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  • »Drängende Gegenwart«

Ausstellung in Potsdam: Ein Wettbewerb um das langweiligste Bild

Studenten zeigen mit Fotografien im Potsdamer Landtag, was sie derzeit bewegt

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.
Was könnte das bedeuten? Lebensältere Zeitgenossen machen sich Gedanken über die Sorgen junger Menschen.
Was könnte das bedeuten? Lebensältere Zeitgenossen machen sich Gedanken über die Sorgen junger Menschen.

Für lebensältere Zeitgenossen ist es ein drängendes Bedürfnis, jungen Menschen bei ihrer Begegnung mit der Wirklichkeit zuzuschauen. Und sich Gedanken dabei zu machen. Diese Gelegenheit hat man einmal mehr im Potsdamer Landtagsschloss. Vor einigen Tagen wurde in dessen Foyer eine Ausstellung künstlerischer Fotos eröffnet, belichtet und ausgewählt von Studenten der Potsdamer Fachhochschule. »Drängende Gegenwart – Fotografie als Forschungsinstrument« lautet die Überschrift und auch die Aufgabenstellung.

Zwei Semester lang haben sich die angehenden Künstlerinnen und Künstler mit diesem Thema auseinandergesetzt, heißt es in einer zur Eröffnung verteilten begleitenden Pressemitteilung. Und dass diese Arbeiten die Umbrüche und Herausforderungen reflektieren würden, die durch das Zusammentreffen verschiedener Krisen geprägt seien.

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Landtagspräsidentin Ulrike Liedke (SPD) gestand den Fotos zu, »in die Tiefe« zu gehen und zu vermitteln, »worüber sie nachdenken«. Der Landtag sei ein begehrter Ausstellungsort, er habe im Sommer eher mehr als weniger Besucher. Publikum sei der Ausstellung also gewiss. Und an Themen könne es nicht mangeln, denn: »Die Nachrichten in Fernsehen und Radio, in den Zeitungen und den sogenannten sozialen Medien sind voll von unerhörten, unerwarteten, oft auch unglaublichen Meldungen.«

Die Präsidentin zog einen gedanklichen Bogen zu einem Kongress eine Woche zuvor, bei dem Vertreter aus 46 Staaten in Potsdam über den Umgang mit dem veränderten Klima in den Kommunen dieser Welt beraten hatten. Sie bemühte den Vergleich zum Andersen-Märchen »Des Kaisers neue Kleider«, in dem sich das Volk lange nichts zu sagen wagt. Und lobte die Studenten überschwänglich: »Sie aber tun das mit Ihren Bildern.«

Um es vorsichtig zu sagen: Der erste Blick, der durch die Ausstellung kreist, legt nicht gerade nahe, dass hier bildlich eine raue, schonungslose Wirklichkeit ihrer Tarnung entkleidet worden wäre. Eher, dass hier ein Wettbewerb um das uninteressanteste Bild ausgetragen wurde. Eine Dramatik, eine Erregtheit des Dargestellten findet sich in praktisch keiner der ausgestellten Arbeiten, Unerhörtes, Unerwartetes oder Unglaubliches sucht man vergebens. Und um im Kaiser-Bild zu bleiben: Man gewinnt den Eindruck, dass sich diese Schöpfungen eher mit dem Verschweigen oder Tarnen der Wahrheit befassen.

Nele und Ben saßen stellvertretend für die jungen Künstler auf dem Podium in einer Diskussionsrunde. Auf die naheliegende Frage der Dekanin Wiebke Loeper: »Was ist für euch drängende Gegenwart«, sagte Nele: »Ich sehe nur Probleme wie Sexismus oder Rassismus.« Beim Durchdenken der Problemstellung sei ihr als »aktivistischer Person« dann aber eingefallen, dass sie lieber nicht so schwarzmalerisch an das Thema herangehen dürfe. Deshalb übersetzte sie die Fragestellung für sich in eine Darstellung »von besseren Orten«. Für sie war das eine Gemeinde tief im Brandenburgischen, wo sie eine Techno-Party erlebt hatte. Dass es sich bei dieser Ausbildung an der Potsdamer Fachhochschule um ein »sehr offenes Studium« handelt, hatte die Professorin Loeper vorgewarnt.

Ist nun ein Foto, das nichts anderes enthält als die Abbildung eines deutschen (EU-)Reisepasses, ein Ausdruck für »drängende Gegenwart«? Unbedingt, meint die Professorin. Dem sei eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Thema vorausgegangen, könne sie selbst bezeugen, denn dieser Reisepass verkörpere nun einmal den Unterschied zwischen Menschen in Europa, die in Wohlstand und mit Rechten leben dürften, und solchen, denen ihr Geburtsort diese vorenthalte.

Die Bewegung des Dargestellten ist nicht immer in Bewegtheit der Darstellung zu fassen. Wer aber das Fischsterben an der Oder mit romantischen Flussfotos und dem Gesicht müder Omis anprangern will, der hat die Sache vielleicht verfehlt. Und was haben die Konflikte und Krisen der Gegenwart mit Nachbarinnen zu tun, die vom Balkon winken? Der künstlerische Arbeitsprozess soll am Ende dazu führen, den Zugang zum Kunstwerk für die Rezipienten überraschend zu gestalten. Nicht aber von ihnen verlangen, im Vordergründig-Langweiligen das Hintergründig-Spannende aufzuspüren.

In einem fast altmodischen Sinne konkret äußerte sich Ben bei der Diskussion, der quasi als Einziger auf seinen Fotos eine erkennbare Auseinandersetzung abgebildet hat, also eine, die nicht allein in seinem Kopf stattfindet. Er war Teilnehmer an den Protestcamps bei Mukran (Rügen), wo sich junge Menschen gegen den Bau eines Gas-Terminals gewandt hatten. Er sprach von der Notwendigkeit des zivilen Ungehorsams, von moralischer Entschlossenheit und der Bereitschaft, auch Strafen in Kauf zu nehmen. Etwas davon lässt sich für den Betrachter seiner Bilder nachvollziehen. Bens Ankündigung: »Im September sind sehr viele weitere Proteste geplant.«

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