- Politik
- Folgen der Privatisierung
Braune Brühe an Englands Küsten
Meeresverschmutzung durch Einleitungen verstärkt den Wunsch nach staatlichen Wasserversorgern
Auf heftigen Regenfall folgen stets die Warnungen: Vorsicht an den Stränden. Denn wer nicht aufpasst, schwimmt plötzlich in unbehandeltem Abwasser. So war es auch letzte Woche in der Grafschaft Cornwall, an der südwestlichen Spitze Englands. Nachdem es an einigen Tagen ordentlich geschüttet hatte, meldete die Umweltkampagne Surfers Against Sewage (»Surfer gegen Abwasser«, SAS), dass 33 Strände verschmutzt und unbenutzbar seien – der lokale Wasserbetrieb hatte erneut rohes Abwasser ins Meer geleitet.
Cornwall ist eigentlich Englands Strandparadies, man spricht von der »Cornish Riviera«. Aber in den vergangenen Jahren wurde der sommerliche Badespaß für die Briten regelmäßig von brauner Brühe getrübt. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Hautausschlag nach dem Bad im Meer haben zugenommen. Und nicht nur Cornwall ist davon betroffen: An der ganzen englischen Küste ist das Wasser regelmäßig verschmutzt.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Wie alltäglich solche Vorfälle sind, zeigen Zahlen der Umweltagentur. Demnach pumpten die englischen Wasserversorger im Jahr 2022 insgesamt während 85 000 Stunden unbehandeltes Abwasser in Badegebiete. Gesundheitsexperten und Regulierungsbehörden warnten bereits im vergangenen Jahr vor der wachsenden Wasserverschmutzung. »Niemand will, dass ein Kind menschlichen Kot schluckt«, schlugen sie in einem offenen Brief Alarm.
Dass die Konzerne überhaupt Schmutzwasser ins Meer leiten können, liegt an einer besonderen Regelung. Das Abwasser von Toiletten und Küchen wird zusammen mit Regenwasser in denselben Rohren in die Kläranlagen geleitet. Dort landet es zunächst in den Auffangbecken. Aber wenn viel Regen fällt, besteht die Gefahr, dass diese Becken ihre Kapazität übersteigen – und dann könnte der Dreck zurück in die Häuser fließen. Um das zu verhindern, dürfen die Betriebe im Notfall das Abwasser in die Natur leiten.
Aber die Wasserbetriebe greifen nicht nur in Ausnahmesituationen auf dieses Mittel zurück, sondern immer dann, wenn es ihnen gerade passt. Zusammengerechnet haben englische Kläranlagen letztes Jahr insgesamt 1,75 Millionen Stunden lang Rohabwasser in Flüsse und ins Meer geleitet. Im Durchschnitt wurde jeden Tag über 800 Mal gepumpt.
Mittlerweile ist die Regulierungsbehörde Ofwat aktiv geworden: 2022 startete sie Verfahren gegen sechs Konzerne, die regelwidrig Abwasser in die Natur geschüttet haben. Zuletzt wurde Thames Water zur Rechenschaft gezogen: Das Unternehmen, das im Großraum London für sauberes Wasser zuständig ist, wurde Anfang Juli mit einer Strafe von 3,3 Millionen Pfund belegt, weil es 2017 Dreckwasser in zwei Flüssen entsorgt hatte.
Zunehmend nimmt die öffentliche Debatte rund um die Umweltverschmutzung das gesamte System in den Blick: Die Briten fragen sich, ob nicht die ganze Privatisierung der Wasserversorgung verkehrt war. 1989 verkaufte die damalige Premierministerin Margaret Thatcher die regionalen Wasserbehörden an private Unternehmen. Diese haben in den jeweiligen Regionen ein Monopol über das dortige Abwassersystem und die Trinkwasserversorgung – ein Wettbewerb kann also nicht entstehen.
Zwar investierten die englischen Wasserbetriebe in die Infrastruktur, vor allem in den ersten Jahren nach der Privatisierung. Aber zunehmend zeigten sie sich knauserig. Die »Financal Times« hat ausgerechnet, dass die Investitionen in Kläranlagen und Abwasserrohre seit den 1990er-Jahren um ein Fünftel gefallen sind. Die Folgen sind überall zu sehen: Die Überlaufbecken werden nicht erneuert oder vergrößert, und viele Wasserleitungen sind löchrig. Laut Zahlen der Aufsichtsbehörde Ofwat gingen in den Jahren 2021-22 fast 3 Milliarden Liter Wasser verloren – und zwar jeden Tag. Manchmal versagen die Betriebe gleich ganz: Im Juni saßen 6000 Haushalte im Südosten Englands eine Woche lang ohne Trinkwasser da.
Dennoch sind die Rechnungen für die Verbraucher gestiegen. Inflationsbereinigt zahlen die Briten heute um 30 Prozent mehr als in den 1990er-Jahren. Freuen konnten sich hingegen die Aktionäre: Zwischen 1989 und 2021 hat die Wasserindustrie 72 Milliarden Pfund an Dividenden ausgezahlt. Ein Großteil davon war fremdfinanziert: Die Konzerne haben zusammen 60 Milliarden Pfund an Schulden aufgenommen.
Die Folgen der Misswirtschaft zeigten sich kürzlich am Beispiel von Thames Water. Ende Juni arbeitete die Regierung Notfallpläne für die staatliche Übernahme des Konzerns aus. Minister fürchteten, dass das Unternehmen unter seiner riesigen Schuldenlast kollabieren könnte – jetzt, wo die Zinssätze stark ansteigen. Letzte Woche brachten die Aktionäre 750 Millionen Pfund auf, um den Zusammenbruch vorerst abzuwenden. Aber an der prekären Situation des Konzerns ändert sich nichts.
Für viele Briten ist die Lösung offensichtlich: Wiederverstaatlichung. Eine neue Umfrage des Instituts YouGov kommt zum Schluss, dass 69 Prozent der Bevölkerung ein staatliches Wassersystem begrüßen würden, mickrige 8 Prozent wollen am bestehenden privaten System festhalten.
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