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USA liefern Streumunition: Die nächste Eskalationsstufe
Die USA stehen offenbar kurz davor, die Lieferung von Streumunition in die Ukraine zu beschließen. Gleichzeitig will die EU die Rüstungsproduktion steigern
Die US-Regierung plant Medienberichten zufolge die Lieferung von Streumunition an die Ukraine. Dies vermeldete am Donnerstag unter anderem die »New York Times« unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungsquellen. Das Pentagon wollte dies zunächst nicht bestätigen. »Ich habe heute nichts Konkretes zu verkünden«, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder. Zuvor hatte das Weiße Haus erklärt, eine Weitergabe von Streumunition an die von Russland angegriffene Ukraine werde geprüft.
Als Streumunition werden Raketen und Bomben bezeichnet, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Sprengkörper – sogenannte Submunition – verstreuen oder freigeben. Der Munitionstyp wird kritisiert, weil oft ein erheblicher Prozentsatz der Sprengkörper nicht detoniert, sondern als Blindgänger vor Ort verbleibt und so die Bevölkerung gefährdet.
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»Ich möchte anmerken, dass die Russen bereits Streumunition auf dem Schlachtfeld eingesetzt haben«, sagte Pentagon-Sprecher Ryder. Die USA hätten Streumunition in ihren Beständen. Ryder verwies darauf, dass ältere Munition eine höhere Rate an Blindgängern aufweise. »Wir würden sorgfältig Geschosse mit einer geringeren Rate an Blindgängern auswählen, für die wir aktuelle Testdaten haben«, so Ryder.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf reagierte mit Kritik auf die Pläne. »Solche Munition tötet und verstümmelt Menschen lange nach dem Ende eines Konflikts«, sagte eine Sprecherin am Freitag in Genf. »Deshalb sollte der Einsatz umgehend gestoppt werden.« Das Büro rief Russland und die Ukraine auf, dem Übereinkommen über Streumunition beizutreten, das den Einsatz sowie die Herstellung und Weitergabe von bestimmten Typen von konventioneller Streumunition verbietet. Mehr als 100 Staaten haben es unterzeichnet. Deutschland ist darunter, nicht aber die USA.
Die Bundesregierung wies zwar darauf hin, dass Deutschland dem Abkommen beigetreten sei. Gleichzeitig signalisierte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag aber Verständnis für eine mögliche Lieferung durch die USA an die Ukraine. »Wir sind uns sicher, dass sich unsere US-Freunde die Entscheidung über eine Lieferung entsprechender Munition nicht leicht gemacht haben«, sagte er.
Die Streumunition würde von der Ukraine in »einer besonderen Konstellation« verwendet. »Die Ukraine setzt eine Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung ein. Es geht um einen Einsatz durch die eigene Regierung zur Befreiung des eigenen Territoriums«, so Hebestreit. »Wir sollten uns also auch noch mal vergegenwärtigen, dass Russland in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits in großem Umfang Streumunition eingesetzt hat.«
Tobias Bank, Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, kritisierte die Ankündigung hingegen scharf. Streumunition sei unumstritten völkerrechtlich geächtet. »Mit der Lieferung von Streumunition würden die USA Beihilfe zu einem neuen Völkerrechtsbruch leisten«, so Bank.
Währenddessen hat die Europäische Union einen Plan für einen deutlichen Ausbau der Munitionsproduktion für die Ukraine beschlossen. Das am Freitag von Vertretern der Mitgliedstaaten und des Europaparlaments ausgehandelte Konzept zielt darauf ab, die Herstellung von Artilleriegeschossen und Raketen anzukurbeln. Zur Finanzierung will die EU-Kommission 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
Die Vereinbarung sei ein weiterer Beleg »für das unerschütterliche Engagement der EU, die Ukraine zu unterstützen«, erklärte Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles. Spanien hat derzeit den EU-Ratsvorsitz inne.
Der Plan war im Mai von der EU-Kommission vorgeschlagen worden, weil die europäischen Länder zunehmend Schwierigkeiten haben, der Ukraine genug Artilleriemunition und Raketen für den Krieg gegen Russland zu liefern. Die EU-Länder wollen ihre Munitionsproduktion nun beschleunigen, um Kiew wie zugesagt eine Million Geschosse binnen eines Jahres liefern zu können. Dazu sollen Rüstungsunternehmen, die ihre Produktion ausweiten wollen, finanziell unterstützt werden.
Die Verhandlungen mit den EU-Staaten und dem Europaparlament wurden im Eiltempo vorangetrieben, um den Plan schnell umzusetzen. Der Einigung müssen die Mitgliedstaaten und das Parlament nun noch formell zustimmen.
Tschechien hat vor Beginn des Nato-Gipfels in Vilnius am Dienstag außerdem angekündigt, der Ukraine weitere Kampfhubschrauber aus seinen Beständen schenken zu wollen. Das sagte Ministerpräsident Petr Fiala nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Freitag in Prag. Die erste Lieferung von Mil-Mi-24-Hubschraubern war bereits vor einem Jahr erfolgt. Mit Agenturen
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