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  • Kolumne »In schlechter Gesellschaft«.

Mein Abschied beim »nd«

Sibel Schick beendet nach drei Jahren ihre Tätigkeit als Kolumnistin

  • Sibel Schick
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zwei Jahren schrieb ich eine Abschiedskolumne für das feministische Missy Magazin, als ich mich nach drei Jahren als Kolumnistin von ihm trennte. Heute trenne ich mich nach drei Jahren vom »nd« als Kolumnistin. Ich könnte alles, was ich in meinem letzten Abschied schrieb, wiederholen: Dass es wichtig ist, dass mehrfach marginalisierte Personen ebenso Kolumnen schreiben dürfen wie nicht-marginalisierte Menschen. Dass es davon zu wenige gibt. Und wenn es sie gibt, dann laufen sie Gefahr, in ihren Redaktionen nochmal marginalisiert und als Token (Person mit einer Alibifunktion) instrumentalisiert zu werden.

Heute bestehen die damals beschriebenen medialen Missstände noch immer. Die deutsche Medienlandschaft ändert sich zu langsam. Außerdem brauchen wir nicht nur mehrfach marginalisierte Autor*innen, sondern auch Redakteur*innen, die hinter den Kulissen gestalten. Das ist genauso wichtig wie die sichtbare Arbeit als Autor*in. Das wird in meiner Wahrnehmung aber vernachlässigt.

Es gab eine Zeit, da war ich Praktikantin bei einer überregionalen linken Tageszeitung. Ich dachte damals, dass ich mir niemals etwas anderes vorstellen könnte, als Kolumnen zu schreiben. Ich identifizierte mich sehr damit. Es war weder Hobby noch Beruf, sondern der Sinn für mich. Ich schreibe, weil ich schreiben muss, und ich schreibe die Texte, die geschrieben werden wollen. Aber Menschen ändern sich – und es ist nicht immer leicht, die eigene Veränderung wahrzunehmen. Heute weiß ich, dass sich in mir etwas entwickelt hat, ein Bedürfnis nach Neuem, was sich selbst allerdings nicht unbedingt als neu bezeichnet, sondern einfach nur als »ich«.

Sibel Schick

Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie wurde 1985 in der Türkei geboren und zog 2009 nach Deutschland. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellschaft«. Darin schreibt Schick gegen das Patriarchat und den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Alle Texte unter dasnd.de/gesellschaft.

Das Wort »ich« wird in deutschsprachigen, journalistischen Texten ungern gesehen. Selbst in Kolumnen, die eigentlich von ebenjenem Ich, von der Persönlichkeit der Schreibenden, leben und überhaupt wegen dieser Persönlichkeit entstehen. Auch das Wort »wir« soll nicht stattfinden – damit bloß kein Mensch sich die Frage stellen muss, wer denn dieses »wir« jetzt plötzlich bitte sei. Was uns vereint, was uns trennt.

Meine frühere aktivistische Tätigkeit mit einer türkischsprachigen feministischen Online-Gruppe, Twitter und Kommentare und Kolumnen, die ich für Zeitungen geschrieben habe, haben mich fit darin gemacht, kurz und knapp schreiben zu können. Es fiel mir schwer, lange Texte zu schreiben. Außerdem fand ich das lange Schreiben sinnlos, wenn ich alles auch kurz und knapp erklären kann. Es schien mir aber auch privilegiert – ein Mensch braucht mehr Zeit, um lange Texte zu schreiben und zu lesen. Und wer hat Zeit? Diejenigen, die sich keine Sorgen um Geld machen müssen. Und die sind nicht meine Zielgruppe.

Ich habe ein Buch geschrieben. Das hier soll keine Eigenwerbung sein, daher keine weiteren Infos. Ich brauchte zwei Jahre von Beginn bis zur Manuskriptabgabe. Das ist vielleicht nicht allzu lang, aber auch nicht sehr kurz, vor allem wenn ich das mit meinen Kolleg*innen vergleiche, die für ihre Bücher ähnlicher Längen nur halb solange gebraucht haben. Die Angst, die zu Beginn in mir entstand, fraß mich fast auf, bis ich fertig geschrieben habe. Die Angst, dass ich als Kolumnistin und Twitter-Affine niemals so lange schreiben könnte. Wie ich jetzt bitte so viele Seiten voll kriegen soll. Ich dachte, ich zerquetsche unter den Anforderungen.

Ich bin nicht zerquetscht worden. Stattdessen ist etwas ganz anderes passiert. Ein neuer Ort in mir wurde durch das lange Schreiben freigeschaltet wie in einem Videospiel, wenn man eine neue Oberfläche erreicht, auf der gespielt wird, bis man die nächste erreicht. Und jetzt will ich nur noch Bücher schreiben. Ich möchte lange und ruhig nachdenken. Und ich möchte mein eigenes Wort produzieren, anstatt ständig auf Angriffe von allen Seiten zu reagieren. Angriffe auf unsere Körper, unsere Seele, unsere fundamentalen Rechte. Ich möchte auf diese menschenfeindlichen Scheindebatten nicht mehr in dieser Form reagieren, sondern selbst bestimmen, worüber ich schreiben möchte.

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