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Gewalteskalation im Westjordanland
Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern nehmen zu
Eine neue Woche bricht an und kaum jemand zweifelt daran, dass sie weitere Gewalt mit sich bringen wird. Seit Anfang vergangener Woche starben im besetzten Westjordanland mindestens 18 Menschen, darunter mehrere Jugendliche, sowohl durch das israelische Militär als auch durch Angriffe von Palästinensern oder jüdischen Siedlern. Die Wucht, die Schnelligkeit, mit der sich die Ereignisse entwickeln, ist enorm. So sind am Samstag erneut radikale Siedler gegen palästinensische Bewohner im besetzten Westjordanland vorgegangen und haben Häuser und Autos angezündet. Die israelische Armee teilte mit, es sei zu Konfrontationen zwischen Israelis und Palästinensern gekommen. Bisher sei ein israelischer Bürger festgenommen worden. Ein Soldat sei durch einen Steinwurf verletzt worden. »Die israelische Armee wird weiter entschlossen gegen alle Gewalttaten und Zerstörung von Besitztum vorgehen«, hieß es in der Mitteilung. »Die israelische Armee verurteilt solche nationalistischen Verbrechen, die zu Eskalation führen.«
Am Montag vergangener Woche kamen mindestens sieben Palästinenser*innen bei einer israelischen Militäroperation im Flüchtlingslager Dschenin ums Leben; darunter zwei Jugendliche. 90 Menschen wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums verletzt. Einige Tage später eröffneten dann Palästinenser in der Nähe der Siedlung Eli das Feuer auf eine Gruppe von Israelis, vier Menschen wurden getötet und weitere vier zum Teil schwer verletzt. Die israelische Regierung ordnete daraufhin die erste »gezielte Tötung« seit 20 Jahren an: Mit einer Drohne wurde ein Auto beschossen; die drei Insassen kamen ums Leben. Es habe sich dabei um Angehörige des bewaffneten Flügels der Hamas gehandelt, gab die Organisation bekannt, die seit 2007 den Gazastreifen kontrolliert. Ungefähr zeitgleich verwüsteten mehrere Hundert israelische Siedler*innen eine Reihe von palästinensischen Ortschaften.
Verteidigungsminister Joav Galant erklärte über Twitter, man werde »im Kampf gegen den Terror auf Angriff und Initiative setzen«. Man werde »alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen.« In Gesprächen mit israelischen Medien gibt er sich indes nachdenklicher: Man müsse sich wohl auf eine längere Phase der Gewalt einstellen, sagt er dann. Er hat lange im Militär gedient, wäre fast Generalstabschef geworden. Nun jedoch wirken die Militäroperationen wie jene am vergangenen Montag viel gewagter und viel drastischer als früher.
Das Flüchtlingslager außerhalb von Dschenin ist eine übervölkerte Ansammlung von Gebäuden. Die aus Arbeitslosigkeit und Armut genährte Perspektivlosigkeit der Bewohner bietet militanten Gruppen wie der Hamas oder dem Islamischen Dschihad einen idealen Nährboden. Waffen sind hier weitverbreitet. Militäroperationen in einem solchen Gebiet gelten schon seit Beginn der ersten Intifada als besonders anspruchsvoll. Denn die Herangehensweise jeder israelischen Regierung ist bislang gewesen, zivile Opfer und damit medienwirksame Bilder möglichst zu vermeiden, die negative Eindrücke bewirken. Die internationale Wirkung war immer im Blick, Israel möchte nicht auf der falschen Seite gesehen werden. Denn wenn das passiert, ist es möglich, dass man Gruppen wie die Hamas und den Islamischen Dschihad nicht schwächt, sondern sogar stärkt.
Ein Erstarken von Hamas und Islamischer Dschihad ist auch wegen der palästinensischen Innenpolitik heute eine reale Möglichkeit. In Ramallah regiert seit 2006 Präsident Mahmud Abbas; 2010 war seine Amtszeit abgelaufen. Abbas blieb einfach im Amt, kündigte immer wieder mal Wahlen an und sagte sie dann ab. Mit den Jahren nahmen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme immer weiter zu, wurde die Palästinensische Autonomieverwaltung nahezu vollständig von Zuwendungen der Europäischen Union und aus den Vereinigten Staaten abhängig. Gleichzeitig will sich vor allem die Hamas nicht mehr allein mit der Kontrolle über den Gazastreifen zufrieden geben. Sie strebt nach Einfluss im Westjordanland, vermarktet sich als die wahre palästinensische Befreiungsorganisation. Die wenigen zuverlässigen Meinungsumfragen, die es gibt, deuten alle auf eines hin: Würde es nun Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geben, würde der politische Flügel der Hamas haushoch gewinnen.
Vor allem das rechtsradikale Wahlbündnis »Religiöser Zionismus«, das den Minister für Innere Sicherheit und einen Minister im Verteidigungsministerium stellt, fordert drastische Militäroperationen. Nur mit Härte könne man Organisationen wie die Hamas und den Islamischen Dschihad brechen, ist ihre Devise. Tatsächlich vergrößern sie damit nur die Wut der Palästinenser, denn heutzutage verbreiten sich Bilder und Videos über soziale Netzwerke schnell.
Noch viel mehr als die Militäroperation in Dschenin sorgte der Siedler-Angriff auf ein palästinensisches Dorf am Dienstag für Aufruhr: Mehrere Hundert Siedler stürmten Turmus Ajja, setzten dort Gebäude und Autos in Brand, verwüsteten Läden und warfen Steine auf vorbeifahrende Autos; ein Mensch kam ums Leben. Das israelische Militär hatte deutliche Schwierigkeiten, die Angriffe unter Kontrolle zu bringen und hat inzwischen eingeräumt, bei der Verhinderung des Angriffs auf Turmus Ajja »versagt« zu haben. »Wir hatten bei der ersten Angriffswelle nicht genügend Kräfte vor Ort«, sagte der Armeesprecher Daniel Hagari am Freitag. »Dieses Mal haben wir versagt.«
Nun soll die Militärpräsenz aufgestockt werden; außerdem empfiehlt der Inlandsgeheimdienst Schin Beth, die sogenannte Verwaltungshaft gegen radikale Siedler*innen anzuwenden. Dabei können auf Anordnung des Verteidigungsministeriums Personen ohne Urteil inhaftiert werden. Angewandt wurde das Instrument bislang nahezu ausschließlich auf Palästinenser. Im März jedoch ließ Gallant erstmals zwei Siedler für jeweils vier Monate in Verwaltungshaft nehmen, die zuvor von einem Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden waren. Itamar Ben Gvir, Minister für innere Sicherheit und Spitzenpolitiker der Religiösen Zionisten, nannte die Inhaftierten daraufhin »heroisch« und forderte von Regierungschef Netanjahu die sofortige Freilassung.
Das US-Außenministerium verurteilte die Angriffe der Siedler und forderte eine Bestrafung. Das Verhältnis zwischen beiden Regierungen ist auf einem historischen Tiefstand angekommen. Regierungschef Benjamin Netanjahu wurde schon seit der Vereidigung seiner neuen Regierung vor gut einem halben Jahr nicht mehr ins Weiße Haus eingeladen. Zudem übergeht US-Präsident Joe Biden ihn bei den Atomverhandlungen mit dem Iran. Nach einem zweitägigen Treffen in Katar zeigten sich alle Beteiligten optimistisch, dass man nun vorankomme. Aber vor allem kann Netanjahu nicht mehr auf das Veto der USA im Uno-Sicherheitsrat zählen. Und: US-Politiker beider Parteien denken laut darüber nach, ob es nicht an der Zeit sei, Palästina zum Vollmitglieder der Vereinten Nationen zu machen und damit de facto anzuerkennen. An der Lage in den palästinensischen Gebieten würde das nichts ändern. Aber es wäre ein symbolischer Schritt.
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