- Politik
- Gedenktag für verstorbene Drogennutzer
Drogentod wäre meist vermeidbar
Am 21. Juli wird international der verstorbenen Konsumenten illegalisierter Substanzen gedacht
An 64 Orten in Deutschland und Österreich wird diesen Freitag der an Drogenkonsum Verstorbenen gedacht. »Durch die Beteiligung von circa 150 Organisationen und Initiativen in Deutschland hat sich der Gedenktag am 21. Juli zum größten bundesweiten Aktions-, Trauer- und Präventionstag im Bereich illegalisierter Drogen entwickelt«, schreibt der JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) Bundesverband e. V. in einer Erklärung.
Das diesjährige bundesweite Motto ist scharf formuliert: »Drogentod ist Staatsversagen«. Tatsächlich kann mit Blick auf die wachsende Zahl verstorbener Konsument*innen vom Versagen staatlicher Politik gesprochen werden. Innerhalb von zehn Jahren, zwischen 2012 und 2022, hat sich die Zahl der an den Folgen von Drogenkonsum Gestorbenen von 944 auf 1990 im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.
Besonders starke Anstiege waren in den Corona-Pandemiejahren 2020, 2021 und 2022 zu verzeichnen. »Viele Verstorbene waren unsere Partner*innen, Freund*innen, Klient*innen, Patient*innen oder Bekannte«, ist im Aufruf von JES zu lesen. Die Toten sollen mit einer Fotoaktion sichtbar gemacht werden. Denn viele dieser Tragödien finden außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung statt.
Anders war es bei drei drogeninduzierten Todesfällen Ende Juni, die durch die bundesweite Presse gingen. Im mecklenburgischen Altentreptow konsumierten Jugendliche die mit dem Wirkstoff MDMA sehr hoch dosierte Ecstasy-Pille »Blue Punisher«. Sie ist benannt nach dem markanten Totenkopf aus der Comicverfilmung »The Punisher«, der auf den blauen Tabletten ausgestanzt ist.
Die Substanz gilt als sehr potent und führt schnell zu Überdosierungen, in deren Folge gerade Menschen, die MDMA zum ersten Mal zu sich nehmen, über ausufernde Kreislaufaktivierung mit Anstieg des Blutdrucks klagen. Ihre Herzfrequenz sowie die Regulierung der Körpertemperatur geraten außer Kontrolle. Die Folge: Eine 13-Jährige starb, die Ärzte im Klinikum Neubrandenburg konnten nichts mehr für sie tun.
Eine 14-Jährige überlebte ihren »Blue-Punisher«-Trip auf derselben Intensivstation. Sie war an dem betreffenden Tag auf einem Gehweg in Neubrandenburg gefunden worden. Zwei Tage später verstarb ein 15-jähriges Mädchen nach Einnahme einer Ecstasy-Tablette, vermutlich wieder »Blue Punisher«, im brandenburgischen Rathenow.
Am 30. Juni meldete das Magazin »Focus« den Tod einer 18-Jährigen in Halle an der Saale nach gemeinsamem Ecstasy-Konsum mit ihrem Freund. Nach dem Zusammenbruch dieser jungen Frau hatte der Freund zunächst aus Angst vor Repressalien nicht den Notruf, sondern Freunde gerufen.Nach diesen drei mutmaßlichen Ecstasy-Toten innerhalb einer Woche schaffte es jede gefundene »Blue-Punisher«-Pille mit Formulierungen wie beispielsweise »Todesdroge in Oberfranken angekommen« in die jeweilige Regionalzeitung. Viele große Medienformate widmeten »Blue Punisher« und den jungen Konsumentinnen Aufmerksamkeit.
Diese drei drogenbedingten Todesfälle einte, dass die Opfer jung, weiblich und durch sehr hochdosiertes Ecstasy ums Leben gekommen waren. Damit sind sie keine typischen Drogentoten. Amphetaminderivate wie Ecstasy waren 2022 am seltensten die Ursache für den Tod durch Drogenkonsum. In der Statistik sind acht Fälle erfasst, 13 im Jahr 2021 und sechs im Jahr 2020. Für das Jahr 2022 entspricht das 0,4 Prozent der insgesamt 1990 durch den Konsum illegalisierter Substanzen Verstorbenen.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, konstatierte bei der Vorstellung der Zahlen für das vergangene Jahr im Mai: »Haupttodesursache war erneut der Missbrauch von Opioiden (1194 Verstorbene) – davon 749 mit Heroin und Morphin. Auch die Langzeitfolgen (663) des Drogenkonsums sind vielfach todesursächlich.« Danach folgen verschiedene Arten des Mischkonsums.
83 Prozent beziehungsweise 1648 der Verstorbenen waren Männer, stellten also gegenüber 342 verstorbenen Frauen die übergroße Mehrheit. Das Durchschnittsalter zum Todeszeitpunkt lag bei 40,6 Jahren. Zudem sank die Zahl der Rauschgifttoten in Mecklenburg-Vorpommern 2022 gegenüber dem Vorjahr um 45 Prozent. Damit stand das Bundesland insgesamt zumindest im vergangenen Jahr gegen den Trend, denn insgesamt wurde ein Anstieg der Zahl der Drogentoten festgestellt. Festzuhalten bleibt: Für die Mehrheit der Verstorbenen stimmt das Aktionstagsmotto. Staat und Gesellschaft hätten gerade bei langen Drogenkarrieren die Möglichkeit, einzugreifen und zumindest die größten Risiken abzumildern.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.