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Staatlichen Gewaltinstitutionen die Finanzmittel entziehen
Das Konzept »Defund the Police« will Sicherheit und Gerechtigkeit neu definieren
Seit der antirassistischen Protestwelle nach dem polizeilichen Mord an George Floyd in den USA erhält die Forderung »Defund the Police« viel Aufmerksamkeit. Der Ansatz will der Polizei die Finanzierung entziehen und zählt zu den abolitionistischen Transformationsstrategien. Dabei geht es die Definanzierung aller todbringenden, staatlichen Institutionen (»death-making institutions« nach Mariame Kaba). Hierzu zählen auch Gefängnisse, geschlossene Psychiatrien, Abschiebungen, Grenzzäune, Überwachungstechnik, Waffen und Militär.
Stattdessen wollen die Befürworter von »Defund the Police«, dass in lebensverbessernde und -erhaltende Institutionen und Infrastrukturen investiert wird. So soll eine Welt entstehen, die sich am kollektiven Wohlbefinden orientiert und allen Menschen einen Platz zum Leben in Würde, bei guter Gesundheit und in Sicherheit bietet.
Mit »Defund the Police« werden Institutionen, die als Garanten von »Sicherheit« und »Gerechtigkeit« auftreten, aus Sicht der Bewegung aber weder das eine noch das andere herstellen, infrage gestellt. Jedoch müssen diese Schlagworte – genauso wie Fragen der Verantwortungsübernahme und Wiedergutmachung – umfassender gesellschaftlich eingebettet werden. Um die Ursachen von Gewalt und schädigendem Verhalten in der Gesellschaft zu beseitigen, müssen auch die materiellen Grundlagen geschaffen werden, damit ein Leben in Sicherheit überhaupt möglich wird: Zugang zu Wohnraum, Nahrung, Gesundheitsversorgung, Energieversorgung, das Recht zu gehen und zu bleiben, der Erhalt der ökologischen Grundlagen, Bildung und Mobilität. Das heißt auch: Es gibt viele Wege, an dieser Transformation zu arbeiten.
Um wirksam für eine andere Ressourcenverteilung einzutreten, braucht es zudem kritisches Wissen über Budgets für Polizei, Justiz und Ordnungsdienste auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Diese Informationen sind nicht leicht zu bekommen. Einige Initiativen bringen aber Licht ins Dunkel. Das Berliner Justice Collective hat im Sommer 2022 zusammen mit Abgeordneten der Linkspartei eine Analyse des Budgets der Berliner Polizei vorgelegt und zeigt, dass diese einen immer größeren Anteil am Landeshaushalt verschlingt. Copwatch Leipzig untersucht in einem Konzeptpapier vom Sommer 2022 die Ressourcen und Tätigkeiten der Polizei in Sachsen.
Copwatch Leipzig versucht sich darin auch an einem konkreten Vorschlag zur Abschaffung der Polizei: Vieles, was durch die hochmilitarisierte und überfinanzierte Polizei getan werde, könne auch durch zivile Organisationen oder durch soziale Kooperativen übernommen werden. Die Gruppe sieht aber weiterhin die Notwendigkeit für ein bewaffnetes, polizeiliches Interventionsteam »für sehr eng begrenzte Aufgaben für konkrete Gefahrensituationen«, darunter Terroranschläge oder Amokläufe. Auch wenn dies zu hinterfragen wäre, bietet das Papier eine gute Diskussionsgrundlage.
Seit diesem Jahr kämpft auch die Gruppe Defund the Police Dortmund für abolitionistische Forderungen, darunter die Abschaffung der Wache Nord, und selbstorganisierte Strukturen der Bewohner*innen in der Nordstadt.
Im August 2022 hat die Polizei in Dortmund den 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé erschossen, als er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Expert*innen gehen davon aus, dass rund 50 Prozent der tödlichen Polizeieinsätze eine solche Ausnahmesituation zugrunde liegt. Defund the Police Dortmund fordert für derartige Situationen »mobile, multiprofessionelle Kriseninterventionsteams«, die nicht auf Gewalt setzen. Bis es aber zu einer umfassenden Trendumkehr der Investitionen und zum Rückbau der Polizeibehörden kommt, ist es für Ansätze von »Defund the Police« noch ein weiter Weg.
Michèle Winkler arbeitet als politische Referentin beim Grundrechtekomitee und gibt im Herbst das Buch »Generalverdacht – Wie mit dem Mythos Clankriminalität Politik gemacht wird« mit heraus, das als Flugschrift bei Edition Nautilus erscheint.
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