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Mouhamed Lamine Dramé: Rassistische Täter-Opfer-Umkehr
Vor einem Jahr wurde der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé von der Polizei erschossen
Mouhamed Lamine Dramé wollte ein besseres Leben. Er kam aus einem Land, in dem sehr viele Menschen Hunger leiden müssen und arbeitslos sind, sich mit Gelegenheitsjobs und der Unterstützung der Familie über Wasser halten – bestenfalls. Dafür machte sich der junge Mann aus dem Senegal hoffnungsvoll auf den langen Weg über Mali, Mauretanien, Marokko, Spanien nach Deutschland. Knapp zwei Jahre soll er für die Reise gebraucht haben, sein Bruder sei auf der Flucht verstorben.
Im Sommer 2022 in Dortmund angekommen, träumte der damals 16-Jährige von einer Karriere bei Borussia Dortmund. Er lebte in einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt. Kriminalität und Arbeitslosigkeit sind dort große Herausforderungen. Kioskbesitzer aus der Nachbarschaft beschreiben Dramé als schüchternen Jungen, der sich öfters abends mal etwas zu trinken kaufte und durch die Straßen zog. Offensichtlich hatte er Probleme, weinte und war psychisch labil, vielleicht traumatisiert. Darauf deutet sein kurzfristiger und freiwilliger Besuch in einer Jugendpsychiatrie hin.
Am 8. August 2022 passierte die Katastrophe. Dramé wurde im Innenhof seiner Dortmunder Wohneinrichtung von einem Polizisten erschossen. Mit einer Maschinenpistole, nachdem der Beschuss aus einem Taser »erfolglos« blieb. Zuvor hatte der Jugendliche gedroht, sich mit einem Messer selbst zu verletzen. Die Polizei schreibt, er habe die anwesenden Beamten mit einem Messer angegriffen, woraufhin ein Polizist das Feuer eröffnete. Die Projektile trafen Dramé in Bauch, Arm, und Schulter, am Hals und im Gesicht. Die Reanimationsversuche im Krankenhaus blieben ohne Erfolg. Viele Wochen später stellte die Staatsanwaltschaft Dortmund fest, dass erst das Vorgehen der Polizisten die Lage eskalieren ließ. Die elf beteiligten Beamten sollen demnach unverhältnismäßig gehandelt haben. Fünf wurden angeklagt, der Hauptangeklagte wegen Totschlags. Der Prozess könnte noch in diesem Jahr beginnen. Dramés Familie im Senegal ist Nebenklägerin.
Der Fall hatte ein deutschlandweites Medienecho sowie Kundgebungen ausgelöst. Ein Solidaritätskreis gründete sich in Dortmund, der seither akribisch den Fall dokumentiert und verfolgt. Auch im Senegal wird gefragt, wieso ein junger Mann von der deutschen Polizei getötet wurde.
Auffällig war in der ersten Phase der Berichterstattung, dass oft nur von einem »afrikanischen Flüchtling« geschrieben worden war. Selten wurden die Nationalität oder sein kompletter Name, Mouhamed Lamine Dramé, erwähnt. Damit bleibt Dramés Individualität unberücksichtigt. »Mouhamed wird so nicht als Mensch mit Hobbys und Interessen beschrieben, sondern als gesichtsloser Geflüchteter. Als einer von vielen«, so formuliert es der Solidaritätskreis.
Die »Bild«-Zeitung verwies anfänglich mehr darauf, dass Dramé ein Messer mit langer Klinge bei sich hatte, und nahm das Verhalten der Polizisten nicht zum Anlass, Kritik an Einsatz und Vorgehen zu üben, im Gegenteil. »Nachdem auch Dortmunder Polizisten als Mitglieder in rechten Chatgruppen entdeckt wurden, scheint sich hier ein Kreis eines ideologischen Problems innerhalb der Polizeireihen zu schließen«, schreibt der Solidaritätskreis, der seit Langem fordert, die umstrittene Nordwache zu dichtzumachen.
Die öffentliche Distanzierung der Beamten der Wache von jeglicher rechter Orientierung, nachdem rechte Inhalte bei ihnen entdeckt wurden, ist laut Solidaritätskreis beinahe ein ironischer Widerspruch in sich. »›Bild‹ deutet entsprechend ihrer politischen Natur jeden Vorwurf des Rechtsextremismus als unbegründet.« Einige Regionalmedien aus dem bürgerlichen Spektrum gingen zunächst ähnlich vor. Das änderte sich, nachdem etwa der WDR oder Medien aus dem linken Spektrum berechtigte Zweifel am Einsatz und Vorgehen der offenkundig unprofessionell handelnden Beamten sahen.
»Bild« habe, wie der Solidaritätskreis weiter schreibt, anonyme Aussagen von Polizisten veröffentlicht, »die fehlende Rückendeckung des Präsidiums bei Einsätzen in dem Viertel« kritisierten. Beamte seien angewiesen worden, möglichst wenige Migranten zu kontrollieren, hieß es da. Auch Geschäftsleute aus der Nordstadt beklagten laut »Bild« mangelnde Kontrollen. Beamte hätten Angst, gegen aggressive Dealer einzugreifen. »Die Polizisten wollen halt keinen neuen Ärger«, wurde ein Ladeninhaber zitiert.
Der »Bild«-Bericht machte in den sozialen Medien die Runde, rechtsextreme Internetportale übernahmen die Meldung. »Die Polizisten stilisieren sich zu Opfern«, sagt Sarah Claßmann vom Solidaritätskreis. Auffällig sei hierbei, dass die Zitate genutzt würden, um die Verhältnisse der Nordstadt negativ darzustellen und die Wache Nord als Opfer zu präsentieren, die im Spagat zwischen Ausübung der Dienstpflichten und Forderungen der Zivilgesellschaft verzweifeln würden.
Das ZDF hat über den Fall eine Dokumentation mit dem eher reißerischen Titel »Die Spur. Warum musste Mouhamed sterben?« gedreht. Diese Frage weckt Emotionen, die man in erster Linie mit dem Privatfernsehen verbindet.
Im Fall Mouhamed Dramé geht es auch um Grundsätzliches. Die Polizeibehörde im benachbarten Recklinghausen hat den Fall zusammen mit der Staatsanwaltschaft Dortmund untersucht. Das löste Kritik aus, denn die Dortmunder Polizei untersuchte zuletzt auch »interne« Fälle aus Recklinghausen. Experten und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen fordern eine unabhängige, divers besetzte Untersuchungskommission. »Vielfach wird bei Kommissionen nur auf Expertise und akademisch institutionelle Position geschaut. Im Ergebnis sitzen oft als weiß, deutsch und männlich angesehene Personen mit christlichen Bezügen oder ohne religiöse Bezüge in den Gremien«, sagte Claus Melter von der Fachhochschule Bielefeld gegenüber dem Onlinemagazin »Migazin«.
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