- Wissen
- Dingos
Nicht auf den Hund gekommen
Neue DNA-Tests an Dingos widerlegen den Mythos, dass es sich bei den Tieren um Wildhunde handele
Wie der Koala oder das Känguru ist der Dingo eines der ikonischen Tiere Australiens. Allerdings liegt der Knuddelfaktor der Vierbeiner aus der Familie der Canidae – Hunde, Wölfe und Füchse – bei null. Wie übel Dingos sind, glaubt in Down Under jeder spätestens seit dem spurlosen Verschwinden der neun Wochen alten Azaria Chamberlain in der Nacht des 17. August 1980 zu wissen. Den Eltern Lindy und Michael Chamberlain war von Anfang an klar: Ein Dingo hatte ihr Baby aus dem Campingzelt am Uluru, dem heiligen Berg der Aborigines, verschleppt.
Für die Öffentlichkeit und für Gerichte hingegen galten schnell die Chamberlains als Mörder ihrer Tochter und sie kamen für einige Jahre ins Gefängnis. Als man 1986 Azarias Jäckchen in der Nähe von Dingohöhlen fand, wurden die Urteile gegen die Chamberlains aufgehoben. Einen eindeutigen Beweis für den Dingo als Babyfresser gibt es aber bis heute nicht.
Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!
Dingos sind als Gefahr für das Vieh der Farmer zur Tötung freigegeben. Dem Canis lupus dingo wird mit groß angelegten, staatlich geförderten Vergiftungsaktionen der Garaus gemacht. Die Begründung: Es sind sowieso keine echten Dingos, die sich über Kälber und Lämmer hermachen, sondern verwilderte Haushunde. Mit diesem Mythos haben jetzt Forscher um die Molekularbiologin und Dingoexpertin Kylie M. Cairns von der Universität von New South Wales mit der in dem Fachblatt »Molecular Ecology« sowie als Zusammenfassung in »The Conversation« veröffentlichten Studie aufgeräumt.
Mit neuesten Gentestmethoden konnten Cairns und Kollegen nachweisen, dass die meisten der 307 getesteten Tiere reine Dingos waren. »Nur ein kleiner Teil der wilden Dingos stammte von Hunden ab, wahrscheinlich von einem Ur- oder Ururgroßelternteil«, schreibt Cairns und fügt hinzu: »In unserer in freier Wildbahn erhobenen Stichprobe gab es keine ›Erstkreuzungs‹-Hybriden (50/50) oder Wildhunde.«
Falsche Ergebnisse alter Tests
Die Annahme, dass es kaum noch echte Dingos gäbe, wurde vor allem durch einen in den 1990er-Jahren entwickelten DNA-Test gestützt. Tests mit dieser Methodik ergaben, dass nur ein Prozent der im Rahmen von Schädlingsbekämpfungsprogrammen im Bundesstaat Victoria getöteten Tiere echte Dingos waren. »Aber die DNA-Testmethoden haben sich seitdem verbessert. Als wir in unserer Studie alte und neue DNA-Testmethoden verglichen, stellten wir fest, dass die ursprüngliche Methode häufig fälschlicherweise reine Dingos als Hybriden identifizierte. Dies liegt daran, dass die Technik eine relativ kleine Anzahl von DNA-Markern verwendete, nämlich nur 23. Wir verwendeten 195 000 DNA-Marker«, erläutert Cairns.
Anders als Koalas und Kängurus sind Dingos aber weder eine ur-australische Spezies noch Beuteltiere. Vielmehr kamen die Tiere mit dem rot- bis sandfarbenen kurzen Fell und dem buschigen Schwanz laut der Archäologin Jane Balme von der Universität von Westaustralien erst vor rund 3350 Jahren zusammen mit Menschen aus Asien auf Booten nach Australien. Die Untersuchung der in der Madura-Höhle, einer bedeutenden archäologischen Fundstätte im Süden des Kontinents, freigelegten Dingoknochen hat mittels einer präzisen Radiokarbondatierungstechnik den bisher genauesten Hinweis auf die Ankunft von Dingos in Australien geliefert, so Balme in einer 2018 veröffentlichten Studie. »Der Dingo ist neben Ratten, Mäusen und Fledermäusen das einzige Landsäugetier mit einer Plazenta, das es vor der Ankunft der Europäer über das Wasser nach Australien geschafft hat«, betonte Balme und sagte weiter: »Da Australien durch Wasser von Südostasien getrennt ist und der minimale Abstand zwischen den beiden Kontinenten mehr als 90 Kilometer beträgt, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Dingos unabhängig von Menschen nach Australien gelangten.«
Forschungen der letzten drei Jahre von Anders Bergström vom Ancient Genomics Laboratory des Francis Crick Institute in London sowie von Cairns haben ergeben, dass Dingos eine frühe Abstammungslinie von Hunden sind, die sich sowohl von modernen Haushunden als auch von den in Asien frei laufenden Haushunden unterscheidet. DNA-Studien, so die Experten, gehen davon aus, dass die Abstammungslinie der Dingos sich vor 8000 bis 11 000 Jahren, also vor dem Aufkommen der menschlichen Landwirtschaft und der intensiven künstlichen Selektion, von anderen frühen Hunden getrennt hat.
Letztlich aber gibt es weder unter Wissenschaftlern noch unter Dingoschützern Einigkeit, was der Dingo biologisch gesehen eigentlich ist. Wahlweise wird er als Wolf, Hund, wilder Hund oder eben als Dingo bezeichnet. Uneinigkeit besteht auch bei der Frage, ob es sich um ein verwildertes, ein invasives oder nach Tausenden Jahren der »Integration« um ein einheimisches Tier handelt.
Wichtige Rolle im Ökosystem
Cairns und Kollegen jedenfalls haben den Nachweis erbracht, dass die meisten Dingos keine Gene mit (verwilderten) Hunden gemein haben. Als Spitzenprädatoren würden Dingos aber eine wesentliche Rolle bei der Erhaltung gesunder Ökosysteme spielen. Sie jagten sowohl große Pflanzenfresser wie Kängurus als auch invasive Raubtiere wie Wildkatzen und Füchse, wovon kleine Beuteltiere, Vögel und Reptilien profitierten. Cairns betont: »Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen der Bewältigung der Auswirkungen der Dingos auf die Landwirtschaft und der Sicherstellung finden, dass sie ihre lebenswichtigen Umweltfunktionen erfüllen können.«
Deshalb sollte in der Gesetzgebung zum Naturschutz sowie zur Schädlingsbekämpfung »wilde Hunde« als Sammelbegriff für jede Hundeart in freier Natur durch »wilde Hunde« und »Dingos« ersetzt werden, findet Cairns und fügt hinzu: »Eine Namensänderung würde auch den Forderungen der australischen Ureinwohner entsprechen, den Dingo als einheimische und kulturell bedeutsame Art zu respektieren und anzuerkennen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.