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DFB-Spielerin Carolin Simon: Die Balance stimmt wieder
Nach mentalen Problemen und langer Absenz steht die DFB-Spielerin vor ihrem WM-Comeback
Beim Medientag der deutschen Fußballerinnen in Herzogenaurach hat Carolin Simon hinten links in der Ecke gesessen, als Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg vom Podium eine eindringliche Bitte formulierte. Gerade die fünf Nationalspielerinnen vom FC Bayern solle bitte niemand mehr etwas zum Abstellungsstreit fragen. Bloß keine Energie mit der Rückschau verschwenden, lautete ihre Begründung. Doch bei der Linksverteidigerin aus München ist der Rückblick eigentlich unvermeidlich. Dass die 30-Jährige mit dem am Samstag erfolgten Startschuss ins zweite Trainingslager eine ernsthafte Kandidatin für die WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) geworden ist, hatte sie selbst gar nicht mehr erwartet.
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Zwischenzeitlich war sie im Nationalteam mehrere Jahre weg vom Fenster. Sie gehörte folglich nicht zu den EM-Heldinnen, die vergangenen Sommer nach dem verlorenen Finale gegen England auf dem Frankfurter Römer reichlich Applaus empfingen. Dass Simon in den erweiterten Kreis der WM-Kandidaten aufgenommen wurde, ehe nach dem Testspiel gegen Sambia in Fürth am kommenden Freitagabend um 20.30 Uhr der endgültige Kader benannt wird, macht sie schon stolz. »Ich habe mir das immer gewünscht, weil ich immer gerne Nationalmannschaft gespielt habe, aber nach so einer langen Zeit weiß man nicht. Umso größer war die Freude. Ich bin unfassbar gerne hier.«
Bei der WM 2019 in Frankreich kam Simon auf vier Einsätze, stand beim Viertelfinal-Aus gegen Schweden (1:2) in der Anfangself, wurde aber noch vor der Pause ausgewechselt. Der Vorwurf: zu langsam, zu fehlerhaft, vielleicht auch zu aufgeregt. Als Voss-Tecklenburg die Nationalelf danach neu sortierte, fehlte sie. Für längere Zeit. Diese Phase, erklärt die gebürtige Kasselanerin, sei nicht einfach gewesen: »Ich hatte generell eine schwierige Zeit, in der ich auch mental viele Baustellen hatte. Ich habe mich über längere Zeit in einen Abwärtsstrudel begeben.«
Sie habe das anfangs gar nicht so gemerkt, bis sie an einen Punkt gelangte, an dem es ohne professionelle Hilfe nicht mehr ging. »Ich habe mir eine Psychologin fernab des Sports geholt.« Natürlich habe sich in ihrem Leben vieles um den Fußball gedreht, trotzdem hatte sie das Gefühl, »jemanden abseits von dieser Sport-Bubble« zu brauchen. Die Aufarbeitung hat geholfen, die Balance stimmt wieder. Und sie kann festhalten: »Das letzte Jahr war eines meiner sportlich besten.«
Bereits bei der USA-Reise im Herbst vergangenen Jahres kam sie wieder im DFB-Team zum Einsatz. Ihre aktuelle Berufung sieht die 21-fache Nationalspielerin als »Anerkennung und Wertschätzung« ihrer Leistungen an. Die Linksfüßerin war mit 13 Assists beim Meister Bayern die beste Vorlagengeberin der Liga. »Ich fühle mich körperlich und mental absolut gut und für jede Aufgabe gewappnet.«
Für psychologische Unterstützung stände bei den DFB-Frauen ja seit Beginn der Vorbereitung wie schon bei den vergangenen Turnieren Birgit Prinz als ausgebildete Sportpsychologin parat. »Ich mag Birgit unheimlich gerne«, sagt Simon. Eine Ansprechpartnerin bei mentalen Problemen zu haben, sei heutzutage wichtig: »Es gibt immer mal Dinge im Fußball, die man nicht so einfach verarbeiten kann.« Sie selbst verspürt angeblich jetzt keinen Druck: »Ich will bei mir und meiner Leistung bleiben. Alles andere werden andere entscheiden.« Wer ihr zuhört, stellt schnell fest: Die gereifte und meinungsstarke Persönlichkeit könnte der Teamchemie in Australien gut tun. Kein unwichtiger Faktor beim letzten Ausleseprozess.
Fußballerisch könnte Simon entgegenkommen, dass auch auf ihrer Position gewisse Defizite bestehen: Nach dem Ausfall von Giulia Gwinn fehlen bei den DFB-Frauen Außenverteidigerinnen von internationaler Klasse. Bislang sind rechts wohl Sophia Kleinherne von Eintracht Frankfurt und links Felicitas Rauch vom VfL Wolfsburg eingeplant, wobei Simon sagt: »Felicitas macht es auf der Position seit Jahren gut. Es gibt eigentlich keinen Grund zu wechseln.« Deshalb möchte Simon gar keine Ansprüche formulieren: »Es wäre der falsche Ansatz, wenn ich sagen würde: ›Ich gehe durch diese Tür, und jetzt möchte ich wieder spielen.‹ Ich glaube schon, dass ich mich hintenan stellen muss.« Ihr Motto: »Wenn ihr mich braucht, bin ich bereit.«
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