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Rechte in Charlottenburg: Heimeliges Hinterland
In Charlottenburg haben sich Institutionen der Neuen Rechten eingenistet
Im Gegensatz zu den meisten anderen Westberliner Provinzpolitiker*innen ist Peter Lorenz etlichen Menschen ein Begriff. 1975 hatte ihn die Bewegung 2. Juni entführt, um Gefangene der RAF freizupressen. Weitgehend unbekannt ist jedoch, dass Lorenz selbst bei einem Verein war, der Terroraktionen plante.
Im wohlhabenden bürgerlichen Bezirk Charlottenburg sind seit den 1950er Jahren wichtige Akteur*innen der Neuen Rechten aktiv. Das erfährt man auf einem Stadtspaziergang, den zwei junge Aktivisten, die in diesem Text anonym bleiben wollen, in Zusammenarbeit mit dem Register Charlottenburg-Wilmersdorf ins Leben gerufen haben.
Das Peter-Lorenz-Haus in der Steifensandstraße ist die erste Station. Das Gebäude ist dank einer Farbbeutelattacke gut zu erkennen. Auf einer Gedenkplakette wird Lorenz als ehemaliger CDU-Vorsitzender West-Berlins geehrt. Ein Hinweis auf seine Tätigkeit bei der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« ist nicht zu finden.
Die beiden Aktivisten holen das nun nach: Der 1922 geborene Lorenz war nach dem Krieg in der antikommunistischen Organisation aktiv, die ab 1948 von West-Berlin aus nicht nur einen »Suchdienst« für Gefangene in der DDR anbot, sondern auch mit Spionage, Propagandaaktionen und Sabotageakten versuchte, die Sowjetische Besatzungszone und spätere DDR zu destabilisieren. Die Gruppe ließ sich in Charlottenburg als Verein eintragen, scheiterte letztlich spektakulär und löste sich 1959 wieder auf.
20 Personen nehmen an dem Spaziergang an einem warmen Sommerabend teil und flanieren an teuren Restaurants und kleinen Läden die Pestalozzistraße entlang. Die Gruppe kommt auch an der Rückseite des ehemaligen Frauenknasts Kantstraße vorbei, in dem in der NS-Zeit Mitglieder der »Roten Kapelle« einsaßen, unter anderem Mildred Harnack und Libertas Schulze-Boysen. Das erst 1985 geschlossene Gefängnis ist heute ein Luxushotel, man kann in den ehemaligen Zellen übernachten.
An der Ecke Fritschestraße macht die Gruppe halt. Der Spielplatz ist der einzige in Berlin, der einen eigenen Namen trägt: Es ist der Günter-Schwannecke-Spielplatz. Hier ermordete der Neonazi Norman Zühlke den 58-jährigen obdachlosen Kunstmaler Günter Schwannecke 1992 mit einem Baseballschläger. Zühlke wurde dafür zu sechs Jahren Haft verurteilt und soll bis heute den rechten »Hammerskins« angehören. Am 29. August, dem Jahrestag des Angriffs, soll es für Schwannecke ein stilles Gedenken geben.
Die beiden jungen Aktivisten haben sich beim Gedenken für Günter Schwannecke zusammengefunden und führen diesen Spaziergang in Zusammenarbeit mit dem Register Charlottenburg-Wilmersdorf in unregelmäßigen Abständen durch. Bei der Registerstelle können rassistische oder diskriminierende Vorfälle gemeldet werden, außerdem bietet sie Beratung für Betroffene an. »Meldet uns gerne Vorfälle im Kiez«, ermuntert die Mitarbeiterin der Registerstelle die Teilnehmenden.
Die Gruppe kreuzt die Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße. »Seit 2020 finden hier montags verschwörungstheoretische Versammlungen statt«, weiß die Mitarbeiterin der Registerstelle zu berichten. Mehrfach seien dabei auch NS-verharmlosende Argumente geäußert worden. Zudem mache eine Bürgerinitiative regelmäßig einen Infotisch, auf dem auch Flyer mit verschwörungsideologischen Inhalten zu finden seien.
Seit den späten 1950er Jahren haben sich in West-Berlin unterschiedliche rechte Kampagnen und Organisationen gegründet. Ein Hotspot war und ist Charlottenburg. Immer wieder trafen und organisierten sich hier rechte und rechtskonservative politische Grüppchen. Charlottenburg ist Wohn- und Aufenthaltsort dieses Spektrums, die gastronomischen Angebote dienen als angenehme und sichere Treffpunkte.
An Stolpersteinen vorbei geht es zur »Vereinigung 17. Juni 1953« in der Pestalozzistraße. »Der Verein instrumentalisierte unter anderem die deutsche Teilung für antikommunistische und nationalistische Zwecke und wurde bereits 1971 vom Berliner Innenministerium als rechtsradikal bezeichnet«, erklärt einer der Aktivisten. Vereinsvorsitzender ist heute der langjährige rechte Politaktivist Carl-Wolfgang Holzapfel. Er war im Oktober 1964 Mitbegründer der »Initiative der Jugend«, die als Keimzelle der Neuen Rechten in der Bundesrepublik angesehen wird. Er machte sich unter anderem für die Freilassung von Rudolf Heß stark und war Mitglied der nationalistischen Republikaner. 2022 entsandte ihn die AfD in die Bundesversammlung. Holzapfel lebt noch immer im Kiez.
Auch Hans-Ulrich Pieper gehörte der »Vereinigung 17. Juni 1953« an. Pieper organisiert seit Anfang der 1990er Jahre bis heute die »Dienstagsgespräche«, ein parteiübergreifendes Diskussionsforum, das sich zunehmend in Richtung eines rechtsextremen Elitenzirkels entwickelt hat. Pieper war in verschiedenen Parteien Mitglied und ist schließlich 2011 in der NPD gelandet. Die Gästeliste der Dienstagsgespräche ist ein »Who’s who« der Neuen Rechten: Wolfgang Gedeon, Holger Apfel, Martin Sellner, Nikolai Nehrling.
Eines der »Dienstagsgespräche« fand in einem Lokal am Steinplatz statt, der vorletzten Station des Spaziergangs. Am Steinplatz stehen zwei identische Gedenksteine: Sie erinnern an die »Opfer des Stalinismus« sowie die »Opfer des Nationalsozialismus«. Der erste Stein wurde bereits 1951 von der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus« (VOS) errichtet, die damals vom NSDAP- und SS-Mitglied Waldemar Paulick geleitet wurde. Bis in die jüngste Vergangenheit hat die VOS Kontakte zur AfD und zur neurechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«.
Im Verlag der »Jungen Freiheit« wiederum erscheint das neurechte Hochglanzmagazin »Cato«, das seine Redaktionsräume in der Charlottenburger Fasanenstraße 4 hat, der letzten Station des Spaziergangs. Das Gebäude gehört der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung und beherbergt zudem die Bibliothek des Konservativismus. Als sicherer Rückzugs- und Seminarort für Vernetzungstreffen, Buchvorstellungen und Vorträge sei das Gebäude mitten in Charlottenburg ein »Ort von bundesweiter Strahlkraft«, resümieren die Aktivisten. Rechtskonservative wie Matthias Matussek und Hans-Georg Maaßen waren hier zu Gast.
Charlottenburg ist so ruhig und so schön, dass neurechte Organisationen hier relativ ungestört agieren können. Die Aktivisten hoffen, sich im Kiez weiter zu vernetzen und mit ihren Spaziergängen etwas Aufmerksamkeit für die rechten Umtriebe zu gewinnen.
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