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Pogačar und Vingegaard erobern Spitze der Tour de France zurück
Die Heroen schienen kurz zu wackeln. Gefallen sind sie nicht. Die Tourfavoriten Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard fahren der Konkurrenz wieder davon
Puh, so erschöpft hatte man Tadej Pogačar noch nie gesehen, seit er im Zirkus der Radprofis aufgetaucht ist. Tief atmete er durch nach der Zieldurchfahrt in Cauterets am Donnerstag. Noch lange rang er nach Luft. Und sein strahlendes Lächeln, das der Slowene gewöhnlich so gern aufsetzt, mochte noch nicht durchdringen durch die Erschöpfung, die seine Züge prägte. Er hatte alles gegeben auf dieser 6. Etappe der Tour de France, um als Tagessieger bei der ersten Bergankunft dieser Frankreich-Rundfahrt anzukommen. Er musste auch alles geben. »Jumbo-Visma hat am Col du Tourmalet ein sehr hartes Tempo vorgegeben. Ich dachte schon, da wiederholt sich das Drama vom Tag zuvor. Ich war richtig besorgt«, erzählte er später vom Angriff seines größten Widersachers.
Tom Mustroph, Radsportautor und
Dopingexperte, berichtet zum 22. Mal
für »nd« von der Tour de France.
Am Mittwoch hatte ihm ein wie entfesselt fahrender Jonas Vingegaard mehr als eine Minute abgenommen. Auch da hatten die Teamkollegen des Dänen den Angriff eindrucksvoll vorbereitet, Wout van Aert, Wilco Kelderman und Sepp Kuss in allererster Linie. Für Vingegaard handelte es sich dennoch um eine Verfolgungsfahrt. Denn ihm voraus war noch Jai Hindley gefahren. Der Australier war mit etwas Glück in die Ausreißergruppe des Tages geschlüpft. »Ich hatte das gar nicht vorgehabt«, erklärte Hindley später. »Aber hinter mir ist die Lücke aufgegangen. Und dann dachte ich mir: Fahre ich doch einfach ein schönes Rennen.« Er holte für das Bora-Team schließlich den Tagessieg in Laruns und auch das Gelbe Trikot. Ein Tag nach Maß für den deutschen Rennstall.
Ein Tag nur nach halbem Maß für Vingegaard und Jumbo-Visma hingegen. »Ja, das stimmt, für uns war es nur ein halb erfolgreicher Tag«, sagte Arthur van Dongen, Jumbos sportlicher Leiter dem »nd«. »Wir haben zwar Zeit auf einen Kontrahenten gewonnen, auf Pogačar. Einen anderen mussten wir aber ziehen lassen.« Und er nannte nach der 5. und vor der 6. Etappe Hindley noch einen Konkurrenten, »auf den wir sehr aufpassen müssen«.
24 Stunden später hatte sich diese Pflicht schon fast wieder erledigt. Das niederländische Team machte mal wieder Tempo, ein sehr hartes, wie schon Pogačar konstatierte. Dann führte Kapitän Vingegaard die Vorarbeit erneut weiter und attackierte. Nur Pogačar konnte ihm folgen. Hindley versuchte das nur für ein paar Hundert Meter am Tourmalet. Dann musste auch er die Übermacht der beiden Überfahrer der vergangenen Jahre anerkennen und ließ sich zurückfallen ins Verfolgerfeld.
Für Pogačar und Vingegaard war nun die Jagd auf Trikots und Champagnerflaschen eröffnet. Doch während man gebannt auf Anzeichen der Erschöpfung beim Slowenen fahndete – schließlich hatte er am Tag zuvor schon Schwächen gezeigt –, schüttelte dieser nur mal kurz sein immer noch nicht ausgeheiltes Handgelenk und startete dann eine so brutale Attacke, dass Vingegaard förmlich der Staub von der Straße ins Gesicht wehte.
Pogačar gewann in toller Manier die Etappe. »Ich will nicht sagen, dass es ein Racheakt war«, bezog er sich im Ziel auf den Vortag. »Aber klar tut es gut, jetzt gewonnen und etwas Zeit gutgemacht zu haben«, sagte er. »Ich fühle mich jetzt etwas besser. Und ich habe einfach den richtigen Moment zum Angriff erwischt«, analysierte der immer noch erst 24 Jahre junge Slowene, der im weißen Trikot des besten Jungprofis der Tour fährt. Ein paar Sätze später war er dann sogar zu Späßen aufgelegt. »Mark, ich komme«, sagte er scherzend an die Adresse von Mark Cavendish. Der hält noch gemeinsam mit Eddy Merckx den Rekord von 34 Tagessiegen. Der Sieg in Cauterets war Pogačars zehnter Etappensieg bei einer Tour de France.
Kontrahent Vingegaard, der in diesem Jahr bisher noch leer ausging und insgesamt erst zwei Etappensiege bei der »Mutter aller Rundfahrten« auf dem Konto hat, konnte sich zumindest über das Gelbe Trikot freuen. »Es ist einfach schön, es wieder zu haben«, sagte der Toursieger des vergangenen Jahres. 25 Sekunden Vorsprung hat er ausgangs der Pyrenäen noch auf Pogačar. Hindley liegt mit 1:34 Minuten schon weiter zurück, alle anderen Verfolger haben mehr als drei Minuten Rückstand.
Den nächsten Showdown gibt es am Sonntag bei der Etappe auf den Puy de Dome. Die ist nicht nur wegen des steilen Finales mit Rampen von mehr als 12 Prozent Steigung gefürchtet, sondern auch wegen der nicht immer ganz glatten Straßen. Pogačars im April gebrochenes Handgelenk dürfte dann ganz besonderen Strapazen ausgesetzt sein. Auch das Material könnte entscheiden. Denn teilweise sind die Straßen so schmal, dass nicht einmal die Autos mit den Ersatzrädern auf dem Dach hindurchpassen. »Wir müssen auf Motorräder umsteigen«, blickte Bruno Mallet, Chef des neutralen Materialdienstes, auf den Sonntag voraus.
Für alle anderen Fahrer hinter dem überragenden Duo aus Slowenien und Dänemark geht es darum, so lange wie möglich mitzuhalten. »Die beiden fahren in einer eigenen Liga. Aber der Kampf um Platz drei ist extrem offen«, sagte Rod Ellingworth, Manager vom Team Ineos. Die besten Karten hat dabei zwar weiterhin Bora-Profi Jai Hindley. »Aber wir sind mit Platz fünf und neun immer noch ganz gut dabei.«
Ellingworth bezog sich dabei auf die junge spanische Hoffnung Carlos Rodríguez und den britsichen Geländespezialisten Tom Pidcock. Der ist für den Tagessieg am Sonntag ein gar nicht so selten genannter Geheimtipp. Munter dabei sind auch noch die Yates-Zwillinge Simon (4.) und Adam (6.), die den Tourauftakt mit ihrem Doppelsieg geprägt hatten. Adam ist eigentlich die Absicherung für Pogačar beim Team UAE, sollte dessen Handgelenk nicht halten. Bisher sieht das aber gut aus. Und die Beine erst recht.
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