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Verärgerte Patrioten verärgern den Kreml
In Russland geht der Staat nun auch gegen oppositionelle Kriegshardliner vor
»Ich war es, der den Abzug des Krieges betätigt hat«, lautet das wohl berühmteste Zitat von Igor Girkin. Im November 2014 erzählte der unter dem Kampfnamen »Strelkow« bekannt gewordene ehemalige Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk voller Stolz, dass der Donbass-Krieg mit dem Grenzübertritt seiner »Freiwilligentruppe« am 11. April begann. Es war bereits der fünfte Krieg, an dem der ehemalige FSB-Oberst, überzeugte Monarchist und russische Nationalist teilnahm. Held für die einen, Hassfigur für die anderen, war Girkin seit dem 24. Februar 2022 vergeblich um einen Fronteinsatz bemüht.
Seit dem 21. Juli sitzt Girkin wegen »Aufrufs zur extremistischen Tätigkeit über das Internet« in Moskau in Haft. Und das, obwohl er sich Anfang Mai noch öffentlich um die verfassungsmäßige Ordnung Sorgen machte. Die sah er durch die Aktivitäten der Wagner-Söldner Jewgeni Prigoschins in Gefahr. Kaum waren Girkins Warnungen vor Kontrollverlust des Staates über die Söldnertruppen und die politischen Ambitionen Prigoschins verhallt, marschierten die Wagner-Kämpfer nach Moskau und Präsident Putin sprach im Fernsehen von »Verrat« und Gefahr für den Staat. Einen Monat später ist Prigoschin auf freiem Fuß und Girkin hinter Gittern. Eine absurde Situation, die selbst liberale Oppositionelle wie Michail Chodorkowski und Alexei Nawalny dazu bringt, Girkin als politischen Gefangenen zu bezeichnen.
Die verärgerten Patrioten sind in Schwierigkeiten
Turbulente Zeiten erlebt auch der von Strelkow-Girkin im April gegründete »Klub der verärgerten Patrioten« (KRP), eine Vereinigung von Donbass-Kämpfern der ersten Stunde, die sich um politischen Einfluss gebracht sehen, und Hardlinern, die den Krieg bis zur »Liquidierung der ukrainischen Staatlichkeit« fortsetzen wollen. Erst wurde gegen den ehemaligen Oberst Igor Kwatschkow, der immer wieder versuchte, russische Nationalisten paramilitärisch zu organisieren, ein Verfahren eröffnet. Dann folgte die Festnahme Girkins. Zu guter Letzt wurde auch noch der Klubvorsitzende Pawel Gubarjew bei der Demo gegen Girkins Inhaftierung selbst festgenommen. Der frühere Neonazi Gubarjew war 2014 kurzzeitig »Volksgouverneur« von Donezk, geriet zwischendurch in ukrainische Gefangenschaft und meldete sich später freiwillig für die »Spezialoperation«.
Mit der Forderung nach der Mobilisierung aller Ressourcen für den Sieg torpediert der »Klub der verärgerten Patrioten« den offiziellen Kurs von Russlands Präsident Wladimir Putin, der den normalen Alltag um jeden Preis aufrechterhalten will. Auch Girkins Festlegung auf die Einnahme Kiews widerspricht der Manier der Staatsführung, Kriegsziele stets nebulös zu formulieren und sich dadurch eine gewisse Flexibilität zu erhalten. Und ähnlich wie Prigoschin suchten auch die verärgerten Patrioten stets nach Anzeichen von Verrat, Korruption und Drückebergerei in Staat und Gesellschaft. Zwar bezeichnete Girkin Präsident Putin immer als »die einzige legitime Figur« in Russland, doch wuchs auch seine Unzufriedenheit mit der Kriegsführung zunehmend.
Staat hat Angst vor »Turbopatrioten«
Mit seiner Rhetorik gegen prowestliche Eliten, die den Krieg nicht ausreichend unterstützen, ermöglicht Girkin zudem ungewöhnliche Allianzen. So zeigt Sergei Udalzow, Anführer der Linken Front, seit neustem Interesse an einem Wahlbündnis zwischen linkspatriotischen Kräften und dem KRP für die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr, gern auch mit der Kommunistischen Partei.
Bereits im Februar warnte der Duma-Abgeordnete Oleg Matwejtschew (Einiges Russland) in einem Gespräch mit dem kremlnahen Infoportal »Politnavigator« vor einem »turbopatriotischen Maidan«, der das Land destabilisieren könnte. Die liberale Opposition, so Matwejtschew, habe sich selbst diskreditiert, weshalb nun eine Provokation durch die Ausnutzung der militärischen Schwierigkeiten drohe, hinter der ausländische Kräfte stehen sollen. Nachdem Prigoschins »Marsch auf Moskau« offiziell ebenfalls zum Resultat von Intrigen westlicher Geheimdienste erklärt wurde, geht es nun gegen die politisch ambitionierten Hardliner. Gefragt sind Loyalisten, die jede Wendung des politischen Kurses mittragen, nicht ideologisierte »Turbopatrioten«.
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