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Spielstraßen in Berlin: Senat will auf Kosten der Kinder sparen
Senat will die Gelder für Spielstraßen drastisch kürzen – dem Projekt droht das Aus
Jubiläen soll man feiern. Für Gabi Jung und das Bündnis temporäre Spielstraßen gibt es davon gleich zwei. Das ändert aber nichts daran, dass sie mit großer Sorge auf das nächste Jahr blickt.
Zum 100. Mal wird die Kreuzberger Böckhstraße am Mittwoch zur Spielstraße für die Kinder aus der Nachbarschaft. Zugleich ist es der vierte Geburtstag der Spielstraßen-Bewegung überhaupt. »2019 war die Böckhstraße die erste temporäre Spielstraße Berlins und der Beginn einer kleinen Revolution«, sagt Jung, Sprecherin des Bündnisses temporäre Spielstraßen und Referentin für Mobilitätsbildung beim Umweltverband Bund.
Inzwischen werden auch zahlreiche andere Straßen in Berlin mehrmals im Jahr temporär an einem Nachmittag für Autos gesperrt und zum Spielen freigegeben. 24 regelmäßig stattfindende Spielstraßen gibt es mittlerweile. Am 22. September, dem europäischen autofreien Tag, erwartet das aus mehreren Verbänden bestehende Spielstraßen-Bündnis bis zu 40 solcher Aktionen.
Doch dem Projekt droht das Aus. In der Senatsvorlage für den Doppelhaushalt für 2024 und 2025 sind pro Jahr nur noch 50 000 Euro eingeplant. Das bestätigt die Senatsverkehrsverwaltung »nd«. »Die Spielstraßen wären damit gestorben«, sagt Jung. »Mit dem Geld kann man das nicht umsetzen.«
Deutlich weniger Geld
Im aktuellen Haushalt sind für die temporären Spielstraßen in diesem Jahr 180 000 Euro eingeplant. »Es ist jedoch davon auszugehen, dass die zur Verfügung gestellten Mittel wieder weitgehend ausgeschöpft werden«, so eine Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung auf »nd«-Anfrage. Für 2022 waren es 100 000 Euro, die auch nahezu vollständig ausgeschöpft wurden.
2023 kostet allein die bezirksübergreifende Organisation des Spielstraßen-Projekts über 40 000 Euro, was einer Dreiviertel-Personalstelle gleichkommt. Hinzu kommen über 50 000 Euro für die Beschilderung der Spielstraßen. Denn eigene Verkehrszeichen haben die Bezirke nicht. Für eine einmalige Beschilderung liefen zuletzt Kosten von 300 Euro auf, 80 Euro kamen dann in der Regel pro Woche hinzu. Für die Verstetigung von drei Spielstraßen in Friedrichshain-Kreuzberg 2021 kostete die Beschilderung 8000 Euro pro Straße.
Hinzu kommt noch Geld für die jeweiligen Initiativen in den Bezirken. Denn die Spielstraßen entstehen in Zusammenarbeit von Stadtgesellschaft und Verwaltung. Ohne das Engagement der Anwohner geht es nicht. Erst im September hat die Senatsverkehrsverwaltung einen Leitfaden herausgegeben für Nachbarschaften, die eine Spielstraße auch vor ihrer Haustür umsetzen wollen. Doch mit der drohenden Kürzung wäre es unwahrscheinlich, dass es noch neue Spielstraßen geben kann, befürchtet Jung.
Projekt mit Leuchtturmwirkung
Sie sagt, es sei erforderlich, dass das Projekt mit 180 000 Euro verstetigt wird. »Das ist wenig Geld für das, was damit erreicht wird.« Beispiel Böckhstraße: Von April bis September wird die Seitenstraße des Kottbusser Damms zwischen 14 und 18 Uhr für Autos gesperrt. Kinder können Fußball spielen, auf der Straße mit Kreide malen. Die Nachbarschaft trifft sich. »Der Nachbarschaft wird die Straße zurückgegeben«, sagt Jung.
Auch Holger Hofman, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, betont die Bedeutung der Spielstraßen. »Temporäre Spielflächen sind vielerorts die einzige Möglichkeit, den Anforderungen für eine ausreichende Bewegung von Kindern im Freien gerecht zu werden«, sagt er. Die Unterversorgung mit Spielräumen führe zu einem Rückzug in die Wohnung und vor die Bildschirme – »mit allen bekannten gesundheitlichen und sozialen Folgen«.
Dass Kinder auf der Straße spielen, war bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch normal. Mit dem autogerechten Umbau der Städte wurden dann abgetrennte Spielplätze geschaffen, damit Autos freie Fahrt haben.
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