Eine Markenware namens CSD

Leo Fischer über kommerzialisierte und entpolitisierte Pride-Paraden

Eine der tristesten Veranstaltungen, denen ich jemals beiwohnte, war der NYC Pride. Es war kurz vor der Wahl von Donald Trump, entsprechend war das Motto »Love trumps hate« (Liebe Trumps Hass). Ich hatte schon gehört, dass die US-amerikanischen Pride-Paraden im Vergleich zu den deutschen etwas zahmer ausfallen, trotzdem war ich von der Traurigkeit der Veranstaltung enttäuscht. Nur zwei Pflastersteinwürfe vom Stonewall Inn entfernt, wo eine brutale Polizeirazzia Anlass der ersten Pride-Demonstration war, feierten sich hier vor allem Staat und Kapital.

Nach einem strengen Zeremoniell führten Politiker*innen aller Ebenen die Demonstration an. Es folgten die New York Polizei, die Feuerwehr und andere Behörden. Im Anschluss konnten Großkonzerne wie Netflix kilometerlang ihre züchtig geschmückten Wagen und keusch bedeckten Repräsentant*innen zeigen, bevor, ganz am Ende, queere Gruppen nachtrotten durften, etwa Indigene oder Motorradsenioren. Von politischem Furor oder auch nur Party war nichts zu spüren.

Staat und Kapital hatten es geschafft, die Protestierenden zum Anhängsel ihres eigenen Anliegens zu machen. Das fröhliche Mitmarschieren der Polizei, die vor wenigen Jahren noch Lockvögel in schwule Cruising-Bereiche geschickt hatte, um sie zu outen und zu demütigen, war eine besondere Geschmacklosigkeit, die jedoch von niemandem bemerkt wurde. So anstrengend die deutschen CSDs oft sind: Dass sich hier widerständige, nichtkonforme Sexualität selbst feiert, als bewusste Zumutung für den Durchschnittsspießer, schien mir dann doch die bessere Wahl. Ebenso, dass bei vielen deutschen Prides die ausgeloste Reihenfolge die besten Plätze nicht automatisch für Politik und Konzerne vorsieht.

Dieser Konsens scheint in den letzten Jahren zu bröckeln. Aberwitzige Szenen spielen sich ab: Die CSU, die sich ihre Inspiration bei Orban oder queerfeindlichen US-Gouverneuren holt, jammert auf Social Media, dass sie dieses Jahr nicht zum Münchner CSD zugelassen wurde. Die Unterdrücker hatten sich schon so sehr daran gewohnt, in die Demos der Unterdrückten eingebunden zu werden, dass sie die Absage als Affront empfinden.

Hier wurde immerhin ein Zeichen gesetzt, anderswo hat das Buckeln vor den Heteros Konjunktur. In Freiburg hatte der CSD sich solidarisch mit der Antifa erklärt; prompt sagten drei Schwulen- und Lesbenverbände ab: man wolle nichts mit »Linksradikalismus« zu tun haben. In Frankfurt am Main haben die Organisator*innen des CSD die Liebe zur Polizei gleich zur Pflicht erhoben: Weil die Polizei den CSD so lieb bewache, könnten »Plakate und Aktionen gegen die Arbeit der Polizei (…) nicht toleriert werden«. Der CSD Frankfurt hat offenbar vergessen, warum es diese Demos ursprünglich gab; bei all dem Gehampel um Sponsoren, starke Marken und »Liebe für alle«-Blabla kam ihnen versehentlich der Demonstrationsgrund abhanden. Idealerweise lässt man den CSD Frankfurt 2024 gleich komplett von der Polizei ausrichten.

Während sich anderswo in Europa die Polizei rüstet, queere Demonstrationen niederzuknüppeln, während CDU, CSU und AfD austesten, wie sehr der Hass auf trans Personen künftige Wahlkämpfe befeuern kann, befürchten die durch tausend Kompromisse und abertausende Fördereuro butterweich gewordenen deutschen CSD-Organisator*innen, auf ihre Markenparade könnten eventuell noch politische Botschaften gezeigt werden.

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