Tageszeitung »nd« akut gefährdet

Die Mitgliederversammlung der nd.Genossenschaft spricht sich einstimmig für eine Rettungskampagne aus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
nd.Genossenschaft – Tageszeitung »nd« akut gefährdet

»Die Lage ist dramatisch.« Wolfgang Hübner möchte die Situation der Tageszeitung »nd« nicht schönreden. Seit fast 38 Jahren ist er dort als Journalist tätig, viele Jahre davon in der Chefredaktion. Er war schon vor 1989 dabei, als die Auflage noch 1,2 Millionen Exemplare betrug, erinnerte er am Samstag in einer Versammlung der nd.Genossenschaft in Berlin. Seit dem 1. Januar 2022 gibt diese Genossenschaft die Tageszeitung »nd« heraus – und ist dabei schneller als gedacht in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Angesichts von rund 400 000 Euro weniger Einnahmen als geplant und etwa 200 000 Euro höheren Kosten habe sich aktuell ein Fehlbetrag von 635 000 Euro ergeben, erklärt Vorstandsmitglied und Geschäftsführer Rouzbeh Taheri. Es sind verschiedene Maßnahmen ergriffen worden, die aber ihre Wirkung nicht sofort entfalten. So wird der Einzelverkauf am Kiosk zum 1. August eingestellt, weil dort deutlich mehr Kosten als Einnahmen entstehen. Die Logistik dafür verschlingt jährlich erhebliche Summen, denen kein angemessener Werbeeffekt gegenübersteht. Künftig wird am Kiosk nur noch die Wochenendausgabe »nd.DieWoche« erhältlich sein, die dann aber mehrere Tage im Angebot bleibt. Auch werden bis Ende des Jahres vier Vollzeitstellen im Unternehmen gestrichen, davon zwei in der Redaktion.

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Doch dahin muss die Zeitung erst einmal kommen. 12 309 Abonnenten gab es im ersten Quartal des Jahres. Von denen hatten 2569 ein Digitalabo abgeschlossen, lassen sich also keine Druckausgabe liefern, sondern lesen die Zeitung im Internet. Der Zeitungsbranche geht es insgesamt schlecht. Erstmals seit 60 Jahren haben alle deutschen Zeitungsverlage zusammen unter dem Strich Verlust gemacht, erklärt Vorstand Taheri am Samstag. Aber das tröstet nur wenig.

Rund 70 von insgesamt fast 900 Mitgliedern der nd.Genossenschaft waren am Sonnabend in Berlin zusammengekommen. Was sie hier erfuhren, war für die einen Ernüchterung, für die anderen ein Schock. Sie hätten nicht geglaubt, dass es so schlimm steht – und beklagten sich, nicht früher über die Lage informiert worden zu sein. Denn sie wollen doch helfen.

Aber Aufsichtsrat und Vorstand der nd.Genossenschaft erfuhren nach eigenen Angaben erst drei Tage vorher, dass sich das Defizit von den zunächst erwarteten 300 000 auf über 600 000 Euro vergrößert hat. Im Zuge des Übergangs von der nd-GmbH zur Genossenschaft vor anderthalb Jahren war die Buchhaltung ausgelagert worden. Das machte die Arbeit nicht einfacher; jetzt seien Buchungsfehler entdeckt worden.

Außerdem enthält die vorläufige Bilanz für das Jahr 2022 noch Verrechnungskonten, »bei denen entweder Belege fehlten oder Zahlungen nicht eindeutig zugeordnet werden konnten«, wie der Steuerprüfer schriftlich angemerkt hat. Er konnte die Bilanz also noch nicht abschließend bestätigen. Die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat kann deswegen einstweilen noch nicht erfolgen. Das muss voraussichtlich bei einer Generalversammlung der Genossenschaft im September nachgeholt werden. Die entsprechenden Tagesordnungspunkte mussten am Samstag also entfallen; stattdessen wurde über die aktuelle Krise der Zeitung und Wege diskutiert, sie zu überwinden.

Bei einer so kurzfristigen Änderung der Tagesordnung ist die Generalversammlung aus formalen Gründen nicht beschlussfähig. Deshalb ist der am Samstag gefasste Entschluss, der eine existenzbedrohende Krise feststellt und eine Kampagne zur Rettung der Zeitung unterstützt, genau betrachtet rechtlich nicht bindend. Er ist eher eine Willensbekundung der Anwesenden. Und am Willen mangelt es nicht. Einige Genossenschaftsmitglieder erklären spontan ihre prinzipielle Bereitschaft, einen weiteren Genossenschaftsanteil von 500 Euro zu zeichnen. Der finanzielle Engpass soll nicht zum Aus für die Zeitung im schlimmsten Fall schon in zwei Monaten führen. Würden alle fast 900 Genossenschaftsmitglieder so handeln und noch neue hinzukommen, wäre die Zeitung vorerst gerettet. Im Moment zehrt das Defizit an den Einlagen der Genossenschafter.

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Es gibt eine ganze Reihe von guten Vorschlägen, wie man dem »nd« helfen kann. So wünscht sich Genossenschafter Johannes, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, unter anderem ein Aktionsbüro, das ideenreich um neue Abonnenten wirbt. Vorstellen kann er sich etwa, mit Gleichgesinnten und einem Stapel Zeitungen mit der Bahn nach Hamburg zu reisen und die Exemplare dort in Parks zu verteilen. Zu Geburtstagen hat er für je neun Euro schon 30 Testabos der Wochenendausgabe verschenkt. Herausgekommen seien fünf richtige Abos der Beschenkten und ein neues Genossenschaftsmitglied, erzählt er.

»Es lohnt sich zu kämpfen. Wenn wir das in den letzten mehr als 30 Jahren nicht gemacht hätten, wären wir heute gar nicht mehr hier«, erinnert Wolfgang Hübner an frühere Krisen, die das »nd« seit 1990 überstehen musste. »Wir haben eine Verantwortung vor der langen Geschichte dieser Zeitung, vor allem aber für ihre Zukunft.« Notwendig sei das nicht zuletzt wegen der Themen im »nd« und der politischen Haltung, die anderen Medien weitaus seltener oder überhaupt nicht auftauchen. Ines Wallrodt von der Redaktionsleitung möchte an die Leser appellieren: »Wenn Ihr jetzt nichts tut, gibt es das ›nd‹ bald nicht mehr. Dann ist es zu spät.«

Rolf Sukowski kennt so eine gefährliche Lage von seiner Organisation Solidaritätsdienst International (SODI), bei der er Vorstandsvorsitzender ist. SODI musste 2016 in einer kritischen Lage kämpfen und hat überlebt. Auch das »nd« soll überleben. Denn Sukowski möchte bei der alljährlichen nd-Solidaritätsaktion mindestens noch die Marke von einer Million Euro Spenden knacken, wie er aufmunternd verkündete. Seit 21 Jahren spendeten nd-Leser bei der Aktion schon mehr als 900 000 Euro. In den Genuss des Geldes kamen 66 Projekte von SODI sowie den Organisationen Inkota und Weltfriedensdienst. Doch zunächst braucht das »nd« selbst die Unterstützung all jener, denen die Existenz dieser linken Zeitung wichtig ist.

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