppe soll zu »einer der leistungsfähigsten konventionellen Streitkräfte in Europa« reifen, die »schnell und dauerhaft reaktions- und handlungsfähig ist«.
Russlands Überfall auf die Ukraine bietet viele Argumente für die Modernisierung der Streitkräfte. Sie kostet Milliarden und folgt man den Aussagen der Nato, werden die geforderten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt nicht ausreichen, um im erforderlichen Maße hochzurüsten.
Neben sehr allgemeinen Aussagen finden sich in dem 76-seitigen Strategiepapier seltsam konkrete – zu dann wieder im Vagen bleibenden Bereichen. Beispielsweise gehe es um die Entwicklung der Cyber- und Weltraumfähigkeiten, »damit diese einen wesentlichen Beitrag zur Abschreckung und Verteidigung in der Nato leisten können«. Abgesehen davon, dass es in Europa keine Verträge zur Verifizierung von Rüstungsanstrengungen mehr gibt, sind diese Bereiche noch nie in den Versuch von Vertrauensbildung einbezogen worden.
Und so soll es nach dem Willen der aktuellen Bundesregierung auch bleiben. In Uedem (Nordrhein-Westfalen) existiert ein Weltraumkommando der Bundeswehr, doch dessen Tätigkeit ist nur unscharf beschrieben. In Kooperation mit Heer, Marine sowie dem Cyber- und Informationsraum schütze man die weltraumgestützten Fähigkeiten der Bundeswehr und will die gegnerische Nutzung des Weltraums einschränken.
Sicher ist, dass es um die Stärkung der Resilienz von Satellitenkommunikation und -navigation geht. Man will die Erdbeobachtung in Echtzeit vervollkommnen und arbeitet an der Einrichtung eines Sensornetzwerkes mit globaler Abdeckung. Welche Fähigkeiten künstliche Intelligenz (KI) dabei in den kommenden Jahren bietet, vermag man nur zu ahnen.
Relativ offen geht man dagegen mit den Projekten der Raketenabwehr um. Bereits im Oktober 2022 hatten sich 15 Nato-Nationen unter der European-Sky-Shield-Initiative zusammengefunden. Weitere Staaten sind eingeladen. Im Nahbereich wird die Bundeswehr ihre Truppenluftabwehr neu ordnen und mit effektiven Waffen ausstatten. Im mittleren Bereich – 50 Kilometer Reichweite und 25 Kilometer Höhe – sollen künftig IRIS-T-SLM-Raketen bestehende »Patriot«-Staffeln ergänzen.
Das von Israel und den USA gebaute »Arrow 3«-System kann anfliegende Raketen und andere Flugkörper in einer Distanz von bis zu 2400 Kilometern bekämpfen. Mit der israelischen Seite sind alle Absprachen getroffen, Vorbereitungen zur Stationierung des Systems in Deutschland laufen, der Haushaltsausschuss des Bundestages gab in der vergangenen Woche erste Finanzmittel frei.
Ursprünglich waren Gesamtkosten von drei Milliarden Euro veranschlagt, inzwischen planen Fachleute eine weitere Milliarde hinzu. Dass Paris verärgert ist, weil die Bundeswehr nicht das am heutigen Montag auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget erneut angepriesene französische Konkurrenzmuster in Betracht zog, ist ein Kollateralschaden in den Beziehungen beider Staaten.
Liest man die Sicherheitsstrategie etwas genauer, so erfährt man, dass man die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie »abstandsfähigen Präzisionswaffen« befördern will. Dahinter kann sich viel verbergen. Sicher ist, dass man mit Hilfe weitreichender Waffen nicht in den gegnerischen Abwehrbereich eindringen muss. Russland demonstriert das in der Ukraine gerade durch den Einsatz von Dohnen, Hyperschall- und bodengestützten »Iskander«-Raketen.
Schon jetzt hat die Deutsche Luftwaffe eine abstandsfähige Waffe im Bestand. Der »Taurus«-Lenkflugkörper kann bis zu 500 Kilometer weit fliegen und sogenannte Hochwertziele zerstören. Derzeit wird er an »Tornados« gehängt, wenn diese Jagdbomber demnächst ausgesondert werden, muss der »Eurofighter« den Job übernehmen.
Bislang nutzt man »Tornados« auch im Bereich der elektronischen Kampfführung. Sie detektieren und analysieren Radarsignale, bekämpfen gegnerische Abwehrsysteme und machen so Angriffsstaffeln den Weg frei. Auch diese Aufgaben werden an 15 »Eurofighter« übertragen, die neue Technik erhalten. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hat angeblich das Sensorsystem »Arexis« von Saab ausgewählt. Man begrüße diese Entscheidung und freue sich auf die nächsten Schritte, sagte Anders Sjöberg, CEO der Saab Deutschland GmbH dieser Tage. Mit im Boot ist der KI-Spezialist Helsing.
Damit sind die in der Sicherheitsstrategie erwähnten »abstandsfähigen Präzisionswaffen« kaum beschrieben. Auch die Ausrüstung bestehender Artilleriesysteme mit neuer reichweitengesteigerter Munition ist zu klein gedacht. So bleibt nur eine Schlussfolgerung, die an die Stationierung von »Pershings« im Kalten Krieg erinnert. Die Bundeswehr wird konventionelle Kurz- oder Mittelstreckenraketen erhalten. Ob die angesichts der Verschärfung der Spannungen in Europa auf Dauer nur konventionell bestückt bleiben, wird sich zeigen. Sicher ist: Deutschland will auch künftig seinen Beitrag innerhalb der Nuklearen Teilhabe der Nato leisten.
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