Antimuslimischer Rassismus in Berlin: Alltägliche Tatorte

Ein Rundgang durch Charlottenburg-Wilmersdorf macht antimuslimischen Rassismus sichtbar

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.
Einer der acht exemplarischen Tatorte antimuslimischen Rassismus liegt im Rathaus von Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier instrumentalisierte die AfD zwei Straftaten, um gegen Muslim*innen zu hetzen.
Einer der acht exemplarischen Tatorte antimuslimischen Rassismus liegt im Rathaus von Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier instrumentalisierte die AfD zwei Straftaten, um gegen Muslim*innen zu hetzen.

Ein junger Mann macht eine kaufmännische Ausbildung. An seiner Berufsschule in Charlottenburg-Wilmersdorf schreibt er nur Einsen, dann schließt die IHK ihn von einer Prüfung aus – man müsse zuerst sichergehen, dass die beeindruckenden Zeugnisse nicht gefälscht seien. »Weil er einen muslimischen Namen hatte, ist die IHK von einer Fälschung ausgegangen«, sagt Jouanna Hassoun von der Menschenrechtsorganisation Transaidency. Sie leitet das Projekt Redar, das sich gegen antimuslimischen Rassismus einsetzt. Der betroffene Azubi wandte sich vor einigen Monaten an ihr Projekt, daher kennt Hassoun seine Geschichte.

Am Montag steht sie gemeinsam mit Caro Wenzel vom Register Charlottenburg-Wilmersdorf in der Nähe der U-Bahnstation Mierendorffplatz. Die beiden Organisationen haben zu einem Rundgang durch den Bezirk eingeladen, der zu unterschiedlichen Tatorten antimuslimischer Diskriminierung führt. Die erste Station gilt der Berufsschule, die den muslimischen Schüler ein halbes Jahr lang warten ließ, bis er seine Prüfung ablegen durfte. Weil der Betroffene bis zum Ende der Ausbildung anonym bleiben möchte, bleibt auch der Name der Schule unerwähnt.

Insgesamt acht Tatorte von 2016 bis heute haben sich das unabhängige Melderegister für rechte und diskriminierende Vorfälle und Redar ausgesucht, um antimuslimischen Rassismus sichtbar zu machen. An jeder Station hängen die Teilnehmenden ein laminiertes DIN-A4-Blatt mit einer Zusammenfassung des Geschehens auf. »Antimuslimischer Rassismus wird immer noch unter den Teppich gekehrt«, sagt Hassoun. Die Schilder stehen exemplarisch für die Gewalt, die Muslim*innen in Charlottenburg-Wilmersdorf und in ganz Berlin tagtäglich erleben.

Ein gemeinsamer Bericht des Berliner Registers und von Transaidency verzeichnet für das Jahr 2022 125 Vorfälle, sieben davon in Charlottenburg-Wilmersdorf, die in die Kategorie »antimuslimischer Rassismus« fallen. Das bedeutet, dass sich diese Angriffe gezielt gegen »Muslim*innen und Personen, die aufgrund ihres Aussehens, Namens oder anderer Merkmale für Muslim*innen gehalten werden«, richteten. Die Art der Diskriminierung variiert – der Jahresbericht erfasst propagandistische Hetze etwa mittels Aufklebern oder Plakaten sowie persönliche Beleidigungen und Angriffe.

Die Anzahl der gemeldeten Vorfälle ist zwar im Vergleich zu 2021 mit 174 und 2020 mit 290 Fällen gesunken. Für Hassoun bedeutet das jedoch keine Entwarnung. Sie vermutet ein riesiges Dunkelfeld: Zum einen gebe es viele verschiedene muslimische Communitys, was eine zentrale Sammlung erschwere. Zum anderen hätten Betroffene oftmals kein Interesse, einen Vorfall zu melden. »Die häufigste Antwort ist: ›Es ändert doch eh nichts‹ oder: ›Ich habe mich daran gewöhnt‹«, so Hassoun. Und zuletzt seien nicht alle rassistischen Erfahrungen als solche zu belegen: »Wenn mich jemand blöd anguckt, kann die Person das rassistisch meinen, oder sie hat einfach einen schlechten Tag. Deshalb können wir nur die offensichtlichen Fälle in die Zählung mit aufnehmen.«

An sieben weiteren Orten erzählen Hassoun und Wenzel etwa von Beleidigungen gegen Kopftuch tragende Musliminnen, kommen aber auch auf die ideologischen Grundlagen des antimuslimischen Rassismus zu sprechen. Vor dem Bezirksrathaus erzählt Caro Wenzel, dass die AfD in der Bezirksverordnetenversammlung im September 2021 zwei Straftaten instrumentalisierte, um Stimmung gegen Muslim*innen zu machen. »Die AfD hat die Grenzen des Sagbaren verschoben«, so Wenzel. Deshalb sei es wichtig, diese geistige Brandstiftung immer wieder anzuprangern.

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