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186 Hinrichtungen in einer Nacht
Ausstellungen über die Blutnächte von Plötzensee im September 1943 und tschechische Opfer
Erich Buchin sagt nur die Wahrheit. Aber die Wahrheit ist gefährlich in diesen Tagen, lebensgefährlich. Buchin arbeitet seit 1933 als kaufmännischer Angestellter bei der AEG – erst in Stuttgart und seit Juli 1943 in Metz. Dort äußert er dann am 4. August 1943 gegenüber einem Geschäftspartner und einer ihm unbekannten Frau: »Solange Hitler da ist, bekommen wir keinen Frieden.« Er erklärt, dass er den Krieg für verloren halte. Buchin wird denunziert.
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Ein Jahr früher wäre der 61-Jährige vermutlich mit sechs Monaten Gefängnis davongekommen, erläutert Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock. Doch das Naziregime hat sich 1943 noch einmal radikalisiert, und so verurteilt der Volksgerichtshof Erich Buchin am 6. September wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode. Alles geht sehr schnell. Richter Roland Freisler habe das Urteil in nur 15 Minuten diktiert, berichtet Tuchel. Schon am Morgen des 7. September wird der Beschuldigte ins Berliner Gefängnis Plötzensee überstellt und dort am Abend um 22.50 Uhr erhängt. Er erhält nicht einmal die Gelegenheit, ein Gnadengesuch zu stellen. Eine förmliche Anordnung zur Vollstreckung des Todesurteils fehlt. Es herrschen chaotische Zustände.
Bei einem Bombenangriff am 4. September war Haus III des Gefängnisses zerstört worden. Der Dachstuhl brannte, Türen flogen heraus, und es stürzte auch ein Teil der Gefängnismauer ein, wodurch drei Häftlinge fliehen konnten. Jetzt soll Platz geschaffen werden. Aber das Fallbeil funktioniert nicht mehr. So werden am 7. September 186 Menschen in einer Nacht ermordet – in Gruppen zu je acht am Galgen. Bis zum 10. September geht das weiter, obwohl die Henker nach der ersten Nacht um eine Pause bitten. Insgesamt sterben 250 Menschen. In den folgenden Wochen erhöht sich die Zahl der Erhängten auf 324 – bis das Fallbeil wieder funktioniert.
Es ist die größte Mordaktion der Nazizeit in Berlin. Es werden keine Akten zugeleitet. Die Namen der Opfer nimmt ein Staatsanwalt am Telefon entgegen. So kommt es wegen ähnlicher Namen auch zu irrtümlichen Hinrichtungen. Es sind »die Blutnächte von Plötzensee«. So heißt auch die Sonderausstellung, die am späten Dienstagnachmittag in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eröffnet wird – zusammen mit einer zweiten Ausstellung im selben Raum über die tschechischen Opfer von Plötzensee.
In der Plötze, wie das Gefängnis im Volksmund heißt, wurden 670 Tschechen ermordet. Der erste am 14. September 1940, der letzte am 18. April 1945. Auch bei den Blutnächten im September 1943 gibt es tschechische Opfer, darunter der Kommunist Julius Fučík, den es am 8. September 1943 trifft. Berühmt ist Fučík durch seine im Frühjahr 1943 im Gefängnis in Prag verfasste »Reportage, unter dem Strang geschrieben«.
Johannes Tuchel zitiert Fučík mit den Worten: »Ich möchte, dass es keine namenlosen Opfer gibt.« Doch noch in den 70er Jahren hieß es: »Wir werden niemals wissen, wer alles in Plötzensee hingerichtet wurde.« Inzwischen sind im Totenbuch der Gedenkstätte Plötzensee 2800 Opfer verzeichnet, für 2400 gibt es eine Kurzbiografie.
»Ich halte es nicht für eine Tragödie, für das Heimatland zu fallen«, sagt Jan B. Uhlíř von der Universität Hradec Králové, der an diesem deutsch-tschechischen Ausstellungsprojekt mitwirkte, das drei Jahre Vorbereitung in Anspruch nahm. »Ich halte es für eine Tragödie, für das Heimatland zu sterben und vergessen zu werden.« Es existieren keine Gräber. Den Familien wurden die Leichen grundsätzlich nicht übergeben. »Alles, was übrig blieb, waren Gerichtsakten, ein paar Fotos«, beklagt Uhlíř.
Der tschechische Gesandte Petr Kubera gesteht am Dienstag: »Ich wusste sehr wenig über das Schicksal unserer Bürger, die hier in Berlin hingerichtet wurden.« Mit Ausnahme von Julius Fučík, der in der sozialistischen Tschechoslowakei »glorifiziert wurde«, wie Kubera sagt. Fučíks Name habe damals in den Schulbüchern gestanden, »während Hunderte andere verschwiegen wurden«.
Der tschechische Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht war vielfältig. Das zeigt sich auch bei den Hingerichteten. Es waren Sozialdemokraten und Kommunisten darunter, Christen und Atheisten, Offiziere und Ärzte, Männer und Frauen. Frauen wie Anna Pollertová, die einer in Prag alteingesessenen jüdischen Familie entstammt und die Verstecke für Verfolgte besorgt und aus Großbritannien eingetroffene Fallschirmagenten versorgt. Sie wird am 19. Januar 1945 in Plötzensee enthauptet. Frauen wie die Journalistin Irena Bernášková, die eine illegale Zeitschrift herausgibt und mit gefälschten Papieren verhaftet wird. Weil sie mutig alle Schuld auf sich nimmt, erspart sie drei Mitangeklagten das Todesurteil. Diese werden nur zu Haftstrafen verurteilt. Als am 5. März 1942 ihr Todesurteil verkündet wird, entgegnet Bernášková: »Und die Tschechoslowakische Republik wird sein!« Und Männer wie Brigadegeneral Bedřich Homola. Er ist Generalstabschef der Geheimarmee und ihr zweiter Oberbefehlshaber. Die Nazis enthaupten ihn am 5. Januar 1943. Die Verteidigung seiner Heimat – für die deutschen Faschisten ist das »Vorbereitung zum Hochverrat«.
16 000 Menschen verurteilte der Volksgerichtshof zum Tode. 5200 dieser Urteile wurden vollstreckt. Getroffen hat es dabei allein 1800 Tschechen, die in Berlin-Plötzensee, in Brandenburg/Havel oder anderswo hingerichtet wurden. »Es ist ein ernstes Thema«, sagt Maria Bering, Abteilungsleiterin Geschichte und Erinnerung bei der Bundeskulturbeauftragten Claudia Roth (Grüne). Sie meint die »unfassbaren Massenhinrichtungen« vom September 1943 einerseits und andererseits die Hinrichtung der Tschechen. »Erst jetzt wird erstmals über diese Opfer informiert«, so Bering. Die Urenkelin eines Opfers hört zu. Sie ist Mitarbeiterin der tschechischen Botschaft. Die Texte der Ausstellung sind in deutscher und englischer Sprache zu lesen. Eine tschechische Fassung soll noch dieses Jahr in Prag gezeigt werden. In Berlin sind die beiden Sonderausstellungen bis zum 31. Oktober zu besichtigen.
Ermordet werden in Plötzensee vornehmlich Deutsche, Österreicher und Tschechen, aber zum Beispiel auch der niederländische Matrose Willem van Vreeswijk. Er ist Mitglied der kommunistischen Gewerkschaft der Seeleute, Binnenschiffer und Hafenarbeiter und hat auf dem Frachter »Westplein« angeheuert. 1936 findet er Kontakt zu einer internationalen Organisation kommunistischer Seeleute, an deren Spitze Ernst Wollweber steht. Ihr Ziel: mit Anschlägen auf Handelsschiffe die Kriegsvorbereitungen Nazideutschlands sabotieren. 1937 schmuggelt van Vreeswijk neun Kilogramm Sprengstoff. Seine Gruppe verübt mehr als 20 Anschläge auf deutsche, italienische und japanische Schiffe. Ende 1940 wird er festgenommen, am 7. September 1943 in Plötzensee erhängt. Es geschieht um 22.50 Uhr so wie bei Erich Buchin, der nicht an den Endsieg glaubte.
Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Stauffenbergstraße 13-14, Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr, am 20. Juli 14-20 Uhr.
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