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Nextbike-Betriebsrat in Berlin: Eine lange Liste mit Problemen
Die Firma Nextbike hat nun einen Betriebsrat – die letzte Wahl der Beschäftigtenvertretung war am Mutterkonzern gescheitert
Es ist ruhig am Mittwochmittag vor der Quitzowstraße 47 in Moabit. Von außen ist nicht erkennbar, dass hier eine Betriebsratswahl stattfindet. In der Werkstatt, die zum Wahllokal umfunktioniert wurde, drängen sich jedoch mit Eröffnung um 12 Uhr schon die meisten der Wahlberechtigten. »Um 12.17 Uhr war die Wahl eigentlich schon durch«, sagt Ludwig Köhler, Mitglied des Wahlvorstands.
Die Firma Nextbike bezeichnet sich selbst als europäischen Marktführer im Segment Bike-Sharing. In Berlin können die 6200 Fahrräder per App an festgelegten Standorten entliehen und wieder abgestellt werden. Die Leihgebühr beträgt dabei einen Euro für 15 Minuten. Vom Land Berlin wird Nextbike jährlich mit 1,5 Millionen Euro unterstützt. 2021 war die GmbH vom Wettbewerber Tier Mobility – bekannt durch die türkisfarbenen E-Roller – aufgekauft worden, im Herbst vergangenen Jahres ging sie komplett in das Unternehmen über. Nun hat Nextbike einen Betriebsrat.
Ludwig Köhler ist mit dem Ergebnis zufrieden: 39 von 44 Wahlberechtigten hätten ihre Stimme abgegeben. Er selbst wurde in den dreiköpfigen Betriebsrat und – wie am Donnerstag feststeht – zu dessen Vorsitzenden gewählt. Besondere Vorkommnisse gab es nicht bei der Wahl – immerhin. Denn noch im vergangenen Herbst war die Wahl für einen bundesweiten Betriebsrat bei Nextbike im Zuge der Übernahme durch Tier gescheitert. Wie die »Taz« berichtete, hatte die Geschäftsführung damals beim Arbeitsgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Wahl beantragt.
»In gewisser Weise verstehe ich die Wahl auch als Signal an Tier. Es geht darum, uns als Nextbike-Belegschaft in Berlin wieder eine Stimme zu geben«, begründet ein langjähriger Mitarbeiter gegenüber »nd« seine Teilnahme an der Wahl. Seit der Übernahme durch Tier gebe es das Gefühl, dass man die Beschäftigten vergessen habe. Der Betriebsrat könne den Kolleg*innen wieder mehr Gehör verschaffen, denn, so der Mitarbeiter: »Ich habe eine lange Liste mit Problemen. Es gibt aber keine Mitarbeitergespräche mehr. Wenn es keine Möglichkeit gibt, darüber im Betrieb zu reden, dann steigt der Frust.«
Eines der konkreten Probleme seien die mittlerweile uneinheitlichen Löhne: »Jemand, der bei uns neu anfängt, verdient zum Teil mehr als die Person, von der er eingearbeitet wird, mit der gleichen Qualifikation.«
Ein anderer Kollege erklärt, mit Blick auf die unwägbare Zukunft gebe ein Betriebsrat ein gewisses Maß an Sicherheit. Damit meint er nicht nur den Verkauf von Nextbike an Tier. Mitte Mai berichtete ein britisches Magazin, dass eine Übernahme von Tier durch den Wettbewerber Bolt wahrscheinlich sei. Wenn Unternehmen sich permanent neu gründen, verkauft werden, fusionieren oder insolvent gehen, sind auch die Belegschaften ständig im Umbruch. Organisierung und die Interessenvertretung werden vor diesem Hintergrund zur Herausforderung.
Der künftige Nextbike-Betriebsrat wird nur für den Bereich Service zuständig sein, also die Mechaniker und die Fahrer, die die Räder an den Ausleihstationen kontrollieren. Für die Kolleg*innen aus der Verwaltung und der Programmierung am Standort Ackerstraße in Mitte gilt die Wahl nicht. Einer von ihnen sagt zu »nd«: »Ich persönlich finde es gut, dass hier gewählt wird.« Er sei gespannt, wie sich die Organisierung weiter entwickeln werde.
Eineinhalb Stunden nach Beginn der Wahl sind die Stimmen ausgezählt. Die meisten Wählenden fahren wieder zurück an ihre Standorte. Auf die Frage, warum er denn gewählt habe, erklärt ein Mitarbeiter schnippisch: »Warum wählt man wohl einen Betriebsrat? Der soll sicher nicht unser Mittagessen holen, der soll unsere Interessen vertreten, ist doch klar.«
In trockenen Tüchern ist die Wahl aber noch nicht. Bis zwei Wochen nach Bekanntgabe des Ergebnisses kann der Arbeitgeber Einspruch einlegen. Weder Nextbike noch Tier wollten die Wahl nicht kommentieren. Ein Sprecher von Tier begründete dies damit, dass man sich »im Allgemeinen nicht zu internen, organisatorischen und verwaltungsmäßigen Prozessen und Vorgängen« äußere.
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