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Raed Saleh in Spandau: Picobello sauber
Hallo – Grüß dich – Tachchen: Mit Berlins SPD-Chef Raed Saleh unterwegs in der Altstadt Spandau
Der Wröhmännerpark in Spandau ist passabel besucht an diesem schwül-heißen Sommernachmittag. Raed Saleh zeigt auf eine Wiese. »Schön große Bäume, ein schöner Park, er wird gut angenommen«, sagt Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef beim Spaziergang durch die Grünanlage. Dann die Frage: »Was fällt Ihnen auf an diesem Park? Er ist picobello sauber. Warum? Weil hier Mülltonnen stehen, weil der Park von der BSR gereinigt wird. Das war damals ein Baby von mir, eine Idee, dass berlinweit in gut besuchten Parks die BSR reinigt.« Und das Ergebnis dieser, seiner Politik könne man eben auch im Wröhmännerpark sehen. »Die Menschen fühlen sich hier wohl, sie sitzen auf der Wiese, das ist ihr Stück Heimat«, sagt Saleh.
Sein Baby, seine Idee, Sauberkeit, Ordnung, Heimat. Der 46-Jährige ist zufrieden – und an diesem Nachmittag ohnehin bester Laune. Wenige Stunden zuvor hat der Senat den Entwurf für den Doppelhaushalt 2024/25 beschlossen. Anders als im Vorfeld vielfach befürchtet handelt es sich keineswegs um einen Sparhaushalt. Im Gegenteil, mit rund 40 Milliarden Euro pro Jahr soll mehr Geld ausgegeben werden als in den Vorjahren. Ein Umstand, den Saleh auch seinem eigenen Verhandlungsgeschick zuschreibt, vermutlich nicht zu Unrecht.
Saleh sagt: »Wie war das im Vorfeld? Was haben die Grünen und die Linken geschrien: sozialer Kahlschlag. Und ich habe gesagt: Leute, Leute, aufpassen, wenn die SPD regiert, gibt es keinen Kahlschlag. Denn in der Krise spart man nicht.« Er sei stolz, dass Schwarz-Rot diesem Grundsatz gefolgt sei. Am Ende, davon sei er überzeugt, müsse man »aus der Krise herauswachsen«. Das schaffe man aber nicht mit einem Sparhaushalt. »Du musst viel mehr den Menschen Geld in die Hand geben, du musst viel mehr Geld in Umlauf bringen und die Wirtschaft ankurbeln.«
Vielleicht liegt es am Sommerwetter: Der Spaziergang mit Saleh durch den Wröhmännerpark und die Altstadt Spandau gleicht einem heiteren Sehen und Gesehenwerden. »Hallo«, sagt Saleh. »Grüß dich«, sagt Saleh. »Tachchen«, sagt Saleh. Händeschütteln, Umarmungen. Der SPD-Chef, seit 15 Jahren Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Spandau, scheint jede und jeden zu kennen – und umgekehrt. »Hallo, mein Sohn«, grüßt eine ältere Frau mit Migrationsgeschichte vor dem Restaurant »Fadice« an der Havelstraße zurück. »Ach, Tachchen, gibt’s dich auch noch?«, heißt es ein paar Meter weiter an den Tischen vor der Kneipe »Haveltreff«.
Saleh steht seit 2011 an der Spitze der SPD-Abgeordnetenhausfraktion, seit 2020 teilt er sich den Landesvorsitz der Partei mit Franziska Giffey. Doch anders als die Ex-Senatschefin und jetzige Wirtschaftssenatorin verfügt Saleh über eine solide Machtbasis in der Berliner SPD. Es ist denn auch vor allem Saleh, der von Grünen und Linken dafür verantwortlich gemacht wird, dass das bisherige rot-grün-rote Regierungsschiff nach der Wiederholungswahl im Februar und den folgenden Sondierungsgesprächen versenkt wurde. »Totengräber von Rot-Grün-Rot« wurde Saleh deshalb intern auch genannt. Er selbst sieht das natürlich anders.
Klar ist: Wenn es brenzlig wird, sortiert der Chef seine innerparteilichen Truppen. Dann wird telefoniert, dann gibt es Vier-Augen-Gespräche. Bis die Richtung wieder stimmt. Wie beim letzten SPD-Landesparteitag, als die Jusos eine Trennung von Amt und Mandat anschieben wollten. Am Ende gab es einen reichlich verwässerten Beschluss, Beobachter*innen sahen Co-Chefin Giffey als Verliererin vom Platz gehen. Wenn jemand bei den Parteiwahlen im kommenden Jahr seinen Chefposten in der Landes-SPD räumen müsse, dann sicher nicht Saleh, hieß es. Kritiker*innen nennen Saleh eine »Machtmaschine«.
Die Basis seiner Macht hat er in Spandau gelegt. Hier ist er zu Hause. Hier – so das Bild, das er von sich mehr oder weniger direkt zeichnet – sorgt er dafür, dass die Parks sauber, die Restaurants gut besucht und die Spandauer*innen zufrieden sind. Die Menschen sollen nicht das Gefühl haben, »dass der Staat den Außenbezirk hängen lässt«, sagt der SPD-Chef, der in der Spandauer Altstadt und den Vierteln drum herum seinen Abgeordnetenhauswahlkreis hat. Und: »Ich habe mich immer als Lobbyisten derjenigen verstanden, die keine laute Stimme haben.«
Das habe auch mit seiner eigenen Geschichte zu tun. Geboren in einem Dorf im Westjordanland, kam Saleh 1982 mit seiner Familie nach Berlin, eben nach Spandau. Aufgewachsen ist er im gern als »Problemkiez« bezeichneten Plattenbauquartier Heerstraße Nord. Neunter Stock, 80 Quadratmeter, das sechste von neun Kindern. Der Vater arbeitete in einer Großbäckerei, Saleh selbst schon zu Schulzeiten bei Burger King, seine Mutter wohnt bis heute in Heerstraße Nord.
Saleh sagt: »Klar prägt mich mein Leben, meine Vita. Klar möchte ich nicht, dass ein Kind danebenstehen muss an der Haltestelle, wenn seine Kumpels in den Bus einsteigen, und man selber erfindet eine Ausrede und sagt: Ich laufe lieber, ist gesünder. Armut macht verlegen.« Womit er dann schon wieder beim aktuellen Haushaltsentwurf ist. Denn: »Gerade die Themen Soziales, Integration, Antidiskriminierung, also all die Themen, die am Ende verbunden werden mit dem Herzen Berlins, die sind jetzt gut vertreten.«
Im Geldausgeben ist die Berliner SPD unter Raed Saleh schon immer groß gewesen, sagen Kritiker*innen. Auch der jetzige Koalitionspartner CDU hatte im vergangenen Jahr gegen die diesbezügliche Ausgabenpolitik Stimmung gemacht. »Ihr Haushalt passt zum Senat, aber Ihr Haushalt passt nicht zu Berlin«, wetterte seinerzeit der damalige CDU-Fraktionschef Kai Wegner gegen das rot-grün-rote Haushaltsgesetz für die Jahre 2022 und 2023. Heute ist Wegner dank des CDU-Siegs bei der Wiederholungswahl und des Seitenwechsels der SPD-Spitze Regierender Bürgermeister. Und im schwarz-roten Haushaltsentwurf greift man nun auch auf die Rücklagen des Landes zurück.
Die inzwischen oppositionellen Grünen halten das für kreuzgefährlich. »Das ist eher ein Wahlkampfhaushalt als seriöse langfristige Finanzpolitik«, sagt Grünen-Fraktionschef Werner Graf. Auch Steffen Zillich, der Haushaltsexperte der Linksfraktion, warnt: »Die fehlende Strategie des Senats zur nachhaltigen Finanzierung der Angebote droht mittelfristig zur Gefahr für ein soziales Berlin zu werden.« Die Kassandrarufe sind nicht unbegründet: 2025, ein Jahr vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl, steht erneut ein Haushaltsgesetz an. Sollte ein größerer Teil der Rücklagen bis dahin aufgebraucht sein, ohne dass die Einnahmen steigen, steht Berlin vor einem Problem – zurückhaltend formuliert.
Saleh ficht die Kritik nicht an: »Viele haben damals gesagt: Warum tut ihr das? Warum schafft ihr Reserven? Da habe ich gesagt: Ich möchte, dass wir Reserven schaffen für die Zeiten, die schwieriger werden.« Inflation, Klimakrise, Mietenkrise – jetzt seien diese Zeiten gekommen. »Dass der Haushalt so aussieht, wie er aussieht, ist doch kein Zufall: Dieser Haushalt trägt eine sozialdemokratische Handschrift, die Berlin guttut.«
Selbstverständlich erkenne man auch in der Altstadt Spandau die sozialdemokratische Handschrift. Also seine Handschrift. Wenig Leerstand, viele Mülleimer. Trotzdem hat der SPD-Chef seinen seit 2006 immer wieder verteidigten Direktwahlkreis im Februar an den Kandidaten der CDU verloren. Saleh sagt: »Für mich persönlich war es der bitterste Tag in meiner bisherigen politischen Laufbahn.« Sein Ansporn sei es, den Wahlkreis 2026 »definitiv zurückzuholen«. Tatsächlich dürfte er nichts unversucht lassen.
»Mach’s gut«, sagt Saleh nach einem kurzen Gespräch über die allgemeine Kneipenlage zu einer Frau vor dem »Haveltreff«. »Mach’s besser«, ruft sie zurück.
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