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Tour de France: Die alten Sorgen fahren wieder mit
Rekorde und Fabelleistungen bei der Frankreichrundfahrt lassen schlechte Erinnerungen an alte Zeiten hochkommen
Der Radsport hat seine alten Debatten wieder. Wie sind die Leistungen von Tadej Pogacar und vor allem Jonas Vingegaard zu erklären? Die beiden brachen bei dieser Tour de France einige Rekorde. Auf der 6. Etappe waren sie am mythischen Tourmalet die schnellsten, seit es Aufzeichnungen gab. Der Website »climbing-records.com« zufolge waren sie mit 45:35 Minuten für den 17 Kilometer langen Anstieg weitaus schneller als Lance Armstrong und Jan Ullrich 2003 (47:36). Sie stellten auch den alten Rekordhalter Tony Rominger (1993 mit 45:48) in den Schatten. Unnötig zu erwähnen, dass die genannten Fahrer entweder direkt des Dopings überführt wurden oder mit Dopinggurus zusammengearbeitet haben. Auch am Col de Marie-Blanque und am Col du Grand Colombier setzten die beiden neue Rekordmarken. Und im Einzelzeitfahren ließ erst Pogacar der Konkurrenz keine Chance, ehe Vingegaard als letzter Starter auch noch mal die Zeit des Slowenen deutlich unterbot.
Das löst Stirnrunzeln aus. Die neue Rennfahrergeneration immerhin ist rhetorisch so fit und in der Geschichte des eigenen Sports so gut bewandert, dass sie Verdachtsäußerungen für legitim hält. »Um ehrlich zu sein, verstehe ich die Skepsis. Und wir müssen auch skeptisch bleiben wegen dem, was in der Vergangenheit geschah«, meinte Vingegaard. »Natürlich kann ich das verstehen. Ich bekomme die Fragen ja jedes Jahr gestellt bei der Tour«, sagte auch Pogacar. Er begründete die exzellenten Zeiten vor allem mit dem harten Duell, das er sich in diesem Jahr mit dem Dänen Vingegaard lieferte.
Da ist etwas dran. Beide fuhren, solange sie noch gleichstark waren, sehr dynamisch. Erst auf der steilen Schlussrampe der 17. Etappe brach Pogacar ein und verlor mehr als fünfeinhalb Minuten auf Vingegaard. Die Vorentscheidung im Kampf um den Gesamtsieg. Davor gab es kaum Ruhepausen und taktische Geplänkel. Vingegaard führte vor allem das verbesserte Material für die Ausnahmeleistungen ins Feld. Das kann tatsächlich einen Unterschied von vielleicht 20 Watt selbst am Berg ausmachen.
Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, berichtet zum 22. Mal für »nd« von der Tour de France.
Aber auch andere Faktoren könnten eine Rolle spielen. Das Radsportmagazin »Wielerflits« berichtete im Frühjahr, mehrere anonym bleiben wollende Radprofis hätten vom Einsatz des Schilddrüsenmedikaments Thyrax im Profipeloton gesprochen. »Damit kannst du fliegen«, sagte ein Profi, als »eine Art Superbenzin« bezeichnete es ein anderer. Er betonte auch, dass es beim Abnehmen helfe, dabei aber die Muskulatur erhalten bleibe.
Der frühere Teamarzt von Arkea Samsic, Jean-Jacques Menuet, sprach im Verlaufe dieser Tour vom Einsatz von Schilddrüsenmedikamenten. Sie werden vor allem bei Schilddrüsenunterfunktion eingesetzt. Weil Schilddrüsenhormone Einfluss auf die Energiebereitstellung haben, ist die etwas flapsige Aussage »damit kannst du fliegen« durchaus gerechtfertigt. Die Weltantidopingbehörde Wada setzte diese Medikamente bisher aber nicht auf die Verbotsliste.
Von »nd« auf der Pressekonferenz darauf angesprochen, ob er ein Verbot dieser Art von Schnellmachern unterstützen würde, sagte der designierte Tour de France-Sieger Jonas Vingegaard: »Ich kenne diese Medikamente nicht. Ich nehme sie auch nicht.« Dass er noch gar nichts davon gehört hat, mag man schwer glauben. Schon Muhammed Ali beschwerte sich 1981 über eine falsche Dosierung von Schilddrüsenmedikamenten, die ihn beim verlorenen Kampf gegen Larry Holmes im Jahr zuvor schlapp gemacht habe. Das Wissen ist da. Ob es auch angewendet wird, wird man, wie so oft in diesem Gewerbe, erst Jahre später erfahren.
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