Werbung

Inakzeptables Nein zum Heim

Stadt Rhinow lehnt Asylunterkunft ab. Der Landkreis kann das so nicht hinnehmen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Kommunen haben Schwierigkeiten, noch mehr Flüchtlinge unterzubringen. Es mangelt an Platz in den Kitas und Schulen, und so manche Arztpraxis ist bereits jetzt mit den Patienten überlastet, die es zu versorgen gilt. Selten aber geschieht es, dass eine Stadt sich komplett verweigert und eine Stadtverordnetenversammlung einstimmig beschließt, dem Landkreis ein Grundstück für den dringend notwendigen Bau eines Asylheims nicht zu überlassen. So geschehen am 22. Juni in Rhinow im Havelland. Die »Märkische Allgemeine« (MAZ) hat darüber berichtet und Bürgermeister Stefan Schneider (SPD) zitiert, der nach einer turbulenten Sitzung mit erbosten Einwohnern erklärte: »Ich stehe zwar hier bei den Stadtverordneten. Aber ich bin bei allem, was gesagt wurde, bei den Bürgern.«

Doch was gaben Bürger nicht alles von sich, als es um Container für 100 Personen in einem Gewerbegebiet ging? Nennhausen soll auch eine Unterkunft für 100 Flüchtlinge bekommen und Falkensee eine für 400. In Falkensee gebe es schon eine »gute Willkommenskultur«, hatte Wolfgang Gall laut MAZ gewürdigt. Gall ist der für Ausländerangelegenheiten zuständige Beigeordnete in der Kreisverwaltung. Darauf eine junge Frau: »Wenn die Flüchtlinge in Falkensee so willkommen sind, dann sollen sie doch die 100 Flüchtlinge aus Rhinow nehmen. Wir geben gerne ab.« Und unter Applaus: »Ich will nicht, dass meine Kinder Arsch an Arsch neben Flüchtlingen in einem Bus stehen.« Weiterhin wurde gesagt, die Geflüchteten seien zum großen Teil kriminell.

Dem Zeitungsbericht zufolge bemühte sich der Beigeordnete Gall, Bedenken zu zerstreuen: Die bestehenden Asylheime im Havelland seien unauffällig. Es nützte nichts. Der Landkreis kann aber nun die Weigerung der Stadt Rhinow nicht einfach so akzeptieren. Die Aufnahme der Menschen ist eine sogenannte Pflichtaufgabe nach Weisung. Bundesländer und Landkreise erhalten nach einem festgelegten Schlüssel Geflüchtete zugewiesen und müssen diese versorgen.

Abonniere das »nd«

Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!

Wie geht es aber nun weiter? Linksfraktionschefin Andrea Johlige berichtet, dass ihre Fraktion für die Sitzung am 3. Juli eine Resolution in den Kreistag einbringen wird. Darin steht, es sei »nicht hinnehmbar, wenn Städte und Gemeinden im Havelland versuchen, sich der staatspolitischen Verantwortung für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ganz oder teilweise zu entziehen«. Der Kreistag solle sich mit der Resolution ausdrücklich dazu bekennen, Geflüchtete aufzunehmen und im gesamten Landkreis zu verteilen. Wie bisher solle dabei der Leistungsfähigkeit der einzelnen Kommunen Rechnung getragen werden. Der Kreistag solle per Beschluss die Bemühungen der Kreisverwaltung unterstützen, Unterkünfte in Falkensee, Nennhausen und auch Rhinow zu errichten, und er solle die Verwaltung ermutigen, auch in Städten und Gemeinden, in denen bisher keine Geflüchteten untergebracht sind, Möglichkeiten dafür zu schaffen.

In den vergangenen Jahren habe das alles gut funktioniert. Es seien Unterkünfte in Falkensee, Schönwalde, Nauen, Dallgow-Döberitz, Brieselang, Friesack, Premnitz und Rathenow entstanden. Natürlich habe es dort zuvor in der Bevölkerung »Vorbehalte, Sorgen und Ängste« gegeben. »Und wir werden alle nicht vergessen, dass in Nauen eine Turnhalle durch Rechtsextreme angezündet und abgebrannt wurde, die zur Unterbringung Geflüchteter vorbereitet war.« In der Nacht zum 25. August 2015 war das Feuer an der Sporthalle des Oberstufenzentrums von Nauen gelegt worden. Es entstand ein Sachschaden von 3,5 Millionen Euro. Als Brandstifter verurteilt wurde der ehemalige NPD-Stadtverordnete Maik Schneider. Erst im September 2017 konnte ein Neubau eingeweiht werden, für den noch einmal die alten Baupläne benutzt worden waren. Im Entwurf der Resolution heißt es: »Solche Situationen wollen wir nicht wieder erleben und sagen deshalb klar und deutlich: Das Havelland steht zu seiner Verantwortung, Geflüchtete, die dem Landkreis zugewiesen werden, so wie bisher menschenwürdig unterzubringen.«

Ob es für die Resolution eine Mehrheit in der Kreistagssitzung am 3. Juli geben wird, muss sich zeigen. Linksfraktionschefin Johlige sagte am Donnerstag: »Es gibt Bewegung. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass der Kreistag dieses wichtige Signal aussenden wird. « Nach ihrer Kenntnis kam bei der Versammlung in Rhinow auch ein bekannter Neonazi unwidersprochen zu Wort. Johlige sagte: »Gerade wenn sich Rechtsextreme in solchen Veranstaltungen äußern, kann die Stimmung angeheizt werden. Das führt zu Verunsicherungen und Angst bei denen, die sich solidarisch mit Geflüchteten zeigen. Auch an sie wäre die Resolution ein Signal, dass sie nicht alleingelassen werden.«

Das Sozialministerium führt dazu keine Übersicht. Ihm ist aber außer Rhinow ein weiterer Fall bekannt.

Integration in Brandenburg
  • In Brandenburg leben aktuell rund 60 000 Flüchtlinge.
  • Im vergangenen Jahr nahm das Bundesland 38 941 Geflüchtete auf. Im Jahr 2021 waren es nur 3963 und im Jahr 2016 waren es 9287.
  • Für das laufende Jahr war vorhergesagt, dass noch einmal rund 26 000 Menschen eintreffen. Diese Zahl war aber mit großer Wahrscheinlichkeit zu hoch angesetzt.
  • Bis Ende Mai 2023 haben die Kommunen zusammen 5452 Geflüchtete aufgenommen.
  • An Brandenburgs Schulen werden derzeit 6044 ukrainische Schülerinnen und Schüler unterrichtet. af
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.