- Berlin
- Brandenburg
Sportlerempfang in Potsdam: Der Geruch von Tartan
Offene Worte bei Sportlerempfang der CDU-Fraktion im Potsdamer Landtag
Brandenburgs Sportvereine haben in der Coronazeit massiv Mitglieder verloren, aber danach rasch zurückgewonnen. In berlinfernen Regionen sind die Bedingungen für den Breitensport oft alles andere als ideal. Das wurde deutlich, als die CDU-Fraktion kürzlich Vertreter des Sports im Landtag empfing. Mit Kevin Kuske war unter anderem der weltbeste Bobfahrer Gast im Potsdamer Landtagsschloss. Er hatte vier Gold- und zwei Silbermedaillen errungen und ist damit der erfolgreichste Bobsportler bei Olympischen Winterspielen. Das war eine der guten Nachrichten, die CDU-Fraktionschef Jan Redmann verkünden konnte, als er am Donnerstagabend die Vertreter des Brandenburger Sports im Plenarsaal des Landtags begrüßte.
Überwunden ist offenbar die Austrittswelle, die in der Coronazeit die rund 3000 Sportvereine Brandenburgs beutelte. Als viele im Verein nicht mehr trainieren konnten, gingen sie ins Fitnessstudio, wo die Monatsbeiträge freilich höher liegen als im Sportverein. Die meisten kehrten also zurück. Landessportbund-Präsident Wolfgang Neubert sprach kürzlich davon, dass binnen eines Jahres die Mitgliederzahl um rund 15 000 Aktive zugenommen habe.
Doch hat diese Zeit der allgemeinen Reglosigkeit ihre Spuren hinterlassen. Auch Kinder haben messbar an Körpergewicht zugelegt, sich ein Übergewicht angefuttert. Sportlehrerin Dagmar Rocktäschel vom TSG Seelow sprach von »Coronapfunden«, die der allgemeinen Bewegungsarmut der Jahre während der Pandemie geschuldet gewesen seien. Die Pädagogin saß an diesem Abend bei einer Gesprächsrunde im Podium und sparte nicht mit offenen Worten. Ein paar »Verrückte« hätten sich in der Zeit der Corona-Beschränkungen dennoch getroffen und Sport getrieben, aber das habe heimlich geschehen müssen. »Das hat nicht jeder gemacht.«
Rocktäschel schilderte ihr eigenes Auf und Ab beim ehrenamtlichen Betreuen von Sportgruppen für Kinder und Jugendliche. Der »Geruch von Tartan« habe sie vor Jahren auf den Gedanken gebracht, mit Kindern eine Laufgruppe aufzumachen. Gelockt wurde mit dem Ablegen des Sportabzeichens, auch Eltern seien eingeladen gewesen. Die Freude der Kinder, unter Kindern zu sein und gemeinsam Sport zu treiben, habe sie lange angespornt, fuhr die Lehrerin fort. Sich mit ihnen über Erfolge zu freuen und auch mal, wenn nötig, Trost zu spenden, habe dazugehört.
Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!
Manager-Aufgaben zu erfüllen habe sie sich nicht gescheut. Doch da tauchten die Probleme auf. Rechtliche Fragen seien bei alldem mindestens ein Risiko gewesen, denn wenn sie die Kinder im eigenen Auto zur Wettkampf gefahren haben, »dann sind sie eigentlich nicht versichert gewesen«. Rocktäschel zeigte sich
alsbald ernüchtert. Alles sei schwierig gewesen, denn »Fußball hat die Macht«, sagte sie resigniert. In der Ausübung ihres Ehrenamtes fühlte sie sich wenig geachtet. Von den Eltern habe sie mehr erwartet. Da sei die Resonanz zu gering gewesen. »Es kam mir vor, als würden die Kinder mir zur Aufbewahrung gegeben«, erinnerte sie sich. Nicht etwa, dass sich Mütter und Väter freuten, dass ihre Kinder Sport treiben. Es sei ihr so vorgekommen, dass die Eltern ihre Kinder
ablieferten, »damit sie mal eine Stunde frei haben«. Rocktäschel bedauerte: »Irgendwann wird man müde. Man muss auf sich selbst aufpassen.« Ihr Fazit: »Die Ehrenamtler machen alle zu viel.«
Mehrere Problemfelder wurden an diesem Abend angesprochen. Laut wurde die Erwartung, die Landespolitik möge dem Frauensport mehr Bedeutung zumessen und dies auch mit Präsenz bei Veranstaltungen bekunden. Zur Sprache kam, dass gerade in den Ferien, wenn Kinder mehr Zeit für den Sport hätten, Sporthallen oft geschlossen sind. Auf den besorgniserregenden Zustand der Schwimmhalle in Frankfurt (Oder) wurde aus dem Publikum aufmerksam gemacht. Das Gebäude sei 40 Jahre alt, vor 25 Jahren das letzte Mal saniert. »Wenn das wegbricht, dann gibt es in einem Einzugsbereich von
100 000 Menschen keine Schwimmhalle mehr.«
Von der Funktion der Sportvereine als »größte Jugendklubs, die es gibt«, sprach ein anderer. Hier würden Kinder auch den Umgang mit Niederlagen lernen. Das sei für die Persönlichkeitsentwicklung unverzichtbar. Daher wäre es angezeigt, mehr Verbindlichkeit bei der Finanzierung durch Land und Kommunen herzustellen, wurden die Politiker aufgefordert.
Dass es nach wie vor nicht genug Sportstätten vor allem in den dünn besiedelten Regionen Brandenburgs gibt, bezeichnete die CDU-Landtagsabgeordnete Kristy Augustin als »Riesenproblem«. Denn nicht nur Kinder, auch ältere Menschen sollten Sport treiben. Idealerweise sollte die Sportförderung zur kommunalen Pflichtaufgabe gemacht werden. Stimme aus dem Publikum: »Die Kommunen sind doch jetzt schon pleite.«
Von einer zunehmende Kluft zwischen der Erwartung der Funktionäre, dass gute Ergebnisse im Leistungssport erzielt werden, und der sich herausbildenden Lebenswirklichkeit und Mentalität in Brandenburg sprach der Luckenwalder
Ringer und mehrfache Deutsche Meister Felix Menzel: Heutzutage falle es immer schwerer, Jugendliche zu motivieren. Die Lust und die Bereitschaft, sich auch durchzubeißen, nehme immer mehr ab. Er selbst habe seinerzeit viermal am Tag für den Erfolg trainiert. Das sei heute für die allermeisten unzumutbar. »Es gibt noch ein oder zwei Verrückte, die nach den Anforderungen des Leistungssports trainieren. Auf die konzentrieren wir uns.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.