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Serie »The Dry«: Vom Schweigen und Saufen
Die Serie »The Dry« erzählt vom Versuch einer Irin, unter Trinkern trocken zu bleiben
Der Suff hatte es auch schon leichter. Hielt die Verwandtschaft Minderjährigen einst spätestens, wenn sie 13 waren, das erste Schützenfestpils an den Hals, was der späteren Abhängigkeit mindestens Vorschub leistete, gibt es heute alkoholfreien Gin Tonic, Dry January genannte Abstinenzwochen, mehrere Podcasts mit »Sober« im Titel – und jetzt gar eine Fernsehserie, deren Hauptdarstellerin das verheerendste aller Rauschgifte ausgerechnet da meidet, wo geselliges Trinken zur kulturellen Kernkompetenz zählt: in Dublin.
Dorthin kehrt Shiv (Roisin Gallagher) nach zehn Jahren Londoner Exil zunächst zwar zurück, um der Beerdigung ihrer Oma beizuwohnen. Doch je länger die 35-jährige Künstlerin ohne Berufs- oder Beziehungsperspektive am Ort ihrer habituellen Prägung bleibt, desto klarer wird: Wenn sie ihre Traumata besiegen kann, dann hier, wo alles begann. Und das wäre mit dem Wort Konfrontationsstrategie noch defensiv umschrieben.
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Um Shiv herum sind nämlich alle Tag und Nacht so hart am Saufen, dass Softdrinks mehr auffallen als Schnaps im Kindergarten. Es beginnt schon am Flughafen, wo ihr Tischnachbar im Café zwei große Bier zum Frühstück kippt. Es geht weiter beim Einkauf für den Leichenschmaus, wenn Shivs Bruder Ant (Adam Richardson) so viel Hochprozentiges lädt, dass die Kofferraumklappe klemmt. Und es nimmt auch kein Ende, als ihre Mutter Bernie (Pom Boyd) nach einer Überdosis davon in den Mülleimer kotzt.
In dieser bier- und weinseligen Umgebung versucht die Abstinenzlerin weiter clean zu bleiben, stößt aber naturgemäß an eigene wie fremde Grenzen – bis ihr die Leiterin der lokalen Gruppe der Anonymen Alkoholiker (AA) Halt gibt, vor allem aber: Tacheles redet. Denn »The Dry«, so heißt die Serie im Original, und die ARD hat ihr den Deppentitel »Sekt oder Selters« verpasst, handelt zwar vom Missbrauchssystem dieses Teufelszeugs. Ursache und Wirkung allerdings beruhen auf etwas völlig anderem: Schweigen.
So sehr Alkohol nämlich Zungen lockert, steht er für eine Sprachlosigkeit, die seinem Konsum oft vorangeht. In der trinkfreudigen Familie Sheridan jedenfalls wird über Probleme nicht geredet, selbst wenn sie offenkundig sind. Ant zum Beispiel schickt seine schwulen Sexabenteuer morgens stets wortlos weg, da er sich und ihnen die eigene Bindungsunfähigkeit nicht eingestehen kann. Schwester Caroline (Siobhán Cullen) hängt in einer körperkontaktlosen Dauerbeziehung fest, der mangels Redebedarf niemand ein Ende bereitet.
Shivs Vater (Ciarán Hinds) behält es derweil für sich, untreu zu sein, was seine Frau (Pom Boyd) lieber ignoriert als thematisiert – gut erklärt durch ihren Kommentar über Shivs AA-Treffen: »Die reden miteinander?«, fragt Bernie entgeistert. »Was soll das bringen?«
Wer den Sheridans beim schwatzhaften Nichtkommunizieren zuhört, spürt die Botschaft von Autorin Nancy Harris und Regisseur Paddy Breathnach: Wer alles in sich hineinfrisst, betäubt es gern mit Unmengen Alkohol.
Da ist es ein kluger Schachzug der Verantwortlichen, dass mit Shivs Ex-Freund Jack (Moe Dunford) und Suchthelferin Karen (Janet Moran) zwei extrovertierte, tendenziell unangenehme Figuren das Herz auf der Zunge tragen. Mit Roisin Gallagher als mal energiegeladene, meist erschöpfte, also höchst ambivalente Antiheldin sorgen diese Charakterzeichnungen für ein wirklich gutes TV-Format. Wäre da nicht die Täter-Opfer-Umkehr einer fiktionalen Serie, die erstmals überhaupt anstelle des Alkoholkonsums an sich dessen Ablehnung ins Zentrum heiter bis wolkiger Fernsehunterhaltung stellt.
»The Dry« spinnt es nämlich fort: das volkswirtschaftlich lukrative Märchen vermeintlicher Eigenverantwortung, wie es die Alkoholindustrie auch hierzulande im Chor mit CSU und Deutschem Hotel- und Gaststättenverband zur soziokulturellen Doktrin eines stammtischvernebelten Landes erhebt. Mäßiger Gebrauch, heißt es da, mache Alkohol ungefährlich. Erst Missbrauch sei toxisch, für den weder Staat noch Produktion verantwortlich seien, sondern wir, die Kundschaft. Welch ein zynischer Unfug! Mit der Argumentation erklärt auch die US-Waffenlobby NRA fatales Kriegsgerät mit Hunderten Schuss pro Minute zu harmloser Selbstverteidigung, die erst in den Händen der Falschen gefährlich werde.
Dieses Abwälzen kollektiver Zuständigkeiten auf die individuelle Verantwortung, macht Alkohol zur Todesursache Nummer eins in Deutschland – von der Gewalt gegen andere im Suff ganz zu schweigen. Wenn Markus Söder Kiffen für riskanter erklärt als acht Maß Bier auf der Wiesn, zeigt das eindrucksvoll, wie wichtig Serien wie »The Dry« unabhängig vom Entertainmentfaktor sind. Darauf einen alkoholfreien Gin Tonic!
Verfügbar in der ARD-Mediathek.
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