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Griechenland nach der Wahl: Zementierte Verhältnisse
Die rechtskonservative Regierungspartei und die extreme Rechte sind die Gewinner der Parlamentswahl in Griechenland
»Zum zweiten Mal in Folge ist ganz Griechenland blau.« Mit diesem Satz leitete Kyriakos Mitsotakis am Sonntagabend in Athen seine Siegesrede ein. »Die Nea Dimokratia ist heute die stärkste Mitte-Rechts-Partei in Europa. Wir haben genau die gleiche Anzahl von Abgeordneten wie 2019, aber der Unterschied zu unserem Hauptkonkurrenten beträgt 24 Punkte, während er damals 8 Punkte betrug.« Mit dem Erdrutschsieg scheinen die Wähler über die Verstrickung der ND-Regierung in eine Reihe von Skandalen hinwegzusehen und ihr das Versprechen von »anhaltender wirtschaftlicher Stabilität und Wohlstand« abzunehmen.
Bei der vorangegangenen Wahl am 21. Mai, die ohne Bonussitze durchgeführt wurde, fehlten der ND fünf Sitze zu einer absoluten Parlamentsmehrheit. Das Nichtzustandekommen einer Regierungskoalition hatte die erneute Wahl erforderlich gemacht. Die Wahlbeteiligung ist mit 52,83 Prozent im Vergleich zu der Wahl im Mai (61,10 Prozent) stark gesunken. Acht Parteien werden nun in das Parlament einziehen, im Mai hatten sich fünf qualifiziert.
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Bei der zweiten Wahl vergrößerte sich der Abstand zwischen ND und Syriza geringfügig. Die Linkspartei ist damit noch einmal der große Verlierer. Die ND erreichte 40,55 Prozent und 158 Sitze, während Syriza lediglich auf 17,84 Prozent und 48 Sitze im 300 Abgeordnete zählenden Hellenischen Parlament kam. Die sozialdemokratische Pasok schaffte 11,85 Prozent und 32 Sitze. Es folgen die kommunistische KKE mit 7,69 Prozent (20 Sitze) und die drei extrem rechten Parteien Spartaner mit 4,64 Prozent (12 Sitze), Griechische Lösung (4,44 Prozent,12 Sitze) und Niki mit 3,69 Prozent (10 Sitze). Die Partei Kurs der Freiheit der ehemaligen Syriza-Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou errang 8 Sitze (3,17 Prozent), während die ebenfalls linke Partei von Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis Mera 25 erneut unter der 3-Prozent-Hürde blieb.
Die Rechtskonservativen unter der Führung von Mitsotakis – der bis letzten Monat Premierminister war und nach der ergebnislosen Wahl einem Interimschef Platz gemacht hatte – erhalten dank der neuesten Version des griechischen Verhältniswahlsystems 50 zusätzliche Sitze. Damit besitzt die Fraktion der Partei von Mitsotakis die Hälfte plus 8 der Mandate im Parlament und kann ihr Reformprogramm weiter verfolgen.
Nach Einschätzung der britischen Zeitschrift »The Economist« ist der Wahlausgang ein »Zeichen des Optimismus hinsichtlich der Chancen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung vor dem Hintergrund politischer Stabilität«. Katastrophen wie das Schiffsunglück Anfang dieses Monats, bei dem mehrere hunderte pakistanische und syrische Geflüchtete ums Leben kamen und der griechischen Küstenwache Fahrlässigkeit vorgeworfen wurde, oder das Zugunglück im Februar, bei dem mehr als 50 zumeist junge Menschen infolge eines Signalfehlers ums Leben kamen, scheinen das Abschneiden der Regierungspartei nicht negativ beeinflusst zu haben. Ausschlaggebend für den Wahlsieg von ND waren laut Meinungsforschern die finanziellen Hilfen für Bürger und Unternehmen während der Covid-19-Pandemie und der Strompreiskrise im letzten Winter.
Mit großer Spannung erwartet worden war am Wahlabend die Rede von Syriza-Chef Alexis Tsipras. Es kam aber nicht zum heiß diskutierten Rücktritt. Der frühere Ministerpräsident erklärte, dass für Syriza ein Zyklus abgeschlossen sei und nun ein neuer beginne. Seine zukünftige Rolle in der Partei liege »nun in den Händen der Mitglieder«.
Einst war Tsipras ein Aushängeschild der Linken in Europa. Er konfrontierte die internationalen Institutionen mit einem Volksentscheid. Unter Brüsseler und Berliner Druck änderte er dann den Kurs. Seine Regierung unterwarf sich den auferlegten harten Bedingungen im Gegenzug für Finanzhilfen. Tsipras führte Griechenland zurück zur EU-Normalität und ebnete damit objektiv Mitsotakis den Weg, der die Entwicklung der vergangenen Jahre als Erfolgsstory verkauft.
Vom viel gepriesenen wirtschaftlichen Aufschwung profitierten bisher nur wenige Menschen in Griechenland. In den vier Jahren seiner Regierungszeit flankierte Mitsotakis Steuererleichterungen für Unternehmen und antisoziale Politik mit Repressionen gegen Demonstrationen samt Abhörskandal gegen Oppositionspolitiker und Journalisten. Im Pressefreiheitsindex rutschte Griechenland gar hinter das autoritäre Ungarn. Linke Organisationen sprechen daher von einer »Orbanisierung« des Landes. An Mitsotakis perlt jede Kritik ab – dabei sind auf Linie befindliche Medien hilfreich.
»Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft!« Dieser Gedanke von Karl Marx scheint sich in Griechenland zu bestätigen. Der Rechtsruck in Frankreich machte Marine Le Pen und ihre Bewegung stark. In Italien wurde mit Georgia Meloni eine Neofaschistin Regierungschefin. Und in Deutschland kommt nach Umfragen die Alternative für Deutschland nun auf den zweiten Platz. Dass zwei neu gegründete rechtsextreme Parteien – die Spartaner und Niki (griechisch für »Sieg«) – nun die 3-Prozent-Hürde problemlos übersprungen haben, gibt zu denken.
Umfragen zufolge war die Unterstützung für die Spartaner in der Endphase des Wahlkampfs sprunghaft angestiegen, nachdem Ilias Kasidiaris, ein inhaftierter ehemaliger Anführer der verbotenen neonazistischen Partei Goldene Morgenröte, getwittert hatte, dass er sie unterstützen würde. Eine weitere rechte Gruppierung, die pro-russische Griechische Lösung, wird ins Parlament zurückkehren. Zusammen holten die drei rechtsextremen Parteien knapp 13 Prozent der Stimmen.
Mitsotakis hat am Montagmorgen bereits den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten und wird im Laufe dieser Woche sein neues Kabinett vorstellen. Für seine zweite Amtszeit wurde vom Premierminister und seinem Umfeld eine Welle griechischer und ausländischer Investitionen vorhergesagt, die Griechenland dabei helfen werde, zu seinen mitteleuropäischen EU-Partnern aufzuschließen. Viele Beobachter befürchten aber eher eine Welle weiterer Privatisierungen – etwa im Bildungssektor – und eine migrationsfeindliche Politik. Angesichts des Erfolgs der mit ND um Wähler konkurrierender rechtsextremer Parteien nun mehr denn je.
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