Nach Wahl des AfD-Landrats in Sonneberg: Panik und Relativierung

Sorgen nach Sonneberger Stichwahl: Rechtsaußen-Kandidat gewinnt haushoch

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Siegesrausch: AfD-Landes- und Bundeschef Höcke (2.v.l.) und Chrupalla (r.) angesichts der Wahl von Robert Sesselmann (Mitte)
Im Siegesrausch: AfD-Landes- und Bundeschef Höcke (2.v.l.) und Chrupalla (r.) angesichts der Wahl von Robert Sesselmann (Mitte)

Auch Gratisnougat konnte nicht verhindern, dass der AfD ein symbolträchtiger Sieg gelungen ist. Ihr Bewerber um den Chefsessel im Landratsamt Sonneberg, Robert Sesselmann, gewann die Stichwahl am Sonntag mit 52,8 Prozent der Stimmen. Der Rechtsanwalt und Landtagsabgeordnete Sesselmann setzte sich gegen seinen Kontrahenten Jürgen Köpper (CDU) durch, zu dessen Wahl Linke, SPD, Grüne und FDP aufgerufen hatten – vergebens, wie sich herausstellte. Denn Köpper kam nur auf 47,2 Prozent der Stimmen.

Abonniere das »nd«

Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!

Unmittelbar vor dem zweiten Durchgang zur Landratswahl von Sonneberg hatte der Thüringer Süßwarenhersteller Viba für Vielfalt, Miteinander und Toleranz geworben und damit indirekt zur Wahl von CDU-Kandidat Köpper aufgerufen. »Wir sind stolz, in einem demokratischen und weltoffenen Thüringen zu produzieren«, heißt es in einer Anzeige, die das Unternehmen geschaltet hatte. Deshalb werde es bei einer hohen Beteiligung an der Stichwahl in Sonneberg Rabatt auf bestimmte Nougatstangen im Sonneberger »Viba-Store« geben, versprach das Unternehmen.

Das Kalkül hinter dieser Art der Wahlempfehlung hatte sich in der Vergangenheit durchaus bewährt, wenn es darum ging, einen Erfolg von AfD-Kandidaten zu verhindern. Eine hohe Wahlbeteiligung war bislang schlecht für die AfD, denn die rechtsradikale Partei, die ihre Unterstützer gut mobilisieren kann, profitiert oft vor allem davon, dass ihren Konkurrenten dies nicht im gleichen Maß gelingt.

In Sonneberg ging dieses Kalkül nicht auf. Etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten machten nach Angaben des Landeswahlleiters bei der Landratswahl am Sonntag von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Das ist für kommunale Wahlen ein hoher Wert. Und dennoch ist Sesselmann nun erster AfD-Landrat Deutschlands. Selbst in absoluten Zahlen hat der Politiker im Vergleich zum ersten Wahlgang vor zwei Wochen noch einmal hinzugewonnen. Sesselmann ist nicht aus Versehen zum Landrat gewählt geworden.

Für die Landtagswahl in Thüringen im nächsten Jahr ist dieser Befund eine schwere Bürde. Die Abstimmung in Sonneberg zeigt, dass nicht einmal eines der letzten Instrumente im »Werkzeugkasten der Demokratie« zuverlässig gegen AfD-Siege hilft. Schon Minuten, nachdem das Wahlergebnis am Sonntag festgestanden hatte, räumten das mehrere Thüringer Landespolitiker ein. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende in Thüringen, Beate Meißner, die zugleich Vorsitzende des Kreisverbandes Sonneberg ist, sagte, offensichtlich spiele für viele Wähler die Person eines Kandidaten eine geringere Rolle als die Partei, für die er antrete. »Das bedeutet, dass wir noch mehr zu tun haben, als wir dachten.« Für direkt gewählte Landtagsabgeordnete wie sie gilt das umso mehr, weil sie bei Landtagswahlen in nur einem Wahlgang gewählt werden.

Insbesondere in den ländlichen Regionen Thüringens ist das für AfD-Kandidaten vielerorts ziemlich wahrscheinlich – fast schon unabhängig davon, wen die Partei irgendwo aufstellt. Im politischen Erfurt wird seit langem sarkastisch beklagt, die AfD könne vielerorts »einen Besenstiel« aufstellen – er würde gewählt werden.

Auch bei der Mobilen Beratung Thüringen – Für Demokratie, gegen Rechtsextremismus (Mobit) glaubt man, dass der Kern dieser Aussage zutreffend ist. »Vor allem im ländlichen Raum ist die Gefahr groß, dass die AfD im nächsten Jahr bei der Landtagswahl zahlreiche Direktmandate erringen wird«, sagt ein Sprecher der Organisation am Montag. »Die Vergangenheit hat mehrfach gezeigt, dass es bei Wahlen inzwischen häufig nicht um die Kandidaten geht, sondern um die politische Stimmung vor Ort.«

Der AfD-Erfolg von Sonneberg trotz hoher Wahlbeteiligung illustriert vermutlich die politische Stimmung in ganz Ostdeutschland. Darüber hinaus hat dieses Wahlergebnis das Potenzial, diese Stimmung zu verstärken: Stichwort Normalisierung.

Schon derzeit, sagt der Sprecher von Mobit, sei die politische und gesellschaftliche Stimmung zumindest in Teilen Deutschlands ganz anders als noch vor einigen Jahren. »Wir sind in einer Situation, in der die extreme Rechte deutlich in der Mitte der Gesellschaft des Landes angekommen ist, in der ein erheblicher Teil der Wählerschaft wieder bereit ist, einer völkisch-nationalistischen Partei seine Stimme zu geben.« Und dadurch, dass Sesselmann als Landrat in den nächsten Jahren viel mehr Möglichkeiten zu öffentlichen Auftritten als bisher bekomme, werde das »zur weiteren Normalisierung der AfD beitragen«.

Bei all diesen Befürchtungen gibt es allerdings auch Stimmen, die davor warnen, den Wahlerfolg der AfD in Sonneberg überzubewerten. Neben dem Sprecher von Mobit spricht auch die Landesvorsitzende der Linken, Ulrike Grosse-Röthig, derlei Relativierungen aus. Es sei falsch, es als gesetzt hinzunehmen, dass die AfD bei der Landtagswahl stärkste Kraft in Thüringen werde, sagt sie. Das lasse sich noch verhindern, wenngleich es nach der Wahl von Sonneberg ein Kraftakt werde. »Das ist kein Selbstläufer, wir werden hart daran arbeiten müssen – und das erwarte ich auch von allen politischen Mitbewerbern«, so Grosse-Röthig.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -