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Gregor Gysi: Die Linke – eine Partei der Solidarität
Wenn die Linkspartei die nicht länger enttäuschen will, muss sie wieder ihre Antworten auf die großen Krisen in den Vordergrund zu stellen
Die Mitglieder der Partei Die Linke sind aus unterschiedlicher Geschichte, aus unterschiedlichen Generationen, aus Ost und West, zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen zu uns gekommen. Viele haben erfahren, wie man gerade aus diesen unterschiedlichen Zugängen heraus miteinander wachsen und gemeinsam für unsere Partei Die Linke kämpfen kann. Für die meisten stand und steht deshalb trotz aller Kritik nie in Frage: Die Linke wird nicht aufgegeben.
Nichts und niemand hat es geschafft, die Etablierung einer Partei links von der Sozialdemokratie in der bundesdeutschen Gesellschaft zu verhindern, die innerhalb und außerhalb der Parlamente, in Länderregierungsverantwortung und in Opposition für eine konsequente Politik des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Steuergerechtigkeit, der ökologischen Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung und der Gleichstellung von Frau und Mann und von Ost und West steht.
Keine moralische Diskreditierung, keine noch so abstrus hohen Steuerforderungen, keine Ausgrenzung hat uns stoppen können. Konkurrenz und Gegnerschaft hatten damit keinen Erfolg. Nun dürfen wir es aber nicht selbst versuchen. Wir, wir alle haben eine Verantwortung dafür, Die Linke im Interesse der Menschen und der gesamten Gesellschaft zu erhalten und nicht aufs Spiel zu setzen.
Jede Genossin und jeder Genosse, die vor Ort kämpfen, im Kommunalparlament, am Infostand, bei Demonstrationen gegen Aufrüstung und Krieg, bei der Sozialberatung von Bürgerinnen und Bürgern, beweisen täglich unsere Notwendigkeit. Den Bürgerinnen und Bürgern und ihnen sind wir es schuldig, dass wir nicht zulassen, dass nach Italien nun auch in Deutschland die Linke parteipolitisch zerbröselt und gesellschaftspolitisch praktisch keine Wirkung mehr entfalten kann.
Gregor Gysi, Jahrgang 1948, ist Rechtsanwalt, Politiker, Moderator und Buchautor. Ende 1989 wurde er beim Umbruch von der SED zur PDS Vorsitzender der SED/PDS, danach der PDS. Er führte die PDS-Fraktionen in der letzten Volkskammer und im Bundestag. Am Zusammengehen von PDS und WASG zur Linkspartei war er maßgeblich beteiligt und von 2005 bis 2015 deren Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Gysi, der mit einer kurzen Unterbrechung seit 1990 dem Bundestag angehört und acht Mal seinen Wahlkreis gewann, ist heute außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und nach wie vor eine wichtige Stimme in der gesamtdeutschen und in der linken politischen Debatte.
Ich mache mir nichts vor. Die Krise unserer Partei ist existenziell. Doch wir sollten auch nicht übersehen, dass mitten in dieser tiefsten Krise Eva-Maria Kröger in Rostock, Sylvia Ristow in Bernburg, Henry Ruß in Reichenbach als Oberbürgermeisterin bzw. Oberbürgermeister gewählt wurden, dass mit Kristina Vogt an der Spitze Die Linke in Bremen erfolgreich ist und dass ebenso jetzt Christina Buchheim in Köthen und Matthias Marquardt im thüringischen Heringen an die Stadtspitze gewählt wurden.
So wenig wie damit die Krise der Linken vorbei ist, so sehr ist das ein deutlicher Hinweis, wie groß das Bedürfnis vieler Menschen nach Politikerinnen und Politikern ist, die sich ernsthaft ihrer Sorgen annehmen, einen klaren Kurs in der sozialen Frage haben und deren Partei vor Ort nicht gegeneinander streitet, sondern gemeinsam kämpft. Dort, wo Die Linke sich ernsthaft bemüht, wo nicht ideologische Schlachten gegeneinander geführt werden, sondern am Alltag der Menschen gearbeitet wird, wo die Menschen das Gefühl haben, dass es um sie und nicht um Posten oder Rechthaberei geht – dort bekommt sie Zuspruch. Mein Freund Lothar Bisky verwies immer darauf, dass die Menschen ein feines Gespür dafür haben, ob und wie unsere Partei für sie wirklich da ist oder nur über sie redet.
Die Bundesregierung macht in Bezug auf den Krieg von Russland gegen die Ukraine keine aktive Friedenspolitik, tritt im Unterschied zu uns nicht für einen sofortigen Waffenstillstand ein. Auch sozial macht die Ampel-Koalition eine verheerende Politik; sie unternimmt nichts gegen die Inflation unternimmt, die für die Bekämpfung der Kinderarmut vorgibt, kein Geld zu haben, wohl aber für eine gigantische Aufrüstung der Bundeswehr. Beim notwendigen Klimaschutz organisiert sie eine soziale Benachteiligung von Millionen. Vor dem Hintergrund der immer größeren Gefahr, dass die Anbiederung insbesondere von Union und FDP an Rechtsaußen dazu führt, die rechtsextremistische AfD in Machtpositionen zu bringen, können und dürfen wir es uns nicht leisten, Die Linke als Partei und damit auch eine lange Geschichte des antifaschistischen Kampfes aufzugeben.
Natürlich kann und muss man damit unzufrieden sein, dass es uns nur noch unzureichend gelingt, die Interessen der von unserer Partei zu vertretenden gesellschaftlichen Gruppen insbesondere bundespolitisch zum Tragen zu bringen. In einer demokratischen Partei gibt es ausreichend Möglichkeiten, diese Kritik in eine produktive Diskussion einzubringen. Öffentliche Schuldzuweisungen, Abspaltungsüberlegungen oder Beitragsboykotte gehören dazu mit absoluter Sicherheit nicht. Sie geben der Partei keine Perspektive.
Die Quellen, Herangehensweisen, Ziele linken Denkens und Handelns haben sich in den letzten Jahren weiter differenziert. Wir müssen lernen, diese Verschiedenheit zu akzeptieren, die auch eine Generationenfrage ist. Die Linke darf diese Unterschiede nicht länger zu unüberwindbaren Hürden machen, sondern muss Tendenzen zu einer inneren Ab- und Ausgrenzung überwinden. Auf die Kernfragen der gesellschaftlichen Entwicklung des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus mit seinen verheerenden Konsequenzen für immer mehr Menschen hat Die Linke gemeinsame und klare Antworten. Wenn wir die Erwartungen an Die Linke nicht länger enttäuschen wollen, müssen wir uns wieder darauf konzentrieren, diese linken Antworten auf die großen Krisen in den Vordergrund zu stellen.
Viele Bürgerinnen und Bürger, die in diesen Krisen in eine immer dramatischere soziale, wirtschaftliche und finanzielle Situation zu geraten drohen, die für Millionen schon heute eine direkte Existenzgefährdung darstellt, erwarten zu Recht von der Linken ein entschlossenes Agieren in ihrem Interesse. Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Bundestagsfraktion. Ich halte es für sinnvoll und wichtig, wenn Dietmar Bartsch als stabiler Ausgangspunkt diese weiter führt, um die vor der Fraktion liegenden Herausforderungen zu bestehen.
40 Jahre herrschende neoliberale Ideologie haben den Egoismus zum herrschenden Handlungsprinzip in unserer Gesellschaft gemacht. Wenn die fünf reichsten Familien in unserem Land mehr Vermögen haben als die 42 Millionen Menschen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung, wird deutlich, wie wenig der finanzmarktgetriebene Kapitalismus noch mit einer sozialen Marktwirtschaft zu tun hat. Millionen Menschen ohne jegliches Vermögen in Deutschland darf man keinesfalls ausschließlich zu mehr »Eigenverantwortung« aufrufen.
Die Linke muss deshalb für eine größere Solidarität im nationalen, aber auch im internationalen Rahmen streiten und die Besitz- und Kapitalverhältnisse, die eine solche Ungerechtigkeit hervorbringen, offensiv in Frage stellen. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen bewusst wird, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht das Ende der Geschichte sein darf, weil sie letztlich die Menschheitsgeschichte zu Ende zu bringen droht, geht es um nicht weniger, als Freiheit und demokratischen Sozialismus zu einer denk- und machbaren gesellschaftlichen Alternative zu entwickeln. Wir müssen uns stets gegen autoritäre und diktatorische Strukturen stellen.
Neben einer glaubwürdigen Gesellschaftserzählung brauchen wir wieder viel mehr das linke Kümmern um die Menschen im Alltag. Wir müssen konkrete Schritte der Veränderung aufzeigen, die in eine bessere Gesellschaft weisen. Dazu gehört es, die immer weitergehende Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge Schritt für Schritt rückgängig zu machen. Heute soll sich Gesundheit rechnen, mit Wohnungen werden auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter Riesenprofite gemacht, Wasser und Abwasser spülen Gewinne in die Taschen weniger Reicher, die Gebühren für Stromübertragungsnetze treiben den Strompreis zusätzlich in die Höhe.
Die Erfahrung lehrt, das Profitstreben privater Betreiber führt in diesen Bereichen zu schlechterer Qualität und höheren Preisen. Wenn die öffentliche Hand die privatisierten Einrichtungen wieder zurückkaufen muss, zahlt sie das Mehrfache auch für die Sanierung von den Steuern, die wir alle zu begleichen haben. Das muss ein Ende haben. Gesundheit, Energie, Wohnen, Bildung, Wasser, Mobilität, Teile der Kunst und Kultur und des Sports gehören in öffentliche Hand, zumindest aber in öffentliche Verantwortung.
Eine solidarische Gesellschaft, in der Menschen sich aufgehoben fühlen und eine Perspektive für sich und ihre Kinder erleben, ist auch der beste Weg, um Demokratie und Freiheit gegen Angriffe von Rechtsaußen zu verteidigen. Indem die Ampel und die Union eine solche Gesellschaft aktiv verhindern, machen sie die AfD und andere rechte Kräfte nur stärker. Dagegen braucht es eine Opposition, die glaubwürdige, realistische, bürgernahe politische Angebote macht und den Willen verkörpert, diese auch gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern umzusetzen und dafür Bündnispartner in Gesellschaft und Politik zu gewinnen. Eltern sollen wieder wie selbstverständlich denken können, dass es ihren Kindern besser als ihnen selbst gehen wird. Die Linke muss all dies leisten. Gerade jetzt!
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