Schöner leben ohne Nazis: 10 Jahre Kultur und Spaß gegen rechts

Die Brandenburger Kampagne »Schöner leben ohne Nazis« geht in die zehnte Auflage

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Seit zehn Jahren engagiert sich die Brandenburger Kampagne »Schöner leben ohne Nazis« mit Kultur und Aufklärung gegen rechts.
Seit zehn Jahren engagiert sich die Brandenburger Kampagne »Schöner leben ohne Nazis« mit Kultur und Aufklärung gegen rechts.

Die DJs, ein junger Mann und eine junge Frau, stehen sich am Freitag gegen 17 Uhr am Bahnhof Strausberg gegenüber und bereiten die Technik vor. Gleich wird die Musik aus den Boxen dröhnen. Sarusch Kiehne wird tanzen, Kirsten Rother-Döhring wird tanzen. Alle hier werden ihren Spaß haben – und nicht zuletzt darum geht es bei der Kampagne »Schöner leben ohne Nazis«.

Wer auf die Toilette gehen muss, darf diejenige im Wahlkreisbüro der Landtagsabgeordneten Elske Hildebrandt (SPD) benutzen. In diesem Büro sitzt Merhawi Kessete und erzählt, was ihm widerfahren ist. Der 31-Jährige stammt aus Eritrea. Seit 2015 ist er in Deutschland. 2017 hat er endlich einen Sprachkurs bekommen und Deutsch gelernt. Noch beherrscht er die Sprache nicht so, dass er selbst damit zufrieden wäre. Aber es geht schon ziemlich gut. Unabhängig davon lernte Kessete rechtliche und pädagogische Grundlagen, um in einem Ferienlager oder bei einer Gedenkstättenfahrt Kinder und Jugendliche zu beaufsichtigen. Dazu berechtigt ihn seine Jugendleiterkarte. Er engagiert sich ehrenamtlich bei den Jungen Humanist*innen. Dass ein Leben ohne Nazis schöner wäre, liegt für Kessete auf der Hand. Seit 2021 lebt er in Strausberg. Hier begegneten ihm immer wieder Mädchen auf der Straße, die ihn rassistisch beleidigten. Nachdem er zweimal die Polizei gerufen hat, lassen ihn diese Mädchen in Ruhe.

Auch für Linke sei es hier nicht leicht, berichtet Sarusch Kiehne, Sozialarbeiterin im Jugendklub Strausberg-Vorstadt. In den 90er Jahren sei dieser Klub ein Treffpunkt von Neonazis gewesen. Dann habe ihn die Stadt 2001 an den Verein Horte übergeben, der in Strausberg bis heute auch das ausgesprochen linke Jugendzentrum Horte betreibt. Der Jugendklub Strausberg-Vorstadt ist durch den Trägerwechsel kein Nazitreff mehr. Aber Jugendliche mit rechten Ansichten und sogar organisierte Neonazis treiben sich in der Gegend in jüngster Zeit sogar wieder vermehrt herum.

Annekatrin Friedrich vom Landesjugendring wird derzeit oft gefragt: »Warum hat Brandenburg plötzlich wieder ein Naziproblem?« Sie antwortet: »Es war nie weg und wird jetzt stärker.« Seit zehn Jahren hält die Kampagne »Schöner leben ohne Nazis« dagegen. Der Auftakt war im Sommer 2013, schon mit Blick auf die Landtagswahl im folgenden Jahr. Damals sei es darum gegangen, junge Menschen davon abzuhalten, die neofaschistische NPD zu wählen. »Die AfD gab es damals noch nicht.«

Im Prinzip gab es die AfD da schon. Sie gründete sich am 6. Februar 2013 im hessischen Oberursel. Aber in Brandenburg hatte man diese Partei noch nicht auf dem Schirm. Man hatte auch keine Ahnung, wohin sie sich entwickeln würde. Bei der Bundestagswahl im September 2013 verpasste die AfD mit 4,7 Prozent der Stimmen noch knapp den Einzug ins Parlament. In Brandenburg erreichte sie damals allerdings schon sechs Prozent und bei der Landtagswahl 2014 dann 12,2 Prozent. Bei der Landtagswahl 2019 waren es schon 23,5 Prozent. In jüngsten Umfragen steht die AfD bei 28 Prozent. Die nächste Landtagswahl ist am 22. September 2024.

Die Kampagne »Schöner leben ohne Nazis« wäre vielleicht eine einmalige Sache geblieben. Doch als der Sommer 2013 vorüber war, wurde dem Landesjugendring zurückgemeldet: »Cooler Slogan, macht doch weiter! Es wäre schade, wenn das aufhört.« So sind es in Kooperation mit dem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus und mit der Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« zehn Jahre geworden. »Wir sind selbst überrascht«, sagt Friedrich.

Im Jubiläumsjahr, das in Strausberg startet, gibt es die üblichen zehn Termine klassisch mit einem Infostand. »Aber wir satteln noch fünf Theatervorstellungen drauf«, kündigt Friedrich an. Drei Theatergruppen spielen vier Stücke an fünf Tagen: In »Versprochen ist versprochen« des Kanaltheaters Eberswalde treffen sich zwei Freunde und sprechen über Politikverdrossenheit, die Ukraine und Rechtspopulismus. In »Mittelmeer-Monologe« von der Theatertruppe »Wort und Herzschlag« sitzen Naomi aus Kamerun und Yassin aus Libyen auf einem Flüchtlingsboot mit Kurs auf Europa. Das Stück »Klima-Monologe«, ebenfalls von »Wort und Herzschlag«, handelt von Menschen, die wegen einer Dürre in Kenia Hunger leiden oder in Bangladesch, Pakistan und Kalifornien andere Naturkatastrophen erleben müssen. Schließlich ist »I can’t stop, who I am« (Ich kann nicht ändern, wer ich bin) ein dokumentarisches Stück der Bühne für Menschenrechte. Es basiert auf Interviews mit Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nach Deutschland fliehen mussten.

In zehn Jahren habe »Schöner leben ohne Nazis« vielleicht 10 000 Jugendliche erreicht, rechnet Friedrich hoch. Dies sei aber eine sehr grobe Schätzung. Die Zahl sei auch gar nicht so wichtig. Zu den Jugendklubs zu kommen, sei für diese auch eine Ermutigung. »Wir haben immer mehr Anfragen, als wir machen können. Dieses Jahr waren es 60 Anfragen für 15 Termine.«

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Sozialarbeiterin Kiehe bestätigt am Freitag: »Wir sind so froh, dass ihr zu uns gekommen seid.« Es passt gut zusammen. Denn hier entlang der S-Bahnlinie 5 im Berliner Umland gibt es seit vier Jahren die S5-Action von Jugendklubs der angrenzenden Städte und Gemeinden. Während der Beschränkungen der Corona-Pandemie, aber auch schon vorher, trafen sich Jugendliche zum gemeinsamen Abhängen an den Stationen und fuhren gerade im Winter, wenn es kalt war, mit der Bahn nach Berlin und zurück. Die Jugend wird bei der S5-Action gewissermaßen abgeholt. Es gibt Attraktionen wie das Bullenreiten. »Das ist cool. Das kostet sonst Geld und das können sich nicht alle leisten«, erklärt die 13-jährige Louisa Heidemann, die wie Merhawi Kessete bei den Jungen Humanist*innen aktiv ist.

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