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Tour de France: Deutsche Radprofis zum Abwarten gezwungen
Hinter Vingegaard, Pogačar und Philipsen bleibt bislang wenig Platz zum Glänzen bei der Frankreich-Rundfahrt
Die erste Woche der Tour de France ist vorüber, und es war die mit Abstand spannendste seit Jahren, vielleicht sogar seit Jahrzehnten. Ein Grund dafür ist die Streckenwahl der Veranstalter. Bereits die Auftaktetappen im Baskenland waren sehr bergig und boten viel Angriffsfläche. »Wir haben gemerkt, dass die kleinen, aber steilen Anstiege viel interessanter sind als die langen Berge«, begründete Thierry Gouvenou, Streckenplaner der ASO, das Umdenken bei den Organisatoren der Tour de France. Sie hätten natürlich auch früher darauf kommen können. Giro d’Italia und Vuelta a España zeichnen sich seit Jahren schon durch regelrechte Dynamit-Etappen gleich zu Beginn aus, während die Tour erst mal eine Woche lang fast ausschließlich den Sprinterteams auf flachem Terrain das voraussagbare Handeln überließ.
Allerdings muss es auch die Fahrer geben, die solche Rampen nutzen wollen. Klassementfahrer der vergangenen zwei Jahrzehnte bevorzugten meist ein vorsichtiges Einrollen. Sie beäugten sich lange, gingen aber so gut wie nie das Risiko ein, sich mal bei einer Attacke zu übernehmen. Tadej Pogačar, Toursieger der Jahre 2020 und 2021, ist jedoch aus anderem Holz geschnitzt. Der immer noch junge Slowene, er trägt weiterhin das weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers der Rundfahrt, will am liebsten an jedem Renntag einen echten Wettkampf fahren. Seine Lust auf Attacken wurde nicht einmal durch seinen Handgelenksbruch im Frühjahr gedämpft. Die kleine schwarze Schiene an seiner linken Hand ist zwar noch zu sehen, aber bereits in den baskischen Bergen raste er los, als würde die Rundfahrt nur ein paar Tage dauern.
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Seine Unternehmungslust strahlte auch auf den großen Rivalen Jonas Vingegaard ab. Der Däne ist eher der klassische Typ, der sich auf die langen Kanten freut. Aber weil er nicht mit zu großem Rückstand ins Alpenfinale in der dritten Woche kommen will, legte auch der Titelvertiediger bereits zum Beginn der Rundfahrt vor. Sein Team Jumbo-Visma dominierte die Bergetappen, ließ das Fahrerfeld oft schon am vorletzten Gipfel stark schrumpfen. Chancen für die Konkurrenten gegen das im Gesamtklassement schon wieder entflohene Duo Pogačar – Vingegaard ergeben sich daher nur, wenn sie schon vorher die Fluchtgruppen besetzen. So konnte sich Bora-Kapitän Jai Hindley über Etappensieg und Gelbes Trikot nach der 5. Etappe freuen. Der Giro-Sieger von 2022 liegt immer noch auf Rang drei und hat beste Aussichten, mit dieser Platzierung in Paris anzukommen.
An die ersten beiden Plätze verschwendet man beim deutschen Team und auch bei anderen Teams keine Gedanken. »Pogačar und Vingegaard fahren in einer eigenen Liga«, sagte Teamchef Ralph Denk dem »nd«. »Die beiden sind zu weit weg für uns«, bestätigte auch Ineos-Boss Rod Ellingworth. »Wir sind auf den Plätzen vier und sieben noch gut dabei und peilen neben Etappensiegen den untersten Podiumsplatz an.« Der junge Spanier Carlos Rodriguez (22) und der nur ein Jahr ältere Brite Tom Pidcock sollen hier die Kartoffeln aus dem Feuer holen.
Im Duell ganz vorn kann Pogačar auf seine größere Explosivität vertrauen. 26 Bonussekunden hat er in den direkten Bergsprintduellen mit Vingegaard schon herausgefahren, nur deren elf sein Kontrahent. Der Däne hingegen hat in den Pyrenäen gezeigt, dass er an langen Anstiegen doch einen Vorteil gegenüber dem Slowenen hat. Mehr als eine Minute holte er auf der 6. Etappe heraus. Der Vorsprung des Titelverteidigers auf seinen härtesten Herausforderer beträgt aber zum Ende der ersten Woche nur 17 Sekunden. Das ist kein Ruhekissen.
Im Bereich der schnellen Männer sind die Verhältnisse hingegen recht übersichtlich. Jasper Philipsen gewann drei Etappen und wurde einmal Zweiter. Das spricht für totale Dominanz. Allerdings waren die Siege des Belgiers allesamt von Klagen der Konkurrenz begleitet, die ihm oder seinen Teamkollegen Behinderungen und das gefährliche Verlassen der geraden Fahrlinie vorwarfen. Ein Schlenker von Philipsen löste auch den Sturz von Rivale Fabio Jakobsen aus. Der Mann in Grün sollte in den kommenden Tagen also beweisen, dass er Sprints auch fair gewinnen kann. Ansonsten könnte die Jury doch versucht sein, ihn bei der nächsten Kollision zu disqualifizieren. Dann sähe es auch in der Punktewertung wieder viel unübersichtlicher aus.
Von den deutschen Teilnehmern fuhr sich vor allem Sprinter Phil Bauhaus mit einem zweiten und einem dritten Tagesrang in die medialen Aufmerksamkeitszonen. Der 29-Jährige erreicht zwar normalerweise nicht die gleiche Endgeschwindigkeit wie Philipsen oder Jakobsen. Aber seine routinierten Kollegen Nikias Arndt, Matej Mohorič und Fred Wright sowie Pello Bilbao liefern ihn regelmäßig in guter Position an der Spitze des Feldes ab. Bauhaus ist daher aussichtsreichster Kandidat für den ersten deutschen Etappensieg bei dieser Tour.
Ihre Chancen in Fluchtgruppen müssen neben Arndt auch Georg Zimmermann und Simon Geschke suchen. Den in der Gesamtwertung auf Rang 13 bestplatzierten Deutschen Emanuel Buchmann und Nils Politt ist das Ausreißen hingegen nur dann erlaubt, wenn die Teamtaktik es vorsieht, sie also Kapitän Hindley nicht die ganze Zeit eines Rennens an der Seite stehen müssen. Buchmann ist bislang der Schattenmann schlechthin für Hindley, wenn es in die hohen Berge geht. Höchster Lohn für Buchmann und Politt wäre es daher, wenn es Hindley in Paris aufs Podium schaffen würde.
Auch John Degenkolb sieht sein höchstes Glück im Erfolg eines Teamkollegen. Sollte der erfahrene Geraer den australischen Sprinter Sam Welsford mal zum Etappensieg lotsen, wäre auch seine Tour ein Erfolg. Mehr als Preise für den besten Nebendarsteller sind für die deutschen Profis bei dieser Tour also weiterhin nicht drin.
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