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Rad-WM 2023: Das Turnier der Alleskönner
Straße, Bahn und Co: Das deutsche Team startet eindrucksvoll bei der kombinierten Rad-WM in Glasgow
Wer Regenbögen zugeneigt ist, muss dieser Tage nach Glasgow fahren. 220 Regenbogentrikots werden bei den dortigen kombinierten Radweltmeisterschaften nach Auskunft des Weltverbands UCI vergeben. Drei davon samt Goldmedaillen gingen zum Auftakt direkt an die deutschen Teamsprinterinnen auf der Bahn: Pauline Grabosch, Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich siegten am Donnerstagabend mit einer Zeit von 45,848 Sekunden im Finale gegen Großbritannien und verbesserten damit sogar ihren eigenen Weltrekord. Franziska Brauße hatte in der Einerverfolgung zuvor bereits Silber gewonnen.
Ein gelungener Auftakt für das deutsche Team bei dieser Radsport-WM, bei der neben den Bahnwettkämpfen auch Straßen-, Mountainbike- und BMX- Wettbewerbe sowie Radball, Kunstradfahren und die urbane Disziplin Trial ausgetragen werden. Beim Trial müssen Hindernisse überwunden werden, ohne dass ein Fuß den Boden berührt. Wettbewerbe für Para-Sportler gehören ebenfalls zum Programm. Allein wegen der Dimension wird daher gern zu Superlativen gegriffen. UCI-Präsident David Lappartient sprach vom »weltgrößten Radsport-Event« und versprach auch »eine Rekordverbreitung über Fernsehkanäle in mehr als 120 Länder«. 240 Stunden Live-Übertragung werden den Sendern zur Verfügung gestellt.
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Die Sache kann sogar Sinn machen. Denn in letzter Zeit rückten dank multitalentierter Athletinnen und Athleten einige Raddisziplinen wieder enger aneinander, die sich zuvor voneinander weg entwickelt hatten. Straßenstars wie Mathieu van der Poel, Wout van Aert und Tom Pidcock wechseln munter hin und her zwischen Asphalt, Pflaster und Gelände. Auch die Synergien zwischen Bahn und Straße nahmen in den letzten Jahren zu. Beispiele sind der Zeitfahrweltmeister auf der Straße und Verfolgungsolympiasieger auf der Bahn Filippo Ganna (Italien), Madisonweltmeister und Straßenprofi Roger Kluge aus Berlin oder auch Lotte Kopecky, Weltmeisterin im Ausscheidungsfahren und in der Zweier-Frauschaft und gerade Gesamtzweite der Tour de France Femmes geworden. Jetzt haben sie alle die Gelegenheit, ihre ganz verschiedenen Fertigkeiten bei einem Event zu zeigen.
Viele nutzen die Gelegenheit. Mathieu van der Poel etwa wird erst am Sonntag zum Straßenrennen antreten, das über 277 Kilometer von Edinburgh aus über einen erloschenen Vulkan nach Glasgow führt, um dann am folgenden Samstag das Mountainbike-Rennen zu bestreiten. Angesichts der zahlreichen Schlaglöcher, die schottische Radsportfans auf dem Parcours des Straßenrennens entdeckten, hat er vielleicht aber doppelten Vorteil: Auf der Straße kommt er besser mit Unebenheiten klar als andere. Der Holperkurs auf dem Asphalt kann als Vorbereitung fürs Gelände dienen. Die gleiche Doppelchance hat übrigens auch der Slowake Peter Sagan, der sich im Karriereherbst wieder der alten Liebe Mountainbike zuwendet.
In den Ausdauerdisziplinen auf der Bahn ist die Straßenfraktion ebenfalls gut vertreten. Lotte Kopecky will neben dem Straßenrennen der Frauen am 13. August – nach hinten verschoben, um den Profis der Tour de France Femmes etwas Luft zu verschaffen – schon am Sonntag, Dienstag und Mittwoch bei Ausscheidungsfahren, Punktefahren und Omnium teilnehmen. Viel Gegenwehr hat die Belgierin zumindest von deutscher Seite nicht zu erwarten. Weder Lea Lin Teutenberg noch Lena Reißner können ihr das Wasser reichen. Anders sieht es auf der Straße aus. Da hat Tour-de-France-Etappensiegerin und WM-Vierte des letzten Jahres, Liane Lippert, durchaus die Chance, dieses Mal die Vizeweltmeisterin Kopecky und auch die Vertreterinnen des dominanten niederländischen Teams hinter sich zu lassen.
Lippert gab »nd« gegenüber allerdings zu bedenken: »Der Kurs ist für mich nicht schwer genug. Ich werde das Rennen gelassen, aber optimistisch angehen.« Frontfrau bei den Niederlanden ist übrigens nicht Titelverteidigerin Annemiek van Vleuten, sondern Demi Vollering, ihre Bezwingerin bei der Tour de France Femmes. »Ich werde für Demi arbeiten, keine Frage. Der Kurs liegt ihr mehr«, versicherte van Vleuten noch in Frankreich.
Bei den Männern kann man sich auf einen Showdown der besten Klassikerspezialisten Wout van Aert und Mathieu van der Poel mit einigen der besten Rundfahrer – Tadej Pogacar und Remco Evenepoel – freuen. Allerdings hat der zweifache Toursieger aus Slowenien auch schon einige Klassiker gewonnen, und Vuelta-Champion und WM-Titelverteidiger Evenepoel bewies zuletzt mit dem Sieg bei der Clásica San Sebastián seine Eintagesqualitäten. Er muss sich im belgischen Team allerdings die Führungsrolle mit van Aert teilen.
Für einen deutschen Regenbogensegen sollen vor allem die Bahnsprinterinnen Emma Hinze, Lea Friedrich und Pauline Grabosch sorgen, die am Donnerstag schon eindrucksvoll zeigten, dass die Form stimmt. Auch im Radball und Kunstradfahren geben Deutsche den Ton an. Amtierender Weltmeister ist Lukas Kohl, bei den Frauen ist die Leistungsdichte so groß, dass Weltmeisterin Jana Pfann an der Qualifikation bei den Deutschen Meisterschaften scheiterte. Beim Kunstradfahren werden so schräge Sachen wie Handstand auf Lenker und Sattel gezeigt. Dann stehen die Athleten auch mal aufrecht auf dem Sattel, springen auf den Lenker und versetzen diesen dabei mit den Füßen in mehrfache Rotation, während sich das Rad unter ihnen weiterbewegt und das gesamte Mensch-Rad-System senkrecht bleibt. Vielleicht guckt sich der eine oder andere rückensteife Straßenprofi auch mal so etwas ab.
Ärger gibt es natürlich auch. Ein paar schlecht bezahlte Angestellte der städtischen Sportanlagen denken über sicherlich berechtigte Warnstreiks nach, meldete die Lokalpresse. Und mindestens drei Radsportlern aus Eritrea verweigerte das Londoner Home Office (es handelt sich um das Innenministerium, nicht um die postpandemisch schöngefärbte Heimarbeit) das Einreisevisum. Einer davon, U23-Vizeweltmeister Biniam Girmay, versuchte das Übel zu kaschieren, indem er Verletzungsgründe für seinen Startverzicht angab. Er war Geheimtipp für das Straßenrennen. Nun wirft die restriktive Visa-Politik einen dunklen Schatten auf das größte Radsportevent aller Zeiten.
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