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Todestag von Ferhat Mayouf: Kampf um Aufklärung in Berlin-Moabit
Demonstration für verstorbenen Ferhat Mayouf will seinen Bruder beim Versuch unterstützen, die Justizvollzugsbeamten anzuklagen
Vor drei Jahren, am 23. Juli 2020, starb Ferhat Mayouf in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit an einer Rauchvergiftung während eines Brands in seiner Zelle. Es gilt als sicher, dass Mayouf das Feuer selbst legte und die Tür von innen mit Möbelstücken verbarrikadierte. Die Behörden gehen daher von einem Suizid aus. Gefangenenorganisationen wie Criminals for Freedom (C4F) und die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) hingegen halten den Todesfall für einen »Mord durch diesen Staat und seine rassistischen Institutionen« und rufen deshalb am dritten Todestag Mayoufs an diesem Sonntag zu einer Demonstration zur JVA Moabit auf.
Viele Umstände des Todes lassen die Organisationen bezweifeln, dass Mayouf wirklich sterben wollte. So soll er vor dem Brand noch nach Tabak verlangt haben. Später bemerkten Mitgefangene Rauch und alarmierten die Wärter. »Die Insassen hörten, wie es fünf Minuten lang aus der Brandzelle Hilferufe gab und lautstark gegen die Zellentür wummerte. Ein Insasse sah durch ein Loch seiner Zellentür, wie zwei Schlusen (Wärter, Anm. d. Red.) im Gang standen und nichts unternahmen, obwohl er um Hilfe und immer wieder ›Feuer‹ schrie. Bis es verstummte. Einer hörte auch, wie sich die Schlusen wohl berieten, aber nichts unternahmen. Sie standen die ganze Zeit vor seiner Zelle.« So hat es C4F auf der eigenen Website dokumentiert. Die Gruppe ist aus der Gefangenengewerkschaft hervorgegangen und setzt sich für die Abschaffung des Gefängnissystems ein.
Als die Feuerwehr erst nach gut 25 Minuten die Tür öffnete, konnte sie nur noch Mayoufs Tod feststellen. Die Wärter gaben später zu Protokoll, die Tür sei zu heiß und außerdem verbarrikadiert gewesen. Die Tür lässt sich allerdings nach außen öffnen. Außerdem starb Mayouf an einer Rauchvergiftung, sein Körper wies kaum Verbrennungen auf. Auch war die Zellentür nicht verzogen. Demnach kann die Temperatur in der Zelle nicht allzu hoch gewesen sein.
»Wir gingen alle auf die Freistunde – aber einer fehlte«, zitiert C4F den Eindruck eines Gefängnisinsassen am Tag nach der Brandnacht. Der 36-jährige Algerier Ferhat Mayouf war Ende Juni 2020 wegen Verdachts auf Diebstahl festgenommen worden. Trotz dieses geringfügigen Vergehens kam Mayouf in Untersuchungshaft – weil er keinen deutschen Pass hatte, wie seine Unterstützer*innen vermuten. »Ich habe ihn sehr lebendig in Erinnerung«, sagt Anwalt Benjamin Düsberg, der Mayoufs Rechtsbeistand wurde. Aber er habe es schlimm gefunden, in U-Haft gehen zu müssen, seine Depressionen hätten sich verschlimmert. Zudem sei das Licht in der Zelle kaputt gewesen.
C4F schreibt, Mayouf sei bei seiner Festnahme von der Polizei und im Gefängnis von Wärtern verprügelt worden. Einige der in Moabit eingesetzten Wärter seien »rassistische Gewalttäter«, so die Gruppe. Die erlebte Gewalt habe Mayouf verändert, er habe sich Schnittverletzungen am Oberkörper zugefügt. Bei einem Haftprüfungstermin am 20. Juli 2020, nur drei Tage vor Mayoufs Tod, hatte die zuständige Richterin die Haftanstalt explizit auf die Suizidgefahr hingewiesen: »Der Angeschuldigte teilte mit, er habe starke Depressionen und möchte einem Arzt vorgeführt werden«, notierte sie im Protokoll. Sie wies die anwesenden Gefängnismitarbeiter laut C4F ausdrücklich an, Mayoufs Bitte in der JVA bekanntzugeben, und notierte dies auch auf dem Haftblatt. Es passierte jedoch nichts, Mayouf blieb ohne ärztliche Hilfe 23 Stunden am Tag allein in seiner Zelle.
Die Staatsanwaltschaft tat den Tod Mayoufs schnell als Suizid ab, stellte die Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts ein und kam zu dem Schluss, die Wärter hätten korrekt gehandelt. Rechtsanwalt Düsberg sieht das anders: »Wir gehen davon aus, dass Mayouf noch hätte gerettet werden können.« Er vertritt Mayoufs in London lebenden Bruder Dahmane M. Dieser hat im vergangenen Herbst Strafanzeige »wegen der rechtswidrigen und schuldhaften Begehung eines Tötungsdelikts« gegen die vier Wärter gestellt, die vor Mayoufs Zelle standen und auf die Feuerwehr warteten. »Es zeigt schon etwas, wenn man nicht die Tür öffnet«, findet Düsberg.
Die Wärter hätten für das Überleben der ihnen anvertrauten Gefangenen zu sorgen, schreibt er in der Strafanzeige: »Diese Schutzpflicht ist die Kehrseite des behördlichen Autonomieentzugs. Mit der Entziehung der Freiheit geht auf die Anstalt und somit auf ihre Bedienstete daher die Pflicht über, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Gefangenen zu sichern und zu schützen.« Mayouf habe sich unfreiwillig in der JVA Moabit befunden und keine Möglichkeit gehabt, seine von außen verschlossene Zelle zu verlassen. Nur die sich vor der Zelle befindenden Beamten hätten den Schlüssel zu seiner Zellentür und daher die Möglichkeit gehabt, sein Leben zu retten, heißt es weiter in der Strafanzeige. »Ihnen kam somit eine Garantenpflicht für das Leben von Herrn Mayouf zu, welcher sie aufgrund bewusster Entscheidung nicht genügen wollten.«
Düsberg will erreichen, dass doch noch Anklage gegen die Wärter erhoben wird. Es müsse weiter ermittelt, die Mitgefangenen müssten vernommen werden. Selbst wenn sich nicht nachweisen lasse, dass Mayouf geschrien habe, müsse man den Wärtern mindestens ein versuchtes Tötungsdelikt anlasten, findet Düsberg, weil sie vor der Tür gewartet hätten. Der Anwalt geht davon aus, dass noch in diesem Jahr eine Entscheidung über eine Anklage fallen wird.
Mit der Demonstration am 23. Juli wollen C4F und KOP Mayoufs Bruder bei seinem Kampf um Aufklärung unterstützen. »Der Mord an Ferhat ist kein isolierter Einzelfall, kein tragisches Unglück«, heißt es im Aufruf zur Demonstration. »Ferhat wurde von der deutschen Migrationspolitik kriminalisiert, wurde von den Cops durch Racial Profiling kontrolliert, duch die Isolation und unterlassene Hilfeleistung des Knastes umgebracht und sein Tod wird durch die Justiz vertuscht, um alle Täter*innen freizusprechen.«
»Auch am dritten Jahrestag wollen wir auf die Straße gehen, um Ferhat zu gedenken«, so KOP. Die Demonstration soll auch ein Signal an die übrigen Gefangenen sein: »Wir werden den Inhaftierten im Knast Moabit zeigen, dass sie nicht vergessen sind.«
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