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Sarah Morris: Sicheln für sechsstellige Summen
Die Hamburger Deichtorhallen zeigen das Werk von Sarah Morris. Gesellschaftskritisch ist es entgegen ihrer eigenen Behauptung nicht
Wie viel von dem, was hinter der Fassade passiert, an der Fassade selber abzulesen ist, darüber kann man streiten. Beispielsweise entlang der Arbeiten der britischen Künstlerin Sarah Morris. In den Hamburger Deichtorhallen ist zurzeit eine umfangreiche Werkschau zu sehen. Schon der Titel strahlt subversive Größe aus: »All Systems Fail«. Neben den recht bekannten farbigen Lackbildern werden in zwei Sälen alle von Morris’ Filmen gezeigt. Sowohl ihre Malerei als auch ihre Filme handeln oftmals von Städten und ihrer Machtarchitektur. Sie handeln von Los Angeles, Las Vegas und Chicago, von Rio de Janeiro, Abu Dhabi und Peking. Die meisten der großformatigen Bilder wirken zunächst abstrakt. Zu sehen sind Reihungen glänzender Farbfelder.
In ihrer Serie »Midtown« von 1998 nimmt Morris Bezug auf Hochhäuser, in denen weltweit operierende Konzerne wie Unilever, Viacom oder Seagram ihre Zentralen unterhalten. Oder unterhielten: Denn das Medienhaus Viacom sowie den Mischkonzern Seagram gibt es heute nicht mehr. In den späten 90ern überstrahlten sie die Mitte Manhattans, in der auch Morris zu dieser Zeit ihr Atelier hatte.
Die großen Bildformate scheinen die Macht zu imitieren, die von ihren Vorlagen ausgeht. So leuchtend sind ihre Farben, so scharf die Kanten der einzelnen farbigen Abschnitte. Trotz der großen Formate von jeweils mehr als zwei Metern im Quadrat entzieht sich die vollständige Gestalt der mächtigen Bauten unserem Auge. In jeglicher Hinsicht sind sie größer als wir. Zu sehen ist ein erdrückender Ausschnitt, der noch dazu perspektivisch verschoben ist. Wir stehen den Gebäuden nicht einfach nur gegenüber, wir schauen an ihnen empor, verlieren uns in ihren Oberflächenstrukturen. Wir müssen an ihnen emporschauen, wir müssen uns in ihnen verlieren. Die Fassaden sind, wie sie sind, kaum mehr.
Die Brutalität der Verhältnisse, die hinter diesen Fassaden am Laufen gehalten werden, bleibt unsichtbar. Was aber sichtbar wird, ist ein Umstand, in dem es jenseits der undurchdringlichen Fassaden der Macht nichts mehr gibt. Die Raster dieser Fassaden mit ihren dicht beieinanderstehenden Fenstern legen sich über die ganze Welt, selbst über uns als Betrachterinnen und Betrachter, die wir mit unseren Blicken gewohnt sind, alle ins Bild gebannte Welt zu unterwerfen. Die Künstlerin sieht da selbst bei sich keine Ausnahme. Von 2001 ist ihr Bild »SRHMRRIS«, in dem sie das eigene Porträt in ein Raster aus farbigen Quadraten auflöst.
Weit komplexer sind die Geschichten, die Sarah Morris in späteren Bilderserien erzählt, etwa in »Rio«. Das mehr als vier Meter lange »Electrobras« von 2013 ist voller Ovale und Halbkreise. Der Titel der Arbeit referiert auf ein brasilianisches Energieunternehmen, das seinen Sitz in Rio de Janeiro hat. Mit diesen spezifischen Formen scheint das Bild auf eine sehr umfassende Art auf einen ganz konkreten Ort hinzuweisen, mit einer sozialen, ökologischen und ökonomischen Struktur. Das Bild besteht aus einer strengen Anordnung verschiedenfarbiger geschwungener Bausteine, die entfernt an Blätter, Früchte oder Federn erinnern. Man erkennt die brasilianische Millionenstadt in der abstrakten Malerei wieder, wenn man will. Zum Beispiel, weil man sich an die Sichelformen von Fruchtstücken, die dort überall auf der Straße verkauft werden, erinnert fühlt – die »Coke-Machines von Rio« nennt Morris diese Obststände.
Manchmal findet man solche Formen auch an den Häuserwänden der Stadt. Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Militärdiktatur in den 70er Jahren sollen sie aufgekommen sein. Auch hat Morris mit den Formen Momente der Bauten von Oscar Niemeyer und Roberto Burle Marx aufgenommen. Der Architekt Niemeyer und der Landschaftsarchitekt Burle Marx entwarfen im modernistischen Stil öffentliche Gebäude und Plätze in Rio de Janeiro.
In der Rezeption von Morris Werk dominiert ein Diskurs, den ausgerechnet sie selbst losgetreten hat: Sie mache in ihren Bildern und Filmen die Strukturen der Macht sichtbar, heißt es. Um eine Struktur sichtbar zu machen, benötigt man allerdings analytische Werkzeuge, und die sucht man bei Morris leider vergebens. Sie zeigt einzig das, was ist – nicht mehr und nicht weniger. Das so entstandene künstlerische Produkt verkauft sie dann für sechsstellige Summen.
Ihre Bilder selbst fügen sich so in die inneren und äußeren Oberflächen Macht repräsentierender Gebäude ein. Künstlerisch kommt es in diesem Sinne zu einer folgenlosen Implosion. Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sieht die Bilder von Sarah Morris als prototypische »Siegerkunst«, wie er in seinem gleichnamigen Buch darlegt. Ihr kritischer Anstrich diene einzig der Vermarktung. Im internationalen Kunstdiskurs, wie er beispielsweise in Magazinen wie »Texte zur Kunst« geführt wird, spielen kritische Stimmen wie die von Ullrich allerdings kaum eine Rolle. Stattdessen wird Morris die Deutungshoheit über ihr Werk zugeschrieben – schließlich behauptet dies die Künstlerin auch selbst. Praktisch, denn so wird niemandem das Recht zugesprochen, ihnen den vermeintlich kritischen Stachel ziehen. Es passt, dass Morris Ullrich die Abbildungsrechte für ihre Bilder verweigerte. Auffallend ist außerdem, dass sich nahezu sämtliche Schlüsselwerke, die gerade in den Deichtorhallen zu sehen sind, in Morris’ eigenem Besitz befinden.
In ihren Stadtfilmen will die Künstlerin mehr noch als in ihren Bildern den Eindruck erwecken, sie lege die Funktionsweise ökonomischer und politischer Macht offen. Tatsächlich zeigt sie uns etwa in »Miami« von 2002 nur zahlreiche Facetten der Stadt. Wir sehen Szenen am Strand, ein Autorennen und nächtliche Polizeistreifen. Einer Flasche Coca-Cola folgen wir rückwärts vom Supermarkt in die Fabrik. Über Gründe und Widersprüche der Warenproduktion erfahren wir natürlich nichts. Stattdessen sehen wir bloß Strukturen. So auch in »AM/PM« von 1999. Beim Landeanflug eines Flugzeugs gehen die Lichtpunkte von Las Vegas in Lichtpunkte von Reklametafeln über. Punktiert über alles gesetzt sind Ambientklänge des Künstlers Liam Gillick: Es sind Strukturbilder als Imitation von Gesellschaftskritik.
»Sarah Morris: All Systems Fail«, bis zum 20. August, Deichtorhallen Hamburg.
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